Theater Dortmund

Frédégonde heisst die Kanaille

Deutsche Erstaufführung einer vergessenen französischen Oper von Ernest Guiraud und Camille Saint-Saëns

Roberto Becker • 24. November 2021

Sergey Romanovsky (Mérowig) und Anna Sohn (Brunhilda) bilden ein mitreißendes Liebespaar © Björn Hickmann, Stage Picture

Wenn es eine Rangliste der bösartigsten Frauengestalten der Opernliteratur gäbe, dann hätte Frédégonde gute Chancen, ziemlich weit oben zu landen. Für sie ist es sozusagen ein Glück, dass sie so gut wie unbekannt geblieben ist, obwohl die Oper, die für diesen Spitzenplatz sorgen könnte schon 1895 in Paris an der Académie Nationale de Musique uraufgeführt wurde. 

Aber die Rezeptionsgeschichte geht bekanntlich ganz eigene Wege, ließ schon manches einst erfolgreiche Werk auf Nimmerwiedersehen verschwinden oder eben auch mal wieder auftauchen. Dafür müssen dann der Reiz des Werkes, die Ambitionen einer Intendanz und die Neugier des Publikums zusammentreffen. Bei herumreisenden Kritikern rennt man mit Wiederentdeckungen eh offene Türen ein. Wie jede andere Premiere der letzten Monate muss auch ein solch kühner Plan, wie eine Deutsche Erstaufführung der fünfaktigen «Frédégonde» von Ernest Guiraud und Camille Saint-Saëns alle Klippen der obendrein dynamischen Pandemiebekämpfung einpreisen und die Zeitfenster erwischen, die eine dilettierende Politik lässt, in denen das Ganze vorbereitet, einstudiert und letztlich auch vor Publikum gespielt werden kann. 

In der Oper Dortmund, in der dieses französische Königinnen-Drama jetzt über die Bühne ging, ist all das in die Ästhetik der Inszenierung eingeflossen. Zu der Melange gehört zunächst die schmale Spielfläche an der Rampe. Dahinter sind die Dortmunder Philharmoniker und ihr Chef Motonori Kobayashi sichtbar postiert. Auf einer riesigen Leinwand, die das Bühnenportal einnimmt, wird die filmische Dimension des Geschehens hinzugefügt. Die Zuschauer sind auf die Rangplätze verwiesen. Das Parkett ist für den Chor mit seinen von Fabio Mancini einstudierten machtvollen Beiträgen reserviert. 

Damit hat Dortmund auch so etwas wie eine Raumbühne, die gleichsam die Draufsicht auf ein unbekanntes Werk ermöglicht. Akustisch ist die besondere Verteilung der Akteure und musikalischen Großkollektive im Raum ein Vorteil. Den optischen Eindruck dominiert der Film, für den die französische Regisseurin Marie-Eve Signeyrole und Laurent La Rosa ebenfalls Regie geführt haben.  An der Rampe genügen eine lange königliche Tafel und auf der rechten Seite ein Tisch für eine Schachpartie, die Frédégonde und ihrer Konkurrentin Brunhilda sozusagen metaphorisch ihr Leben lang im Schwarz-Weiss-Kontrast miteinander austragen. Die Filmaufnahmen profitieren vom idyllischen Reiz des Wasserschlosses Bodelschwingh der Familie zu Knyphausen, dessen historisches Charisma der Phantasie bereitwillig die Tore öffnet. Gedreht wurde im April 2021 meist unter freiem Himmel - Stummfilmstar zu werden, war eine der unerwarteten Herausforderungen für die Protagonisten, die sie durchweg beindruckend bewältigt haben. 

Das Ambiente des Schlosses und die Kostüme, die die in Berlin geboren Kostümbildnerin Yashi vor allem für die Protagonistinnen historisch inspiriert geschaffen hat, aber auch die königliche Tafel, die Fabien Teigné auf der schmalen Spielfläche für die live auftretenden, oft die Aktionen im Film auf die Bühne verlängernden Sänger platziert hat, fügen sich zu einer Atmosphäre, in der das Duell der zwei Königinnen glaubwürdig erzählt wird. 

