Tiroler Landestheater
Wenig Erotik beim Ensemblefest
In Innsbruck wird Angela Denokes Sicht auf Strauss' «Salome» gezeigt
Stephan Burianek • 26. Februar 2022

„Lass es mich berühren, dein Haar“, singt Salome bei Richard Strauss im Zuge ihres Annäherungsversuchs gegenüber Jochanaan, Johannes dem Täufer. In der Interpretation von Angela Denoke am Tiroler Landestheater hängt der Philosoph bei diesen Worten bereits lustvoll an der Brust der Prinzessin – die beiden extremen Charaktere könnten gegensätzlicher nicht sein, und doch werden sie von der Natur magisch angezogen.
Intensiv wirken in Innsbruck zur gleichen Zeit auch die vielschichtigen Klänge aus dem Orchestergraben – das Tiroler Symphonieorchester klingt ungemein präzise und wirkungsvoll, was im Dirigat seines Chefdirigenten Lukas Beikircher begründet liegt, der für eine mustergültige Farbbalance und perfekte Tempi sorgt. Trotz seiner leidenschaftlichen Spielweise wird das Orchester kaum laut, was den Sänger:innen entgegenkommt.
Angela Denoke ist in der Titelpartie schon oft selbst auf der Bühne gestanden und empfindet Empathie für Salome, die traditionell als egozentrische Femme fatale gesehen wird. Bei ihr ist die schöne Prinzessin das Opfer einer menschenverachtenden Umgebung. In Innsbruck wird die fordernde Partie von Jacquelyn Wagner gesungen, deren liedhafter Sprechgesang zunächst nur schwer gegen die dichte Partitur ankommt, auch wenn sie diese mit kräftigen Spitzentönen immer wieder erfolgreich durchbricht. Wagner teilt sich die Kraft gut ein und brilliert letztlich im langen Schlussmonolog. Mächtig besetzt ist ihr Counterpart Jochanaan mit Jochen Kupfer. Er ließ sich in der besuchten Vorstellung zwar wegen einer leichten Verkühlung ansagen, weiß aber selbst mit angezogener Handbremse imposant zu tönen.

Die beiden Protagonisten agieren in einer kalten Umgebung. Das Duo Timo Dentler und Okarina Peter, das auch für die Kostüme verantwortlich zeichnet, stellte eine freischwebende Wendeltreppe um ein turmartiges Metallgerüst auf die Drehbühne – eine Konstruktion, die immer wieder für Bewegung sorgt und die man als Symbol für die unendliche Menschheitsgeschichte um den Einfluss von Macht und Liebe deuten könnte. Sie spiegelt sich dahinter in einer kreisrunden Fläche, die wohl durch die im Werk angesprochene „Mondscheibe“ inspiriert ist und zugleich an eine menschliche Pupille denken lässt.
Kammersängerin Denoke zeigt in ihrer vielversprechenden Regiearbeit, die ganz nahe am Text inszeniert ist, einen meisterhaften Sinn für Personenführung. Das Treppengerüst sorgt zudem immer wieder für Bewegung, die vor allem Florian Stern, Ensemblemitglied des Hauses und ein wunderbarer Sängerschauspieler, als von der Schönheit seiner Stieftochter Salome geblendeter Tetrach Herodes zu nutzen versteht. Die verdiente Susanna von der Burg – seit 23 Jahren festes Ensemblemitglied – agiert als Herodes‘ Frau Herodias stimmlich wie darstellerisch idealtypisch an der Grenze zum guten Geschmack. In ein grässliches Paillettenkostüm gewandet, dringt ihre schrille, nach wie vor kräftige wiewohl ein gewisses Maß an Hysterie transportierende Stimme durch Mark und Bein.
Kurzum: In dieser Produktion zeigt das Tiroler Landestheater, was in ihm steckt – und was in ihm heranwächst: Mit einer kräftigen, klangschönen Stimme und guten Diktion singt John Jurgens den in Salome vernarrten Narraboth scheinbar mühelos. Die Entwicklung dieses jungen amerikanischen Tenors gilt es im Auge zu behalten. Eine Luxusbesetzung ist zudem Johannes Maria Wimmer als Erster Nazarener, ein österreichischer Bass, der seit zehn Jahren das Innsbrucker Ensemble veredelt.

Nicht teil des Ensembles, aber zweifellos an einem vielversprechenden Karrierebeginn steht Zsófia Mozer als Page der Herodias. Denoke macht aus dieser Hosenrolle eine Frau – androgyn im Auftreten, und doch als „Bunny“ mit Hasenohren und Bommelschwanz, hegt sie Gefühle für Narraboth. Der wiederum könnte die Jugendliebe Salomes gewesen sein, zumindest verbindet den Hauptmann mit der Prinzessin bei Denoke eine lange Beziehung. Das erschließt sich aufgrund einer stummen Rolle, Salome als Kind, mit der die Neo-Regisseurin Salomes unglückliche Vergangenheit sichtbar macht. Was für ein Drama!
Und der berühmte Schleiertanz? Obwohl Jacquelyn Wagner über die dafür nötigen körperlichen Vorzüge verfügt, gerät er für all jene, die auf die Darstellung koketter Sinnlichkeit hoffen, zur Enttäuschung. Stattdessen wird das Kind Salome als sexueller Spielball gezeigt – die höfische Gesellschaft braucht keine Erotik, um ihre Triebe zu befriedigen. Die bewusst nicht aufreizende Choreographie von Martine Reyn endet am Höhepunkt dennoch korpulierend – Salome bekommt, was sie gewohnt ist. Nur den prinzipientreuen Propheten bekommt sie nicht, was bei Denoke zu einem gruseligen, blutigen Finale führt – Herodes‘ Todesurteil kommt zu spät, Salome ist dem Tetrarchen zuvorgekommen.
«Salome» – Richard Strauss
Tiroler Landestheater ∙ Großes Haus
Kritik der Vorstellung am 24. Februar 2022
Weitere Termine: 2./6./13./18./20./30. März, 8./29. April, 7. Mai 2022
Hinweis: In einer früheren Version dieser Rezension wurde Angela Denoke als „Regiedebütantin“ bezeichnet. Das trifft nicht zu: Im September 2021 zeigte das Theater Ulm mit Janáčeks «Katja Kabanova» bereits eine Regiearbeit der österreichischen Kammersängerin.