Bayreuther Festspiele

Am Gestühl wird nicht gerüttelt

Ulrich Jagels, seit April 2021 Geschäftsführer der Bayreuther Festspiele, spricht über das gegenwärtige Hygienekonzept, künftige Baumaßnahmen und wie er die Auswirkungen der Pandemie auf die Opernbranche insgesamt einschätzt

Stephan Burianek • 09. August 2021

Ulrich Jagels © Enrico Nawrath

Bei Ihrer Bestellung haben Sie gesagt, Sie freuen sich auf die Atmosphäre hier. Nun haben Sie die erste Festspielwoche hinter sich – wie sehr gefällt ihnen die Atmosphäre jetzt noch?

Die Atmosphäre ist wunderbar. Aufgrund der besonderen Umstände, unter denen die Festspiele in diesem Jahr stattfinden, war das ja lange nicht absehbar. Ich erlebe das Publikum hier in einer überaus entspannten Atmosphäre, die Leute nehmen sich Zeit, und ich denke, es funktioniert alles sehr gut.

Wie steht es um die Finanzen der Festspiele? Im vergangenen Jahr war zu lesen, dass Ihnen 15 Millionen aus Einnahmen fehlten.

Das vergangene Jahr ist gut aufgegangen. Wir hatten zwar keinerlei Umsatzerlöse, hatten andererseits aber deutlich geringere Ausgaben, sodass wir das Jahr 2020 mit einem geringen Überschuss von 477.000 Euro abschließen konnten. Für dieses Jahr bin ich erst einmal sehr dankbar dafür gewesen, dass sich die Gesellschafter sehr frühzeitig zu den Festspielen bekannt haben und auch für ein Szenario mit noch weniger Besuchern die erforderlichen Mittel bereitgestellt hätten. Dabei ging es nicht nur um die befürchteten Erlösausfälle, sondern auch um die Mehrkosten mit den Corona-Präventionsmaßnahmen. Letztlich haben wir aufgrund unseres Hygienekonzepts doch die Zustimmung bekommen, im Festspielhaus statt vor minimal 235 immerhin vor 911 Personen spielen zu dürfen und werden daher weniger Mittel der Gesellschafter in Anspruch nehmen müssen.

Sie haben in einem Interview gesagt, dass Sie das Hygienekonzept laufend evaluieren und eventuell anpassen werden. Ist diesbezüglich etwas geplant?

Es kann jederzeit der Fall eintreten, dass Anpassungen, in beide Richtungen, vorgenommen werden. 

Die Regeln sind bereits sehr streng, immerhin muss man selbst bei Ihrer Freiluftveranstaltung „Rheingold – Immer noch Loge“ trotz Abständen FFP2-Masken aufhaben. Inwieweit ließe sich das überhaupt noch verschärfen?

Wir haben unser Konzept sehr streng ausgerichtet und ich denke, es ist richtig, so engmaschig zu fahren. Wir sehen bei unseren Mitarbeitern tägliche Testungen durch Schnelltest oder PCR-Tests vor und haben beim Publikum den aufwendigen Registrierungsprozess, wo wir sehr genau auf die Nachweise schauen. Der Spielraum für weitere Verschärfungen ist tatsächlich gering.

Eine tägliche Testung der Mitarbeiter klingt teuer.

In Bereichen, in denen die Abstandsregeln eingehalten werden können, wie in der Verwaltung und Technik, kommen tägliche Schnelltests zur Anwendung. Wenn das, etwa aus künstlerischen Gründen, nicht möglich ist, machen wir tägliche PCR-Tests. Wie auch andernorts üblich, werden dabei mehrere Proben in einem Testverfahren zusammengeführt, um Kosten zu sparen. Im Fall einer positiven Testung kann man das weiter auflösen und genau zuordnen. Die genauen Kosten kann ich Ihnen jetzt nicht benennen.

Viele internationale Besucher bleiben in diesem Jahr wegen der Reisebestimmungen lieber zuhause, und anderen ist womöglich das Hygienekonzept zu mühsam. Wird es diesmal wieder eine volle Auslastung geben?

Ja, wir sind praktisch ausverkauft – es gibt derzeit nur einige wenige Restkarten für die beiden Konzerte von Andris Nelsons. Es könnte sein, dass noch der eine oder andere Rückläufer kommt, der dann nochmal in den Verkauf gelangt. Und das, obwohl wir erst am 4. Juli mit dem Vorverkauf beginnen konnten, der ausnahmsweise über den Online-Sofortverkauf erfolgt ist.

