Tomasz Konieczny

„Lieder haben mich weitergebracht“

Der polnische Bassbariton sprach mit OPERN∙NEWS über sein neues Liedgesang-Festival in Wiener Neustadt, seine Pläne für ein Opernfestival an der polnischen Ostseeküste und über seine persönliche Regie-Ästhetik

Stephan Burianek • 30. Juli 2021

Interview-Version vom 31. Juli 2021

Tomasz Konieczny © Klaudia Taday

 

Sie singen seit vielen Jahren auf den größten Opernbühnen und sind vor allem für Wagner-Partien bekannt. Neuerdings sind Sie auch auf der Veranstalterseite aktiv: Mit Ihnen als künstlerischem Leiter findet vom 25. bis 27. August erstmals das Singfest Wiener Neustadt statt. Was ist das, und wie kam es dazu?

Während der Pandemie habe ich gemeinsam mit dem Pianisten Lech Napierała viel einstudiert. Leider hatten uns damals, im ersten Lockdown, so ziemlich alle Kulturinstitutionen die Türen versperrt, aber glücklicherweise brachte uns die polnische Botschafterin in Wien, Jolanta Róża Kozłowska, die eine ausgebildete Musikerin ist, ein großes Verständnis entgegen. Wir durften einen Raum in der Botschaft nutzen, in dem ein Steinway steht. Dort haben wir zunächst eine CD mit Liedern des polnischen Komponisten Romuald Twardowski aufgenommen und dann eine Online-Werkstatt für Liedgesang zusammengestellt, die vom polnischen Kulturministerium finanziert wurde. Das war für uns beide eine große Hilfe in der Pandemie, denn wir wollten nicht von sozialer Hilfe leben sondern Aufgaben übernehmen – da spreche ich wohl für alle Künstler.

Als wir dann auch Lieder von anderen Komponisten erarbeitet haben, kam der Wunsch auf, den Zyklus «Lieder und Tänze des Todes» von Modest Mussorgski in einer Kirche oder dergleichen aufzunehmen. Uns wurde dann unter anderem das Stift Neukloster in Wiener Neustadt gezeigt, und Lech und ich haben uns sofort in den dortigen Innenhof verliebt. Obwohl die Firma Bösendorfer in Wiener Neustadt eine Produktionsstätte hat, war es damals schwierig, einen Flügel dorthin zu bringen, daher haben wir das Vorhaben zunächst um ein Jahr verschoben. Bald entstand die Idee eines Liederabends. Die Stiftskirche ist ja sehr bekannt, weil dort erstmals Mozarts Requiem als Seelenmesse aufgeführt wurde. Ich habe sofort mit Martin Haselböck Kontakt aufgenommen, der in der Kirche alljährlich Konzerte mit der von ihm gegründeten Wiener Akademie gibt. So entstand die Idee eines kleinen Festivals, mit Liederabenden im Kreuzgang und einem großen Konzert am Ende in der Stiftskirche. Das wird in diesem Sommer zwar nicht klappen, aber ich wünsche mir, dass wir das in den kommenden Jahren realisieren werden können. In diesem Jahr starten wir jedenfalls mit dem Singfest im Kreuzgang dieses Zisterzienserklosters.

Hatten Sie schon länger vor, als Veranstalter in Erscheinung zu treten?

Nein, vor der Pandemie war ich so vielbeschäftigt, dass mir dieser Gedanke gar nicht gekommen ist. Wenn man als Künstler im Lockdown sitzt, hat man verschiedene Möglichkeiten, damit umzugehen. Entweder man sitzt herum und macht nichts oder man übt sein Repertoire oder man kann versuchen, auf eine andere Weise kreativ zu sein und etwas Neues zu starten.

Werden Sie künftig häufiger Lieder singen?