Anna Sohn (Brunhilda) wird von Hyona Kim (Frédégonde) ihres Kopfschmucks beraubt © Björn Hickmann, Stage Picture

In dem auf Begebenheiten des frühmittelalterlichen Frankreich beruhenden Historiendramas stehen sich, nach ziemlich verworrener Vorgeschichte, die mit skrupellosen Mitteln aus niederen Verhältnissen zur Königin von Neustrien aufgestiegene Frédégonde und die von ihr besiegte Königin von Austrasien Brunhilda gegenüber. Eine Konstellation, die durchaus an Elisabeth I. und Maria Stuart erinnert. In Dortmund wird eine metaphorische Schachpartie gespielt. Von den beiden Frauen. Im Park des Schlosses. Und überhaupt. Wer sich mit Schach auskennt, dem würden vielleicht sogar die Züge etwas sagen, die Brunhilda einmal ihrem Geliebten bei einer Kahnfahrt auf den nackten Rücken schreibt. Es ist Prinz Mérowin, der Stiefsohn der bösen Königin, der die gefangene Brunhilda eigentlich im Kloster abliefern soll, sich dann aber nicht nur in sie verliebt, sondern sie gegen den erklärten Willen des Königs heiratet. Danach bleibt beiden kein anderer Ausweg als Kirchenasyl. In einer zentralen, von Saint-Saëns komponierten Szene überredet Frédégonde ihren Mann dazu, Mérowings Auslieferung, und sei es durch falsche Versprechungen, zu erzwingen. Hier malt der Film die Drohungen drastisch aus. Am Ende, nach der Verurteilung zur Verbannung, stürzt sich Mérowing selbst in das Messer in Frédégondes Händen.  

Drei Akte sind von Ernest Guiraud (1837-1892) bei seinem Tod hinterlassen worden, mit zwei weiteren hat Camille Saint-Saëns (1835-1921) das Drame lyrique komplettiert. Außerdem wirkte Paul Dukas (1865-1935) bei der Instrumentierung mit – ein schönes Beispiel von Kollegialität. Und es klingt zudem auch noch wie aus einem Guss – inklusive einem zeitbedingten, von Ferne nachhallenden Einfluss Richard Wagners. Für Frankreich war der Name Brunhilda zu wagnernah, um der Oper als Titel zu taugen. 

In Dortmund wirft sich das ganze Ensemble mit Lust in das französische Pathos. Vor allem Hyona Kim zieht in der Titelpartie alle Register von Machtgier, Rachelust und reiner Bosheit. Anna Sohn hat als Brunhilda zwar mit dem Prinzen ihre Liebe gefunden, aber die Gemeinsamkeit des Asyls nach der prunkvollen Hochzeit im Schlosspark währt nicht lange. Sergey Romanovsky ist in Stimme und Gestalt ein so überzeugender Prinz, dass die Leidenschaften, die er entfacht, nur zu verständlich sind. Mandla Mndebele kommt zwar im goldenen Königsdress daher, hat bei Frédégonde aber nicht wirklich das letzte Wort. Ebenfalls zwischen die Fronten gerät Denis Velev als Bischof Prétextat, der mit seiner Loyalität zum Prinzen die Gunst des Königs verspielt. Insgesamt stellen sich alle dem französischen Idiom mit Hingabe. Das Publikum zog vor allem der Sog der Musik, den das Orchester in aller Pracht aufleuchten ließ, und das eloquente Pathos der Leidenschaften in den Bann. Der Beifall war entsprechend.

 

«Frédégonde» - Ernest Guiraud, Camille Saint-Saëns
Theater Dortmund ∙ Opernhaus

In Kooperation mit Palazzetto Bru Zane

Kritik der Premiere am 20. November 2021
Termine: 27. November 2021, 7./22. Mai 2022

Der Takt 1-Stream der Premiere ist kostenpflichtig verfügbar unter https://www.takt1.de/video/stream/theater-dortmund-fredegonde