Landestheater Linz

Bei den Proben, da wird gefeiert

Wird die erste «Aida»-Inszenierung des Linzer Landestheaters seit 50 Jahren zugleich seine letzte sein?

Stephan Burianek • 30. Dezember 2021

Glitter & Gold am Ende des zweiten Akts © Herwig Prammer

Fast auf die Woche genau vor 150 Jahren, am 24. Dezember 1871, fand in Kairo die Uraufführung von Verdis «Aida» statt. Kaum eine andere Oper eignet sich in Zeiten von orchestral reduzierten und gekürzten Fassungen besser für ein kräftiges Lebenszeichen des Musiktheaters als dieses Meisterwerk, das mit seinem Triumphmarsch, den Tanzeinlagen sowie großen Chorstellen einerseits die Schaulust bedient und andererseits mit einem schnörkellos erzählten Dreiecksbeziehungsdrama die allgemeine Essenz der Kunstform Oper, die Emotion, auf den Punkt bringt.

Diesen Kontrast sichtbar zu machen war Sabine Hartmannshenn in der ersten «Aida»-Neuinszenierung des Linzer Landestheaters seit 50 Jahren ein Anliegen. Aber nicht nur das: Wie die meisten ihrer Berufskolleg:innen fühlte sich die Regisseurin mit diesem Werk offensichtlich nicht besonders wohl. Zu tief, sagt der aktuelle Political-Correctness-Mainstream, stecke in diesem Werk der koloniale Mief des 19. Jahrhunderts, und die Verkleidung von Nicht-Nordafrikanern als Nordafrikaner sei außerdem rassistisch. Daher haben sich auf mitteleuropäischen Bühnen Tricks eingebürgert, um der genialen Musik doch noch eine szenische Legitimation zu geben. Andrea Moses hat die Oper kürzlich in Berlin in einem Völkerkunde-Museum spielen lassen und die politische Komponente aus heutiger Sicht durchaus originell auf die Bühne gebracht (OPERNNEWS-Rezension). Solche Kniffe erschöpfen sich freilich irgendwann, und Hartmannshenns Lösung, die Oper in Linz einfach als Probensituation zu inszenieren, ist nicht neu: Das Theater Kiel hat derzeit beispielsweise eine durchaus gelungene Produktion von Puccinis «Madama Butterfly» im Repertoire (Inszenierung: Joachim Rathke), die aus ähnlichen Gründen ebenfalls auf eine Probensituation ausweicht. 

Elena Batoukova-Kerl verteilt Kekse an den Chor © Herwig Prammer

Die Darsteller:innen spielen also Darsteller:innen, die das Werk in einer musealen Bühnenästhetik einstudieren. Passend dazu klangen die Solist:innen bei der Premiere in Linz zunächst genau so, nämlich nicht ganz bei der Sache. Elena Batoukova-Kerl tastete sich als Pharaonentochter-Sängerin anfangs leise heran, und obwohl Sung-Kyu Park als Radames-Sänger von Beginn an seine kräftige, strahlende Mittellage präsentierte, klang seine „Celeste Aida“-Auftrittsarie technisch wenig ausgefeilt. Die beiden sind in Hartmannshenns Geschichte Mitglieder eines Opernensembles, zu dem die Darstellerin der Aida als anfangs nervöse Gastsängerin hinzustößt. Die ist in Linz freilich eher Wikinger-Hünin als südländische Prinzessin, unabhängig davon füllt Sonja Šarić den Raum des Linzer Musiktheaters stimmlich mit ihrem schlanken, dramatischen Sopran, der über eine erfreuliche technische Wendigkeit verfügt, gut aus. Schade nur, dass sie von der Kostümbildnerin Edith Kollath im Bestreben eines möglichst legeren Auftretens maximal unvorteilhaft in schwarze Leggins mit Kleidersack darüber gesteckt wurde. Vielleicht sollte das aber jene ironische Brechung unterstützen, mit der Hartmannshenn das eigentlich gar nicht lustige Werk laufend ins Lächerliche zieht: Die Aida-Sängerin verpasst beinahe ihren Einsatz, weil sie mit dem Radames-Darsteller turtelt, die Amneris-Sängerin verteilt Kekse an den Chor, während sie eigentlich ihren Angebeteten anschmachten sollte. Vermeintlich „lustig“ verpackt Hartmannshenn überdies ihren Kommentar zur „Blackfacing“-Debatte: Als die Maskenbildnerin die Aida-Sängerin pechschwarz anmalen möchte, verweigert diese verärgert ihre Zustimmung.