Bereits in der Vergangenheit wurden gelegentlich Festspiel-Tickets über einen Webshop verkauft. Überlegen Sie, diesen Vertriebsweg künftig auszubauen?

Über Vertriebswege werden wir intern immer wieder diskutieren, aber ich beabsichtige nicht, das Bestellverfahren grundsätzlich zu ändern. Die Möglichkeit eines Sofortkaufs von Tickets wird es auch in Zukunft geben, aber wir haben viele Gäste, die schon lange auf Tickets warten. An diesen Wartezeiten wird nicht gerüttelt.

Das Festspielhaus ist ein Juwel, aber leider nicht barrierefrei © Enrico Nawrath

In den vergangenen Jahren wurde die Fassade des Festspielhauses renoviert, nun steht die Innensanierung an. Welche Bereiche sollen saniert werden?

Es sind sehr umfassende Sanierungsarbeiten notwendig, die sich über viele Jahre hinziehen werden. Wir können sicherlich von einer Dekade ausgehen, in der zwischen den Festspielzeiten sehr intensiv gebaut werden wird. Im Vordergrund der nächsten Sanierungsschritte steht weiterhin der Brandschutz. Hier sind Erneuerungen vorzunehmen, insbesondere im Bereich der Sprinkleranlage der Bühne, an der wir bereits zu arbeiten begonnen haben. Auch im Bereich der Barrierefreiheit müssen Verbesserungen erfolgen. Daher werden wir im Herbst damit beginnen, im Treppenturm an der Ostseite [Restaurant-Seite, Anm.] Vorbereitungen für den Einbau eines Aufzugs zu treffen, der von außen nicht sichtbar sein wird. In einem weiteren Bauabschnitt planen wir eine barrierefreie Verbindung zum Terrassenbereich des Festspielrestaurants. 

Sind auch Änderungen bei der Bestuhlung geplant?

Nein, der Zuschauerraum bleibt grundsätzlich so, wie er jetzt ist. Es wird keine Änderung am Gestühl geben, wir wollen auch keine anderen Veränderungen, die Einfluss auf die phantastische Akustik nehmen könnten. 

Und wohl auch Einfluss auf die Anzahl der Sitzplätze: Nach derzeit geltenden Brandschutzregeln müsste man vermutlich einen Mittelgang bauen, um die Fluchtwege zu verkürzen. Das würde einen zusätzlichen Zugang über die Logen erfordern – das ist eigentlich nicht denkbar, oder?

Ja, es stehen hier auch Überlegungen im Zusammenhang mit dem Denkmalschutz im Vordergrund. 

Sind die Finanzen für die Sanierungsarbeiten geklärt?

Sowohl der Freistaat Bayern als auch der Bund haben ihre Bereitschaft erklärt, für die Sanierungen jeweils 85 Millionen Euro bereitzustellen. Derzeit arbeiten wir daran, die dafür notwendigen formalen Voraussetzungen zu schaffen und eine Finanzierungsvereinbarung vorzubereiten.

Inwieweit profitieren Sie bei diesem Vorhaben von Ihrem letzten Job als Verwaltungsdirektor an der Oper Leipzig, wo Sie u.a. für die Sanierung der Musikalischen Komödie verantwortlich waren?

Bauprozesse laufen grundsätzlich ähnlich ab, insofern profitiere ich natürlich von meinen Erfahrungen. Insgesamt wurden dort rund 20 Millionen Euro verbaut. Der letzte Bauabschnitt an der Musikalischen Komödie war mit einer Investition von zehn Millionen Euro damals die größte Baumaßnahme, die ich zu verantworten hatte. Die Maßnahmen in Bayreuth haben ein größeres Volumen, und wir werden ganz genau darauf schauen müssen, dass wir die Bauabschnitte so wählen, dass sie jeweils für die zur Verfügung stehenden neun Monate umsetzbar sind.

In den vergangenen Monaten sind wegen der Pandemie unzählige Milliarden in öffentliche Wirtschaftshilfe geflossen – dieses Geld wird wieder eingespart werden müssen. Erfahrungsgemäß sind in solchen Fällen zuerst die Bereiche Bildung und Kultur betroffen. Vor Leipzig waren Sie der Verwaltungsdirektor an den Städtischen Theatern Chemnitz, kennen also die Situation an mittelgroßen Theatern. Welche Konsequenzen erwarten Sie für die Opernbranche in den kommenden Jahren?

