Buchkritik
Rettet das Feuilleton!
Droht der Tod des Feuilletons? Wenn ja, wäre das ein Verlust? Für zehn Autoren geht es gar um die „Zukunft des Musikjournalismus“
Ute Grundmann • 17. Mai 2022
Es geht nicht darum, den Fehler zu finden – das ist einfach und in der Musik ohrenscheinlich. Nein, man muss den Fehler analysieren, fragen und zeigen, welche Wirkung er für das Werk hat. Und, so möchte man die Worte von Bernd Feuchtner ergänzen, Fehler sollte man ohne Häme darstellen. Das ist einer der vielen Wünsche, die nicht nur der Operndirektor und Dramaturg an eine seriöse Musikkritik hat. Die ist aber selbst in massiven Schwierigkeiten, steht im Überlebenskampf zwischen Debattenfeuilleton und online-Wortmeldungen zu Oper und Konzert. Das sind die beiden Hauptthemen – Zustand und Weiterbestehen eines fundierten Musikjournalismus – in diesem schmalen, aber inhaltsschweren Band.
Über die Feindbilder sind sich die zahlreichen Autoren dabei schnell einig. Da sind zum einen die ignoranten, geldgierigen Print-Verleger, denen mehr an werbewirksamen Events als an wägenden, einordnenden Sätzen zu musikalischen Ereignissen liegt. Wie sehr die fehlen, beschreibt Komponist Manos Tsangaris über ein Konzert in Griechenland, das völlig ohne Presse-Echo blieb: „Als hätte es diese Aufführung gar nicht nicht gegeben.“ Und er setzt hinzu, es brauche einen Resonanzraum für künstlerische Ereignisse.
Zum anderen sind da die online-Medien, in den sich „Möchtegern-Journalisten“ (Sabine Siemon) tummeln, die ihre Lieblinge kritiklos hochjubeln; Internet-Portale, die „so tun also ob“ (Michael Jungwirth); für Siemon steht gar durch Blogs, Homepages und Postings „die Professionalität der gesamten Branche auf der Kippe“. Harry Lehmann schließlich, der die neuen Medien „informelle Bypässe“ nennt, zeichnet gar das Horrorszenario einer Welt, in der das Bürgertum durch „postmodernes Kulturverständnis“ verdrängt, klassische Musik zu bloßer Ware der Unterhaltungsindustrie wird und „differenziertes, informiertes Hören“ keine Rolle mehr spielt.
Um so höher natürlich Achtung und Anspruch aller Autoren an Feuilleton im Allgemeinen und Musikkritik im Besonderen. Navigator, Bewertung, Vermittlung (Wolfgang Rüdiger), Kompetenz und Unabhängigkeit als Grundvoraussetzung jeder Kritik (Jungwirth). Yaara Tal sieht ein „Kleininsel-Dasein im feuilletonistischen Gewässer“, das vom Austrocknen bedroht ist – das macht das Buch sehr deutlich. Für Feuchtner ist bei der Kritik „nicht das Kritisieren das Wesentliche, sondern das kritische Betrachten“. Rüdiger wünscht sich eine „redaktionelle Gesellschaft“, gestützt von einem „dialogischen Journalismus“. Wie aber sollen die immer weniger werdenden Kritiker (sich) das leisten, wenn sich die Honorare in Cent bemessen und manche Verleger gar meinen, die Freikarte sei doch schon Lohn genug? Darauf haben auch die Autoren keine Antwort.
Jungwirth plädiert für „Fördermaßnahmen“ der bedrohten Spezies – Kultureinrichtungen sollten anspruchsvollen Journalismus unterstützen und so die öffentliche Wahrnehmung der eigenen Arbeit sichern. Rüdiger sieht den Kritiker gar als „Partner des Künstlers“; in anderen Diskussionen zum selben Thema sahen sich online-Journalisten auch als Partner von Veranstaltern und/ oder des Publikums. Da muss man doch dringend Hanns Joachim Friedrichs zitieren, dass (Musik-)Journalismus bedeutet, sich selbst mit einer guten Sache nicht gemein zu machen. Sympathie, auch Respekt für Kunst und Künstler, ja – aber einem Partner fehlt, was hier vehement gefordert wird: Unabhängigkeit.
Wenn Fritz Lauterbach und Jürgen Christ Modelle zu einem Studium des Musikjournalismus skizzieren, lassen sie leider außer Acht, dass es auch andere als universitäre Wege in diesen Beruf gibt.
Mitherausgeber Michael Schmidt schließlich zitiert den Medienphilosophen Marshall McLuhan: „Der Mensch als Nahrungssammler tritt wieder als Informationssammler auf. In dieser Rolle ist der moderne Mensch nicht weniger Nomade als seine steinzeitlichen Ahnen.“ Die Worte klinge(l)n hübsch, was aber Schmidt dem Mediennomaden als Orientierungshilfe empfiehlt, schon weniger. WebOnly-Audiopodcasts der zeitungs- und hörfunklos gewordenen Musikjournalisten sollen es sein; deren „unbegrenzte Verweildauer“ mache gar „multimediale Enzyklopädien des Musikwissens“ möglich. Von Urheber- und Autorenrechten, von Honoraren gar, ist bei solchem Ansinnen, das man auch Musipedia nennen könnte, keine Rede. Die im Buch vielzitierte digitale Revolution erleichtert schließlich auch das kostenfreie Abkupfern fremder Texte, die man nicht mal mehr abtippen muss.
Einige Positionen in diesem sonst wichtigen und gut lesbaren Buch sind also zu hinterfragen. Yaara Tals Frage, warum die Rebellion der Leser gegen die Marginalisierung von Kritik und Kulturberichterstattung ausbleibt, wird zwar letztlich nicht beantwortet. Wohl aber Jungwirths ketzerischer Ansatz, ob das Verschwinden der Kritik überhaupt ein Verlust sei. Das beantworten die 66 Seiten mit einem lauten, trotzigen „JA!“.
Robert Jungwirth / Michael Schmidt (Hrg.): „Hat Musikjournalismus noch eine Zukunft?“
Verlag Königshausen & Neumann, Würzburg 2021, 66 S.