Film
Vom Callcenter auf die Bühne
Axel Ranisch verbindet Tatort und Oper in seinem Kinofilm „Orphea in Love“ - Uraufführung am 17. September 2022 im Nationaltheater der Bayerischen Staatsoper in München
Klaus Kalchschmid • 15. September 2022
Es wird die größte Leinwand sein, auf der je ein Film von Axel Ranisch zu sehen war. Der 39-Jährige ist Regisseur von schrägen Kinofilmen wie „Dicke Mädchen“ (2011), „Ich fühl mich disco“ (2013) oder „Alki, Alki“ (2015), aber auch, beginnend mit „Babbeldasch“ 2016, als querständiger (Lena-Odenthal-)Tatort-Regisseur. 2013 begann Ranischs Karriere als Opernregisseur in Münchens feinem, originalerhaltenem kleinen Kino namens „Theatiner“ von 1957 mit einem entzückenden Doppelabend: Waltons «The Bear» und Cocteaus «La voix humaine» in der Verschränkung von Kino und Liveperformance. Die Kinderoper «Pinocchio» (2015), Haydns «Orlando Paladino» im Prinzregententheater (2018) und ein Jahr später die Verschränkung von Strawinskys «Mavra» und Tschaikowskys «Jolanta» mit dem Ensemble des Opernstudios im Cuvilliès-Theater folgten. Zuletzt gab es mitten in der Pandemie einen Film im Wechsel mit einer Live-Aufführung im leeren Nationaltheater und das Ganze dann gestreamt: eine herrlich kühn verspielte Inszenierung von Wolf-Ferraris Einakter «Il segreto di Susanna». Auch andernorts hat Ranisch Oper inszeniert, so in Stuttgart («Die Liebe zu den drei Orangen», «Hänsel und Gretel«) oder zuletzt in Lyon («Rigoletto»); im März folgt in Hamburg Puccinis «Trittico».
Seit Nikolaus Bachler ihn für sein Haus entdeckte, ist er München treu geblieben. „Orphea in love“ war nun die Idee des neuen Intendanten Serge Dorny, und der opulente Soundtrack dieses Opernpasticcios wird hauptsächlich von Solisten, Chor und Orchester der Bayerischen Staatsoper bestritten. Nele, wunderbar gesungen und gespielt von Mirjam Mesak, einst im Opernstudio der Bayerischen Staatsoper, nun dort Ensemblemitglied, ist der weibliche Orpheus, der mit dem Trauma des vermeintlich durch ihn/sie verschuldeten Unfalltods seines/ihres Freundes am Strand fertig werden muss, während sie sich in den Kleinkriminellen Kolya, also in die männliche Eurydike, verliebt. Sie singt, er (Guido Badalamenti vom Ballett des Gärtnerplatztheaters) tanzt stumm. Lange dauert es, bis sie zueinander finden und vermeintlich fällt auch er einem tödlichen Verkehrsunfall zum Opfer. Also muss sich das Mädchen in die Unterwelt der dunklen Seiten ihres Wesens begeben und sich auch ihren Träumen als Sängerin stellen. Ranisch findet dafür schöne Bilder an im Sonnenuntergangslicht gefilmten, verwunschenen Schauplätzen in München zwischen einer magischen Unterführung mit Graffitis an der Isar und einem alten Tram-Depot.
Das Ende bleibt offen, denn Ursina Ladi, die zu Beginn als Madama Butterfly auf der Bühne kollabiert und am Ende in einer supermodernen Inszenierung die Traviata gibt und sich über einer Kloschüssel übergibt (Achtung: Satire!), singt zwar mit der Stimme von Mesak, aber Nele alias Mirjam Mesak alias Orphea ist mit ihrem Lover, ihrem Eurydikus, „nur“ Zuschauer. Manchmal franst der Film etwas aus, weniger wenn etwa der junge Tenor Galeanos Salas sich selbst im Call-Center spielen darf und dort plötzlich eine Musical-Szene beginnt, eher dann, wenn etwa der junge Bariton Konstantin Krimmel wie ein vom Himmel gefallener Clochard Wolframs „Lied an den Abendstern“ singen darf. Aber subversiven Charme hat der Film allemal, und eine Liebeserklärung an die Gattung Oper und das Melodram ist er sowieso.
„Orphea in Love“ (Film) / Regie: Axel Ranisch
Uraufführung: 17. September (20.30 Uhr) an der Bayerischen Staatsoper (Nationaltheater), Karten unter www.staatsoper.de
Kinostart im März 2023