Mir ist der Liedgesang wichtig, seitdem Lech Napierała vor sieben Jahren auf mich zugekommen ist. Wir haben mittlerweile vier Alben aufgenommen und arbeiten sehr glücklich zusammen. Wir planen bereits neue Programme, darunter eines mit dem Titel „Apokalypse“, das Mahlers «Kindertotenlieder» und eine Neukomposition von Aleksander Nowak zu Texten von Krzysztof Kamil Baczyński beinhalten wird. Baczyński war ein Dichter, der im Alter von 22 Jahren während des Warschauer Aufstands im August 1944 ums Leben kam. Ich sehe bei ihm Parallelen zu Georg Büchner, der ebenfalls jung gestorben ist. Es war schon lange mein Wunsch, Lieder von Baczyński zu singen, aber sie waren noch nicht komponiert. Nowaks Vertonungen sind sehr berührend, wir werden sie am 31. August in Warschau im Museum des Warschauer Aufstands erstmals aufführen.

Sind Lieder für Sie ein Mittel zur Stimmhygiene?

Absolut. Die Lieder haben mich weitergebracht, auch auf der Opernbühne. Ich habe kürzlich in München den Holländer in einer weiterentwickelten Konzeption gesungen. Man kann Wagner ohne Probleme auch vergleichsweise leise singen.

Waldbühne in Sopot © Marcin Bencer

In Polen haben Sie außerdem Opernfestspiele initiiert: Das Baltic Opera Festival in Sopot an der Ostseeküste hätte bereits in diesem Jahr erstmals stattfinden sollen, wird nun aber voraussichtlich im kommenden Sommer starten.

Die Waldoper in Sopot ist 1909 entstanden. Sopot war damals eine deutsche Stadt. Hinter der offenen Bühne stehen Bäume, daher führte man zunächst romantische Opern auf, deren Handlung in Wäldern spielt. Ab 1921 wurden dort ausschließlich Wagner-Opern aufgeführt. Der Orchestergraben wird zwar nicht mehr genutzt, ist aber noch vorhanden. Die Waldoper galt als das „Bayreuth des Nordens“ – viele Sänger haben es damals über Sopot in das Bayreuther Festspielhaus geschafft. Weil das Festival von den Nationalsozialisten sehr forciert wurde, wollten die Kommunisten nach dem Zweiten Weltkrieg dort keine Oper mehr haben, und das Amphitheater wurde für Popkonzerte genutzt. Ich hatte bereits 2009, als ich dort zum hundertsten Jubiläum ein Konzert gab, die Idee, das Opernfestival zu reaktivieren, aber die Zeit war damals noch nicht reif. Der derzeitige Kulturminister-Stellvertreter ist nun ein Wagnerianer, und er hat sich stark für meine Idee eingesetzt. Sie liegt auf der Hand, weil es in Polen derzeit kein nennenswertes Opernfestival gibt. Wir würden aber nicht nur Wagner spielen. Die Spielstätte selbst ist phantastisch, ist 2012 renoviert worden und fasst fünftausend Plätze. Sie ist überdacht, wodurch sie sich von der Waldoper in Berlin unterscheidet, und hat eine unglaubliche Akustik.

Soll dort ohne elektronische Verstärkung gespielt werden?

Das wollen wir jedenfalls versuchen. Was aber viele Leute nicht wissen, ist, dass an vielen Opernhäusern auf dieser Welt, wie beispielsweise an der Opéra Bastille in Paris, ohnehin bereits dezent verstärkt wird. Wir sind mittlerweile technologisch in der Lage, ein wenig nachzuhelfen ohne groß verstärken zu müssen.

Welchen Stellenwert hat Richard Wagner in Polen?

Man spielt wegen der nicht gerade einfachen gemeinsamen Geschichte von Polen und Deutschland sehr selten Wagner oder Strauss. Das ist natürlich schade, denn wenn man nur Puccini oder Verdi spielt oder Moniuszko, der in der italienischen Tradition geschrieben hat, dann hat man keinen Vergleich – daher muss man diesen ermöglichen. Es freut mich sehr, dass sowohl der polnische Staatspräsident Andrzej Duda als auch der deutsche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier die Schirmherrschaft übernommen haben. Umso schöner wäre es gewesen, bereits in diesem Jahr zu starten, in dem wir das 30-jährige Jubiläum des deutsch-polnischen Nachbarschaftsvertrags feiern.

