Offener Brief zum Bauvorhaben Opernhaus

Stellungnahme der Personalvertretung zur Standortfrage der Ausweichspielstätte. Beschäftigte des Staatstheaters fordern Nürnberger Stadtrat zu schneller Entscheidung auf

Staatstheater Nürnberg • 26. November 2021

Von: Staatstheater Nürnberg

In der Diskussion um das Bauvorhaben Opernhaus und die Suche nach einem geeigneten Standort für die Ausweichspielstätte melden sich die Beschäftigten des Staatstheaters Nürnberg zu Wort. In einem öffentlichen Brief an den Stadtrat appelliert die Personalvertretung an die Politik, in der Stadtratssitzung am 15. Dezember 2021 eine Entscheidung über das Opern-Interim zu treffen.

Besonders kontrovers wird derzeit in der Öffentlichkeit die Frage diskutiert, ob die Ausweichspielstätte für das Musiktheater in die Nürnberger Kongresshalle ziehen darf. In dem offenen Brief der Personalvertretung des Staatstheaters an den Nürnberger Stadtrat heißt es:

„In den letzten Wochen ist in Nürnberg viel über das Bauvorhaben Opernhaus und eine mögliche Interims-Spielstätte für Oper und Ballett in der Kongresshalle debattiert worden. Viele Bürger*innen haben sich dabei zu Wort gemeldet. Nach der Meinung der 650 Beschäftigten zu diesen Projekten, die massiv sowohl in deren Arbeitsalltag als auch in die Zukunft ihrer Arbeitsplätze eingreifen, hat bisher niemand gefragt. Als Personalrät*innen des Staatstheaters Nürnberg möchten wir im Namen unserer Kolleg*innen Folgendes feststellen:

  1. Die Zeit drängt, aber das Staatstheater und seine Beschäftigten sind nicht dafür verantwortlich, dass wichtige und unbequeme Entscheidungen über Jahrzehnte verschleppt wurden.
  2. Wir befürworten ausdrücklich eine verantwortungsbewusste kulturelle Nutzung der Kongresshalle und damit auch eine Interims-Spielstätte in der Kongresshalle – gerade deshalb, WEIL wir uns die künstlerische Auseinandersetzung im Sinne einer Erinnerungskultur zutrauen.
  3. Wir sind das größte Mehrspartentheater in ganz Bayern und müssen uns mit unseren Erfolgen nicht verstecken. Es wäre eine lang ersehnte und verdiente Wertschätzung, uns auch in einem Interim angemessene Arbeitsmöglichkeiten zu erlauben.
  4. Wir sind kein Bestandteil der Unterhaltungsbranche, sondern haben einen kulturpolitischen Bildungsauftrag. Diesem Auftrag wollen wir in Zusammenarbeit mit Expert*innen aus den Bereichen Geschichte und Erinnerungskultur besonders wirksam gerecht werden.
  5. Gute Beispiele für einen zeitgemäßen Umgang mit nationalsozialistischen Gebäuden gibt es in der Stadt bereits: der Z-Bau (SS-Kaserne), der Konzertsaal der Nürnberger Symphoniker sowie der Serenadenhof in der Kongresshalle und natürlich das Dokumentationszentrum. Hier sind kluge Nutzungskonzepte aufgegangen und wurden und werden zu Recht nicht infrage gestellt. Warum sollte die Idee einer kulturellen Nutzung der Kongresshalle durch das Staatstheater nicht gelingen?

Die Arbeitsbedingungen am Staatstheater entsprechen schon seit Jahrzehnten nicht mehr den geltenden Vorschriften. Wir verstoßen gegen die Arbeitsstättenverordnung, das Arbeitsschutzgesetz, den Brandschutz und den Lärmschutz. Wir lieben unsere Arbeit am Staatstheater und gehen produktiv und gelassen mit den vielen Einschränkungen um. Aber wir könnten so viel mehr, wenn wir in einer zeitgemäßen Infrastruktur arbeiten dürften!

Was ist daran so schwer zu verstehen, dass der bevorstehende Umbau des Opernhauses kein „nice-to-have“ ist, sondern der dringend benötigte, seit Jahrzehnten immer wieder geforderte und sehnlichst erwartete Mindeststandard?

Noch dringlicher ist aktuell aber die Frage nach einer Interims-Spielstätte, denn wir werden 2025 aus dem Opernhaus ausziehen müssen und Planung und Bau eines Interims benötigen natürlich einen entsprechenden Vorlauf. Wer ein Opern-Interim nicht in der Kongresshalle sehen möchte, muss JETZT eine Alternative benennen. Wir sehen diese Alternative nicht. Obwohl es eine gründliche Prüfung aller möglichen Standorte gegeben hat, ist keiner darunter, der auch nur annähernd so geeignet ist wie die Kongresshalle.

Natürlich müssen noch viele Fragen beantwortet werden. Am Anfang von allem steht aber der Mut, das größte Kulturprojekt der Stadt Nürnberg zu entwerfen und vor allem es zu ermöglichen.

Wird uns etwa ein zeitgemäßer Umgang mit der Kongresshalle nicht zugetraut? Es ist doch unser Tagesgeschäft einer jeden Spielzeit, historische und zeitgenössische Werke in Einklang mit der Gegenwart zu bringen! Wir inspirieren unser Publikum jeden Tag, wir wecken Emotionen, regen zum Nachdenken an und geben wichtige Impulse für aktuelle gesellschaftliche Debatten, in Balletten, Symphonien, Komödien, Operetten oder Barock, Klassik, Moderne und Avantgarde. In jedem Stück zeigen wir die Möglichkeit zur Transformation der Gesellschaft. 

Warum sollen ausgerechnet wir nicht in der Lage sein, dem Hass der Nazis das entgegen zu setzen, was sie am meisten fürchten mussten: aufgeklärte, selbständig denkende Menschen, die durch ihre Bildung immun sind gegen Ideologien, Hass und Gewalt. Wir haben in Vergangenheit und Gegenwart bewiesen, wie produktiv wir mit solchen Themen umgehen, gerade erst wieder mit der Veranstaltungsreihe „Kein Schlussstrich!“ zu den NSU-Morden und dem dokumentarischen Projekt im Saal 600 zu den Nürnberger Prozessen.

Die Kongresshalle bietet die Chance für ein Plädoyer für Menschenrechte in der Stadt der Menschenrechte, wie es dies nirgendwo auf der Welt jemals gab oder geben könnte. Anstatt in Zweifel zu ziehen, dass Kunst und Kultur dieses Gebäude transformieren könnten, sollten wir gemeinsam über eine künftige Erinnerungskultur sprechen.

Wir, die Personalvertreter*innen des Staatstheaters Nürnberg, bestehen auf der Einhaltung der Tagesordnung der Stadtratssitzung am 15.12.2021. Denn unser Spielbetrieb endet spätestens 2025, weil seit Jahrzehnten nicht einmal die Planung einer Sanierung stattgefunden hat. Deshalb braucht es JETZT eine Entscheidung für das Bauvorhaben!“