Landestheater Linz

Der ewige Schrei nach Erlösung

In der oberösterreichischen Hauptstadt ist Richard Wagner stets ein Hörgenuss. Diesmal inszeniert Schauspieldirektor Stephan Suschke «Parsifal»

Stephan Burianek • 14. März 2022

Ralf Lukas sprang als Amfortas ein © Reinhard Winkler

Es gibt sie noch, die zischenden Wagnerianer, die ihre angebliche Ergriffenheit nach dem ersten Aufzug von Wagners «Parsifal» im Klatschen der Begeisterten gestört sehen. Im Linzer Musiktheater war der nur wenige Sitze entfernte Herr bei der Premiere allerdings chancenlos – vielleicht hatte das Publikum den Text von Christoph Blitt in der aktuellen Ausgabe des Foyer5-Magazins gelesen, in dem der Dramaturg des Landestheaters mit dem hartnäckigen Missverständnis aufräumt (nachzulesen unter diesem Link in der OPE[R]NTHEK). Wie selbstverständlich traten an diesem Abend außerdem die nach dem ersten Aufzug arbeitslosen Partien vor den Vorhang, um sich ihren Applaus abzuholen – überraschend, dass die Knappen, Gralsritter und Titurel (idealtypisch gebrechlich: William Mason) dann beim kollektiven Schlussapplaus nochmals in voller Montur auftauchten.

Mit einer anderen fragwürdigen Tradition scheint selbst das Landestheater Linz nicht brechen zu wollen, denn die Neuinszenierung dieses aus katholischer Sicht blasphemischen „Bühnenweihfestspiels“ hatte rechtzeitig vor Ostern seine Premiere und steht u.a. am Karsamstag auf dem Spielplan (der dritte Aufzug spielt bekanntlich am Karfreitag). Die Inszenierung dürfte zahlreiche Opernfreunde freuen, denn der Gral ist tatsächlich ein silberner Trinkbecher, außerdem wird der von Klingsor geworfene Speer in kaum mehr praktizierter Theaterillusion von Parsifal gefangen. Auf allzu hohe Metaebenen, die mit der ursprünglichen Handlung nur mehr wenig zu tun haben (wie etwa die aktuelle Serebrennikow-Inszenierung an der Wiener Staatsoper), wurde verzichtet.

Heiko Börner widersteht als Parsifal einer Sexarbeiterin © Reinhard Winkler

Das bedeutet nicht unbedingt, dass man sich in Linz übermäßig nach einer romantischen Wiedergabe des Werks sehnt, wiewohl am Beginn Heiner Müllers depressives Gedicht „Traumwald“ steht. Das Bühnenbild im ersten und dritten Aufzug, das den Sitz der Gralsgesellschaft zeigt, könnte von Anna Viebrock stammen, wurde aber von Momme Röhrbein entworfen. Es zeigt eine schmucklose Säulenhalle im Stil der Neuen Sachlichkeit der 1930er-Jahre. Der Regisseur heißt freilich nicht Christoph Marthaler, wie häufig im Fall von Viebrock, sondern Stephan Suschke. Der Schauspieldirektor des Landestheaters gibt im Programmheft kluge Gedanken zu dem Werk preis, auf der Bühne erschließen sich diese aber kaum. Zu Beginn „erweckt“ Parsifal als Kind die unter Tüchern verhüllten Figuren, die Gralsgesellschaft wird als martialische Sekte gezeichnet. Mit der lebhafteren Handlung des zweiten Aufzugs gewinnt die Inszenierung an Bewegung, aber auch in Klingsors Zaubergarten herrscht purer Realismus: Die Blumenmädchen sind billige Puffweiber in einem Lustkäfig. 

Gesungen wird in dieser brutalen Szenerie durchwegs erfreulich: Kräftig und dunkelkernig meisterte Heiko Börner die Titelpartie, Katherine Lerner klang als Kundry angenehm schlank und klar, wenngleich spitz in der Höhe – die beiden sorgten während ihres Duetts vor Klingsors Puffkäfig für einen hochgradig intensiven Moment. Als verwundeter Gralskönig Amfortas war Ralf Lukas für den erkrankten Martin Achrainer eingesprungen und bestand bravourös. Stark präsentierte sich auch Adam Kim als Klingsor, und schlichtweg großartig, mit idealtypischer Diktion und scheinbar müheloser Präsenz, tönte Michael Wagner in der fordernden Gurnemanz-Partie.

Der großartige Michael Wagner salbt als Gurnemanz den neuen Gralskönig Parsifal (Heiko Börner), rechts steht Katherine Lerner als ergraute Kundry © Reinhard Winkler

Bei Opern von Richard Strauss und Richard Wagner ist das Linzer Bruckner Orchester neben dem Wiener Staatsopernorchester sicherlich der führende Klangkörper in Österreich (und folgerichtig weltweit). Unter der Leitung seines Chefdirigenten Markus Poschner erfreute es auch diesmal mit einem perfekten Sound, nicht zuletzt im Blech, auch wenn mancher Bogen vielleicht ein wenig zu getragen war und – auf hohem Niveau gejammert – die eine oder andere Stelle etwas mehr Transparenz vertragen hätte. Eine besondere Freude war überdies der Chor (Leitung: Elena Pierini), insbesondere der Kinder- und Jugendchor des Landestheaters, der mit Finesse und Wortdeutlichkeit unsichtbar von der Höhe berückte.  

Am Ende ist bei Suschke aus der Gralsburg ein rechtsfreier, von Abfällen übersäter Raum und aus dem „reinen Toren“ Parsifal ein ernster, wortkarger Mann geworden. Für eine ironische Brechung sorgt die Taufe Kundrys unter einem Wasserhahn, ansonsten traut man der neuen heilen Welt am Ende des Werks nicht, endet es in dieser Inszenierung doch mit einem Kindersoldaten (Parsifal als Kind? Seine Reinkarnation?) und mit einem Hauch von alpenländischem «Sound of Music»-Flair. Das große Fenster in der 1930er-Halle stammt aus Hitlers einstigem Berghof-Domizil am Obersalzberg (danke für diesen Hinweis, Kollege Kalchschmid!). Erlösung dem Erlöser im Führerhauptquartier, also, und der nächste Kämpfer für das vermeintlich Gute wächst bereits heran. Trotz einer Friedenstaube bleibt wenig Grund zur Hoffnung, die Welt bleibt unerlöst.


«Parsifal» – Richard Wagner
Landestheater Linz ∙ Musiktheater / Großer Saal

Kritik der Premiere am 13. März 2022
Weitere Termine: 27. März, 9./16./30. April, 7., 26. Mai, 5./16. Juni 2022