Innenhof des Stifts Neukloster in Wiener Neustadt © Tadeusz Krzeszowiak

Der kulturelle Brückenschlag ist auch beim Singfest Wiener Neustadt ein wichtiger Pfeiler in Ihrem Konzept.

Stimmt, das hat sich ebenfalls bei der Arbeit in der polnischen Botschaft ergeben. Wir haben neben dem polnischen viel österreichisches Repertoire gespielt. Außerdem hatten wir dort auch Gäste, beispielsweise waren Wolfgang Sobotka (ÖVP) oder Ernst Woller (SPÖ) zu Besuch, die unsere Musik genossen und unser Konzept mental unterstützt haben. Wenn etwas in der Lage ist, die Brücken zwischen unseren Nationen aufzubauen, dann ist es die Kultur.

Außerdem wollen wir jungen Menschen eine Möglichkeit bieten. Wir kooperieren daher mit der Opernakademie der polnischen Nationaloper in Warschau, wo Lech und ich gelegentlich unterrichten. Von dort werden beim Singfest Wiener Neustadt zwei Nachwuchstalente auftreten, Pawel Horodyski und Justyna Ołów, die demnächst nach Dresden in das Ensemble der Semperoper wechseln wird. Auf der österreichischen Seite haben wir Paul Schweinester, der sich unter anderem während der Pandemie als „singender Kurier“ einen Namen gemacht hat, und Sarah Marie Kramer. Es soll ein seliges Programm sein, das an den Möglichkeiten der jungen Sänger:innen ausgerichtet ist.

Wie sehen Sie den aktuellen Stellenwert der Hochkultur?

Wir Künstler müssen ständig für die Hochkultur kämpfen und zeigen, dass wir da sind. Es ist wie mit dem Bücherlesen: Anfangs muss man die Kinder überzeugen, aber dann sind sie glücklich. Ohne Hochkultur ist eine Nation armselig. Es war daher eine große Enttäuschung zu sehen, wie während der Pandemie mit der Kultur umgegangen wurde. Umso wichtiger ist, dass wir Künstler weitermachen. Hochkultur ist kein Luxus, sie ist ein Lebensmittel. Ich appelliere an alle führenden Personen dies zu verstehen und berücksichtigen.

Sie wollten ursprünglich Theaterregisseur werden und hätten sich diesen Traum in diesem Jahr als Regisseur des »Fliegenden Holländers» beim Baltic Opera Festival beinahe erfüllt. Im kommenden Sommer singen Sie allerdings wieder in Bayreuth – bleiben Ihre Regie-Pläne aktuell?

Mein Konzept steht, und die Entwürfe von Bühnenbildner Boris Kudlička und der Kostümbildnerin Dorota Roqueplo sind fertig. Vielleicht kann das im kommenden Jahr jemand für mich übernehmen, der die Inszenierung nach meinen Vorstellungen realisiert oder das Konzept sogar weiterentwickelt, mal sehen. Ich wäre in dieser Sache nicht eifersüchtig, ich möchte einfach nur ein gutes Theater auf die Bühne bringen.

Tomasz Konieczny ist ein ausgebildeter Schauspieler © Igor Omulecki

Wie sieht eine „gute“ Inszenierung für Sie aus?

Im Theater ist mir wichtig, dass Perspektiven gezeigt werden – sowohl jene der Figuren als auch des Werks selbst. Ich habe immer wieder festgestellt, dass die Technologie allzu oft zum Feind der Theatersprache wird. Eine Nation, die Regisseure wie Tadeusz Kantor oder Jerzy Grzegorzewski hervorgebracht hat, muss in der Lage sein, geeignete Theatermittel auf der Bühne zu zeigen. Mir persönlich gefallen Theatergeräte, da bin ich von Bertolt Brecht beeinflusst, und auch von Kantor, der häufig Puppen eingebunden hat. Ich denke dabei beispielsweise an Kantors Inszenierung von «Die tote Klasse» («Umarła klasa», 1975), die von der Dorfbevölkerung, der das Werk gezeigt wurde, trotz ihres avantgardistischen Charakters als völlig authentisch verstanden wurde und diese zu Tränen gerührt hat. Man benutzt also die Theatersprache, um beim Publikum einen Effekt zu erzielen.