Sonja Šarić (Aida) und Adam Kim (Amonasro) sorgten für ein intensives Highlight © Herwig Prammer

Phasenweise bedient Hartmannshenn die Schaulust, wie im zweiten Bild des ersten Akts, der halbwegs szenisch im Tempel des Vulkan spielt. Die musealen Kulissen und die klischee-ägyptischen Kostümteile erwecken zwar einen bewusst komischen Eindruck, stimmungsvoller als die restliche Inszenierung wirkt diese Szene trotzdem. Der anschließende Tanz der maurischen Sklaven wird zur ausgelassenen Probenparty. Nach der Pause, im dritten und vierten Akt, werden die Mätzchen weniger, und bei leerer Bühne mutiert die Aufführung zum düsteren Kammerspiel. Das ist szenisch zwar fad, ermöglicht den Darstellern aber eine Konzentration auf die eigentliche Handlung, was zu den musikalischen Höhepunkten des Abends führt. Hochintensiv gerät das Duett zwischen der Titelheldin und Amonasro, der von Adam Kim makellos gesungen wird, und auch Elena Batoukova-Kerl dreht im dramatischen Finish mit vortrefflichen Spitzentönen an der Energieschraube. Aber es hilft wenig: Am Ende findet das Liebespaar nicht einmal in der Gruft zueinander – in der quasi-konzertanten Sterbensszene beschließt jeder sein Leben für sich.

Wie in Linz üblich, bildete das exquisite Orchester des Landestheaters am Premierenabend eine verlässliche Stütze. Markus Poschner dirigierte den von Enrico Calesso weitgehend einstudierten Klangkörper routiniert auf hohem Niveau, ein schlankes, transparentes Klangideal verfolgend, mit einer nahezu kristallin tönenden Ouvertüre zu Beginn. Der Opernchef war wegen einer pandemiebedingten Terminverschiebung – die Premiere hätte bereits am 20. November stattfinden sollen – kurzfristig für den ständigen Gastdirigenten eingesprungen. Calessio wird voraussichtlich die weiteren Vorstellungen ab dem 17. Januar dirigieren. Großartig klang zudem der voll besetzte Chor unter der Leitung von Elena Pierini

Und doch zeigte sich ebenso wie in Kiel nun auch in Linz, dass eine distanzierte Sicht auf das Werk nicht unbedingt den eigentlichen Zweck solcher Opern, nämlich zu berühren, unterstützt. Kürzlich wurde im chinesischen Fuzhou übrigens Puccinis «Turandot» vom Schanghaier Opernhaus mit großem Erfolg in einer sehr klassischen Bühnenästhetik gespielt – das chinesische Publikum reagierte alles andere als beleidigt. In unseren Breiten stellt sich hingegen bald die Frage, wie lange wir diese und ähnlich geartete Opern aus dem 19. Jahrhundert überhaupt noch sehen werden dürfen. Der Dramaturg Christoph Blitt schreibt im Foyer5-Magazin des Linzer Landestheaters, es sei wichtig, „dem Sinn eines Werkes für die jeweilige Zeit bei einer Inszenierung nachzuspüren.“ Vor diesem Hintergrund muss man nach dem Besuch der Linzer Inszenierung wohl oder übel zu dem Ergebnis kommen, dass die «Aida» heute keinen Sinn mehr macht. Sapperlot.

 

«Aida» – Giuseppe Verdi
Landestheater Linz ∙ Musiktheater/Großer Saal

Kritik der Premiere am 29. Dezember 2021
Termine: 6./17./21. Januar, 25. Februar, 4. März, 7./26. April, 3./17. Mai, 14. Juni, 3./6. Juli 2022