Bayreuther Festspiele

Im Reich der Unerreichbarkeit

«Tristan und Isolde» in der Inszenierung von Roland Schwab als unergründliche Utopie der Liebe; Markus Poschner übernimmt am Pult von Cornelius Meister, der für den «Ring» gebraucht wird

Klaus Kalchschmid • 26. Juli 2022

Der großartige Georg Zeppenfeld (König Marke) war gut verständlich © Enrico Nawrath

Was ist schiefgelaufen bei einer Aufführung von «Tristan und Isolde», wenn man sich erst nach der Hälfte beim Monolog Markes so richtig glücklich fühlt? Bei der Eröffnungs-Premiere im Bayreuther Festspielhaus – das glücklicherweise dank hervorragender mechanischer Lüftung (KEINE Klimaanlage) drinnen weit unter den 35° C warm war, die draußen gemessen wurden – war ab diesem Zeitpunkt endlich jedes Wort zu verstehen, und als der großartige Bassbariton Georg Zeppenfeld seine letzten Worte („Den unerforschlich tief geheimnisvollen Grund, wer macht der Welt ihn kund?“) ganz vorne an der Rampe an uns alle formulierte, da war das fast ein aufregender Brecht’scher Verfremdungseffekt. Bis dahin hatte man, vor allem im ersten Aufzug, trotz guter Kenntnis des Werks wahrlich Mühe, den Text zu verstehen, ein Novum im Bayreuther Festspielhaus, wo Übertitel aus den verschiedensten Gründen nicht notwendig und wohltuend abwesend sind.

Drei Aufzüge lang ändert sich die Bühne von Piero Vinciguerra wenig: Ein LED-Oval im Boden korrespondiert mit einer ebenso großen Öffnung nach oben. Im ersten Aufzug ziehen Wolken vorbei, unten plätschern die Wellen eines Wellness-Pools, um den Luxus-Liegestühle platziert sind, sowohl im zweiten wie dritten Aufzug ziehen oben wie unten Galaxien von Sternen vorbei, und die Begrünung wird immer üppiger. Am Ende hängen gar die Zweige von zwei Trauerweiden bis auf den Boden. Sitzt man ganz links auf Platz 2 in Reihe 24 für immerhin 203 € („Pressekaufkarte“, da das „Pressefreikarten“-Kontingent erschöpft war), sieht man nur einen Baum und von dieser Bühne eigentlich immer nur die Hälfte. Trotzdem aber erkennt man mit schöner Regelmäßigkeit, wie sich mit zunehmendem Ekstase-Grad der Musik der Teich in immer flirrenderes, weißes Rauschen auflöst oder in einen Strudel, der Tristan und Isolde nach Einnahme des Liebestranks fast verschlingt.

Piero Vinciguerra garnierte den dritten Aufzug mit Trauerweiden © Enrico Nawrath

Bewegen sich die Sänger hinten weit links, sieht man sie nicht und hört sie kaum; stehen sie vorne, sind sie oft recht laut, wie das Orchester auch. Viel Zeit zur Feinabstimmung gab es natürlich nicht, nachdem zu den Endproben Cornelius Meister für den erkrankten «Ring»-Dirigenten Pietari Inkinen einspringen und den «Tristan» an Markus Poschner abgeben musste, den man erst kürzlich in Linz als hervorragenden «Parsifal»-Dirigenten erleben konnte. Mit zunehmender Aufführung wird die Balance besser, man erlebt einen durchaus packenden Flow, der auch über das Duett und die Fieber-Visionen einen großen Bogen wölbt. Vom Zauber, den Christian Thielemann in den letzten Jahren der Katharina-Wagner-Inszenierung verströmte, darf man freilich träumen.

Aber zurück zur Szene: Roland Schwab wollte die Abstraktion und Utopie einer Liebe, die alles Drumherum vergisst und unantastbar ist, quasi in einem Reich der Unerreichbarkeit lebt. Deshalb sind Brangäne und Kurwenal, Marke und Melot hier nur Satelliten um das im zweiten Aufzug ganz weiß gewandete Paar, als wäre es Teil einer Glaubensgemeinschaft oder schon den Nahtod gestorben. Die Satelliten tragen alle Schwarz, von ein paar weißen Streifen auf beiden (Marke) oder einer Seite (Kurwenal) abgesehen. Der bewegt sich fast wie ferngesteuert und eine Figur aus dem deutschen Stummfilm immer wieder um den Teich, auf dem Tristan musikalisch visioniert, aber spielend sehr gesund wirkt, ist doch seine Wunde nur mit ein paar schwarzen Schrammen auf dem immer noch blütenweißen Leinenanzug angedeutet. Markus Eiche singt mit perfektem Fokus und lupenreinem Bariton, aber intensiv anteilnehmender Ausdruck war ihm wohl vom Regisseur verwehrt. Anders die Brangäne von Ekaterina Gubanova, die im ersten Aufzug voll aufdreht, mit ihren „Habet Acht“-Rufen aber später zunächst ganz im Hintergrund bleibt. 

Catherine Foster (Isolde) klammert sich an Ekaterina Gubanova (Brangäne) © Enrico Nawrath

Schon während des Vorspiels sitzen ein Mädchen und ein Junge barfuß an der Rampe, später sind junge Erwachsene am Rand der Aussparung im Dach zu sehen und am Ende wackelt ein ganz altes, zittriges Paar am Stock langsam rund um den Teich einzeln zur Rampe, schaut zu den letzten Akkorden des Liebestods als Paar ins Publikum, während sie dabei den Kopf an seine Schulter legt. Ein wenig lenkt das zwar ab vom Liebestod Isoldes, der sich in seinen Steigerungswellen freilich gegen jede Ablenkung durchsetzt. Denn Catherine Foster gibt die hochdramatisch leuchtende Attacke des ersten Aufzugs im zweiten zugunsten einer Harmonie mit dem Tristan Stephen Goulds auf, der wiederum nicht wie üblich näselnd heldentenorale Stentortöne abliefert, sondern erstaunlich flexibel singt. Das kommt auch dem dritten Aufzug zugute, der ihn allerdings so wenig körperlich gezeichnet von einer Wunde zeigt wie es das Finale des zweiten Aufzugs erwarten ließ. Nachdem Tristan da lange, von Melot gezwungen, der auch gegen Isolde handgreiflich geworden war, auf einem Stuhl inmitten des Teichs verharren musste, senken sich die wie ein Damoklesschwert über ihm schwebenden weiß leuchtenden Neonstäbe endgültig auf ihn herab wie um ihn zu durchbohren.

Alles in allem wird diesem «Tristan» die Wiederaufnahme im nächsten Jahr guttun, wenn ausreichend geprobt werden kann und manches, was jetzt nur angedeutet wurde, ge- und verschärft wird.

 


Dieser Artikel wurde ermöglicht durch den Richard Wagner-Verband Wien, realisiert in redaktioneller Unabhängigkeit. Die Kaufkarte hat sich der Autor selbst bezahlt.




«Tristan und Isolde» – Richard Wagner
Bayreuther Festspiele ∙ Festspielhaus

Kritik der Premiere am 25. Juli 2022
Weiterer Termin: 12. August 2022