Es ginge Ihnen also nicht darum, ein Werk „werkgetreu“ nach dem Libretto, gleichsam naturalistisch, auf die Bühne zustellen.

Nein, absolut nicht. Peter Konwitschny ist ein gutes Beispiel. Er hat sich oft nicht an das Libretto gehalten, und dennoch hat man alles verstanden, weil er sich an der Musik orientiert hat. Im Vergleich zur Musik ist das Libretto ja häufig schwach, denken Sie etwa an die «Zauberflöte».

Wird man in Sopot Ihre Übersetzungen lesen können? Sie übersetzen ja Wagner-Opern ins Polnische.

Daran arbeite ich seit Jahren, das stimmt. Mir geht es dabei aber um sangbare Texte, das heißt die Silben müssen übereinstimmen. Die Hälfte von «Rheingold» und einiges von «Walküre» habe ich bereits geschafft, außerdem habe ich an Mahlers «Kindertotenlieder» fertig übersetzt und bin ehrlich gesagt ziemlich stolz auf das Ergebnis. Singen werde ich meine eigene Übersetzung aber vorerst nicht – es scheint derzeit kein Bedarf zu bestehen.

Sie sind österreichischer Kammersänger und Ehrenmitglied des Wiener Richard-Wagner-Verbands, kurzum ein Wiener Publikumsliebling. Obwohl Sie in der Blüte Ihres Schaffens stehen, sind Sie auf den aktuellen Besetzungslisten der neuen Wiener Staatsoperndirektion nicht zu finden. Woran liegt das?

Man sagt, ich hätte unter der vorigen Direktionen der Wiener Staatsoper zu viel gesungen. Für die übernächste Spielzeit ist allerdings wieder etwas geplant, mehr kann ich dazu noch nicht sagen. Ich betrachte die Wiener Staatsoper, an der ich in zweihundert Vorstellungen gesungen habe, als meine künstlerische Heimat und hoffe daher sehr, dass es so bleibt.


Das Interview wurde am 9. Juli 2021 im Cafe Strozzi in Wien geführt


Das Singfest Wiener Neustadt vom 25. bis 27. August wird vom Verein Migrart organisiert. Tomasz Konieczny ist der Initiator und künstlerische Leiter. Er wird am 26. August gemeinsam mit dem Pianisten Lech Napierała einen Liederabend geben, und auch beim Abschlusskonzert am 27. Aguust zu hören sein. Das Singfest Wiener Neustadt soll in den kommenden Jahren stets Ende August oder Anfang September im Stift Neukloster in Wiener Neustadt stattfinden. // migrart.at/singfest-wiener-neustadt 

Konzertbeginn ist jeweils 20 Uhr, Karten können u.a. per E-Mail unter office@migrart.at bestellt werden.
 

Weiterführende Links

Baltic Opera Festival // balticoperafestival.com

Der polnische Online-Liederworkshop von Tomasz Konieczny und Lech Napierała kann mit deutschen und englischen Untertiteln hier gestreamt werden // songmasterclass.org
 

Liederalben von Tomasz Konieczny und Lech Napierała

  • Schuberts «Winterreise» mit polnischen Texten von Stanisław Barańczak (Fryderyk Chopin Institute)
  • «Between Death and Love» mit Liedern von Sergei Rachmaninow und Modest Mussorgski
  • «Song & Sonnets», Lieder von Romuald Twardowski
  • in Vorbereitung: «Winterreise» in der deutschsprachigen Originalfassung