Theater Chemnitz

Einfach mal genießen

Das Inszenierungsduo Barbe & Doucet lieferte eine phänomenale Ausstattung und ein praktikables Regiekonzept für Verdis «Aida», Ingolf Huhn setzte es meisterhaft in Szene

Stephan Burianek • 25. April 2022

Im Pariser Domizil eines berühmten Archäologen wird «Aida» geprobt © Nasser Hashemi

Neuinszenierungen von «Aida» bereiten der Regie heute Kopfzerbrechen – und dem Publikum zunehmend Bauchweh. Das Werk spiegle die kolonialistische Sichtweise des 19. Jahrhunderts wider, so lautet ein Vorwurf, außerdem dürften die Äthiopier – allen voran Aida – aufgrund der „Blackfacing“-Thematik nicht von Weißen als Schwarze dargestellt werden. Daher suchen Regisseure bei diesem Werk nach Auswegen aus diesem Dilemma. In Weimar verlegte Andrea Moses zu Beginn dieser Saison die Handlung in ein Ethnologie-Museum, im Linzer Musiktheater wurde die Oper kürzlich als Probensituation inszeniert. Das funktioniert freilich nicht immer, denn mitunter leidet die eigentliche Geschichte unter solchen Dekonstruktionen.

Für Chemnitz fand das Duo Barbe & Doucet, bestehend aus Renaud Doucet und Andre Barbe, eine praktikable Lösung, die von Ingolf Huhn in Szene gesetzt wurde, weil die Zusammenarbeit dieses Duos mit dem Theater Chemnitz vor Probenbeginn aus terminlichen Gründen beendet werden musste. Das Regieteam nimmt in seiner Inszenierung Bezug auf die chaotischen Vorbereitungen zur Uraufführung der «Aida»: Wegen des 1870 von Preußen losgetretenen Angriffskriegs gegen Frankreich saßen in Paris das Bühnenbild und die Kostüme fest, die erstmalige Aufführung in Kairo konnte erst mit einer mehrmonatigen Verspätung stattfinden.

Die Handlung spielt im eleganten Pariser Haus von Auguste Mariette, jenem Ägyptologen, der auch das Szenarium der Oper entwarf und bei der Uraufführungsproduktion für die Besorgung der Kostüme und Kulissen zuständig war. Noch bevor die Ouvertüre einsetzt, herrscht dort ein hektisches Gewusel: Während von draußen Explosionen zu hören sind, werden drinnen Requisiten verpackt, hübsch kostümierte Menschen eilen von einer Ecke in die andere, am Boden spielen ein paar Männer seelenruhig in Soldatenkluft Karten – es sind die Künstler vor ihrer Abreise nach Kairo. Ein Herr mit Bart gibt Anweisungen, es ist Auguste Mariette, gespielt von Rolf Germeroth. Weil sich die Abreise verzögert, sollen sie den Durchlauf des Werks schon mal proben.

Hector Sandoval punktet als ägyptischer Feldherr Radames bei exponierten Tönen © Nasser Hashemi

Dass man diese Idee kaum in Frage stellt und sich von Beginn an darauf einlässt, liegt nicht zuletzt an der ästhetisch hochwertigen Visualisierung durch ein realistisches Bühnenbild und durch die detailverliebten Kostüme von Barbe & Doucet. Ausstattungsopern laufen grundsätzlich rasch Gefahr, billig oder kitschig zu wirken, hier ist das Gegenteil der Fall. Huhn, der dem Haus in Chemnitz bereits seit DDR-Zeiten verbunden ist und bis vor einem Jahr noch Intendant im Eduard-von-Winterstein-Theater von Annaberg-Buchholz war, beweist handwerkliches Geschick indem er die Szene während der gesamten Dauer des Werks in Bewegung hält ohne den Zuschauer zu überfordern. Die Inszenierung ist ebenso variantenreich wie die Musik und scheut sich nicht vor klassischen Tanzeinlagen (Choreographie: Henrik Victorin) in altägyptisch inspirierten Kostümen – die etwa lebendig gewordene Gottheiten darstellen. Für heitere Momente sorgen zwei Kinder, vielleicht Mariettes Enkeln, die schon mal verbotenerweise mit einer Tiermumie spielen und dafür von ihrem Kindermädchen (wunderbar getanzt: Megumi Aoyama) zurechtgewiesen werden.

Die Robert-Schumann-Philharmonie unter der Leitung ihres Generalmusikdirektors Guillermo García Calvo begeistert mit einem exquisiten Klang quer durch alle Orchesterfarben und einer präzisen Spielweise. Im Zusammenspiel mit den Sängern und Sängerinnen sowie mit dem Chor und den Tänzern und Tänzerinnen behielt Calvo bei der Premiere nicht nur den Überblick, sondern leuchtete die Partitur transparent aus und erwies sich mit einer ungemein dynamischen Gestaltung als Theatermann. 

Nadine Weissmann bangt als Amneris um Radames (Hector Sandoval) © Nasser Hashemi

Die Sänger und Sängerinnen, die von Calvos umsichtigen Dirigat unterstützt werden, machten ihre Sache gut, wiewohl es unfair wäre, sie an den ganz Großen zu messen. Hector Sandoval wirkte als Radames am Premierenabend stimmlich nicht immer sonderlich wendig, konnte in den exponierten Tönen mit seinem metallischen Timbre aber heldenhaft punkten. Nadine Weissmann, wenngleich in der Höhe ein wenig limitiert, erfreute als ägyptische Pharaonentochter Amneris mit vollreifem Stimmklang. Die Überraschung des Abends war eine Ensemblesängerin namens Tatiana Larina, die als Aida-Zweitbesetzung erst später in der Aufführungsserie zum Einsatz kommen hätte sollen, kurzfristig aber für die erkrankte Olga Shurshina eingesprungen war und ein phänomenales Rollendebüt lieferte. Obwohl Larina in den vergangenen 15 Jahren bereits an diversen Orten gesungen hat und vielleicht nicht mehr als Newcomerin bezeichnet werden kann, erinnert ihre Stimme an einen jugendlichen Rotwein, hinter dessen kräftiger Frucht eine vielversprechende Komplexität Lust auf die kommenden Jahre macht. Ihre überzeugende Bühnenpräsenz wäre gar nicht notwendig, so ergreifend weiß sie diese fordernde Titelpartie stimmlich zu gestalten.

Zu den musikalischen Glanzpunkten zählten zudem der von Stefan Bilz gut einstudierte Chor sowie weitere Solist:innen, darunter Aris Argiris als stimmgewaltiger Äthiopierkönig Amonasro, das junge Ensemblemitglied Alexander Kiechle als bereits ziemlich sonorer Oberpriester Ramfis sowie Marie Hänsel als makellose und klangschöne Oberpriesterin.

Eine moralische Pointe oder einen tieferen Sinn findet sich in Huhns bzw. Barbe-Doucets Inszenierung letztlich nicht, hier darf einfach mit gutem Gewissen geschaut und genossen werden. Ab dem dritten Akt wird die Rahmenhandlung ausgeblendet, wodurch sich das Drama um Aida und Radames vollends entfaltet. So soll es sein.

 

«Aida» – Giuseppe Verdi
Theater Chemnitz ∙ Opernhaus

Kritik der Premiere am 23. April 2022
Termine: 6./14./27. April, 25. Juni 2022