Der finanzielle Druck auf die Theater wird durch die Ausgaben, die durch die Pandemie verursacht wurden, wachsen. Ich hoffe aber sehr, dass auf politischer Seite das Bewusstsein dafür wach bleibt, wie wichtig die Angebote der Musiktheater für die Menschen sind. Ich glaube, dass der Wunsch der Menschen nach der Unmittelbarkeit und dem Live-Erlebnis nach wie vor stark ist. Insofern denke ich schon, dass das Musiktheater weiterhin eine große Perspektive hat.

Im deutschsprachigen Raum gibt es derzeit rund 100 Opernhäuser. Wie viele wird es in fünf bis zehn Jahren noch geben?

Ich kann mir vorstellen, dass es weitere Zusammenschlüsse geben könnte, ähnlich wie das auch in den vergangenen 20 Jahren zu beobachten war, um Einsparungen zu erzielen. Ich erwarte aber in den kommenden Jahren nicht die Schließung von Opernhäusern. 

Zurück zu den Bayreuther Festspielen: Sind für künftige Festspieljahre bereits Künstlerverträge unterzeichnet oder fahren Sie derzeit noch auf Sicht?

Wir bereiten den «Ring» für das kommende Jahr vor, der bereits in diesem Jahr intensiv geprobt wird. Darüber hinaus konkretisieren sich die Planungen über 2022 hinaus, etwa für den im Jahr 2023 geplanten «Parsifal» in der Regie von Jay Scheib. Auch hier gehen wir davon aus, dass wir die Pandemie überwunden haben. Andererseits glaube ich, dass wir das eine oder andere schon noch mit uns mittragen werden – auch ohne die Verpflichtung zum Tragen von Masken werden Masken im Publikum künftig normal sein, weil das manche Menschen von sich aus wollen. Wir erwarten im kommenden Jahr eine volle Besetzung des Zuschauerraums. Sollte das nicht gehen, werden wir aufgrund der Erfahrungen aus diesem Jahr in der Lage sein, das Hygienekonzept dementsprechend anzupassen.

In den ersten Jahren unter der Leitung von Katharina Wagner und Eva Wagner-Pasquier wurde jeweils jene Produktion, die zum letzten Mal bei den Festspielen zu sehen war, im Rahmen einer „Public-Viewing“-Veranstaltung auf die Leinwand übertragen. Mittlerweile wird die Premiere der jeweiligen Neuproduktion über das Fernsehen bzw. Streamings in die Welt gesendet. Zerstört man damit nicht ein wenig den Reiz des Neuen? Kannibalisiert man sich damit auf lange Sicht nicht selbst?

Das glaube ich nicht. Die Nachfrage nach Tickets ist nach wie vor viel größer als die Menge, die wir zur Verfügung stellen können, und es ist wichtig, dass möglichst viele Menschen daran teilhaben können. Die digitalen Formate umfassen ja nicht nur den Stream der Aufführung, sondern beispielsweise auch Einführungsvorträge. Sie werden daher stets eine wichtige Ergänzung darstellen. Was die letzten Produktionen betrifft: Die Deutsche Grammophon hat die Produktionen der vergangenen Jahre auf ihrer Seite verfügbar.

Die «Walküre»-Schüttbilder verbleiben im Eigentum des Künstlers © Enrico Nawrath

Am Ende der diesjährigen Festspiele wird es viermal drei Schüttbilder von Hermann Nitsch geben. Man hört, dass eines der Bilder der Stadt Bayreuth geschenkt wird. Was wird mit den restlichen geschehen? Gehören diese Werke den Bayreuther Festspielen? 

Die Schüttbilder sind im Eigentum von Herrn Nitsch, der die Bilder von der Premiere der Stadt Bayreuth als Dauerleihgabe zur Verfügung stellen wird. Der Rest bleibt im Eigentum der Nitsch Foundation und können von ihr verwertet werden. 

Die Bayreuther Festspiele bekommen davon nichts?

Von den großen Bildern bekommen die Festspiele keine, aber von den mehrteiligen Bodenbildern erhalten wir drei Teile. 

Wo werden die dann zu sehen sein?

Darüber haben wir noch gar nicht beraten. Jetzt müssen die Bilder erstmal fertig werden.


Das Interview wurde am 3. August 2021 auf der Terrasse des Festspielrestaurants geführt.