Kalchschmids Albenpanorama

09/2022

Fünf Recitals vom römischen Barock über Wien im 18. Jahrhundert, das 19. Jahrhundert und den Verismo bis Zarzuela, Operette und Musical

Klaus Kalchschmid • 02. Oktober 2022

Musiktheater kann so ungemein vielfältig faszinierend sein, wie fünf im September erschienene Recitals mit weiblichem wie männlichem Sopran, Mezzo, Tenor und Bariton (allesamt Sänger:innen um die 30) mit Musik vom römischen Barock über Wien im 18. Jahrhundert, das 19. Jahrhundert und den Verismo bis Zarzuela, Operette und Musical des 20. Jahrhunderts beweisen. 

„Kaleidoskop“ von Fatma Said ist ein wahrlich wunderbares Vexierspiel von Chansons, Liedern und Arien der vermeintlichen „leichten Muse“ zwischen französischer Opéra Comique, Oscar und Johann Straus(s), Lehár («Giuditta») und Offenbach («Barcarole») bis zu Filmmusik und Astor Piazzolla und der entzückenden Tango-Habanera «Youkali» (Kurt Weill), gelegentlich auch nur mit Klavier und/oder Streichquartett. Ob auf Französisch, Spanisch, Englisch, Deutsch oder in ihrer Muttersprache Arabisch, die hier bei Ad Ay Sa’ab durchaus sexy klingt: Die 31-jährige Ägypterin singt mit einer derart überbordend Lust an Leben, Lieben und Verführung mit einer strahlenden, manchmal auch herb-erotischen Eleganz und Verve, dass eine Herbst-Depression auch nicht eine Sekunde Zeit hat, sich festzusetzen. (Warner)

 

Bruno de Sá singt in der gleichen Lage wie Said und – weil der Papst einst in Rom den Auftritt von Frauen auf der Bühne verbot – als Mann allesamt Frauen: Das hat einen besonderen Thrill in Opern von oftmals kaum bekannten Komponisten des 17. und frühen 18. Jahrhunderts, wie Rinaldo di Capua, Giuseppe Arena, Nicola Conforto oder Gioacchino Cocchi. Und wenn man sie kennt, dann nicht ihre Opern, so Leonardo Vincis «Farnace», Allessandro Scarlattis «Griselda» oder Vivaldis «Giustino». Zirzensisch virtuose, koloraturengesättigte (oft Rache-)Arien wechseln in „Roma Travestita“ mit wunderbar getragenen, in denen die gehaltenen Spitzentöne beim dreigestrichenen b, h oder c besonders fein leuchten und bei aller Höhe doch einen irgendwie männlichen Kern besitzen. So ähnlich müssen Kastraten geklungen haben, die freilich ganz selten hohe Soprane waren, sondern meist Mezzosoprane, sogar der berühmteste von allen: Farinelli. «Il Pomo d’Oro» gibt unter Francesco Corti die leuchtend theatral-instrumentale Folie. Gerade hat der 32-jährige das Programm der CD mit diesen Kollegen live beim Festival Bayreuth Baroque im Markgräflichen Opernhaus gesungen, am 16. Oktober (21.45 Uhr) wird der Abend auf ARD Alpha gesendet. (Erato)

 

Ganz den dramatischen Furor des 19. Jahrhundert entfacht Marina Viotti in „A Tribute to Pauline Viardot“. Die 36-jährige Tochter des so früh verstorbenen legendären Dirigenten Marcello Viotti und Schwester des ebenfalls als Dirigent erfolgreichen Lorenzo Viotti, widmet ihr Album der berühmten Mezzosopranistin Pauline Viardot-García (1821-1910) und deren Repertoire. Die CD beginnt mit der Bearbeitung der Gluck‘schen «Orpheus»-Vertonung, die Hector Berlioz als «Orphée et Eurydice» 1859 extra für sie komponierte, bis zur berühmten Arie der Dalila aus «Samson et Dalila», die ihr 1877 gewidmet wurde, die sie aber, weil sie bereits 1863 ihre professionelle Karriere mit 43 Jahren aufgeben musste, nur im privaten Rahmen singen konnte. Dazwischen gibt es allerlei Belcanto-Perlen von Bellini, Donizetti und Rossini bis Gounod, Halévy und Massenet. Man fragt sich, wer da wen unter Strom setzt, Christophe Rousset mit seinen Les Talens Lyriques oder die mit ungeheurer Intensität und Leidenschaft singende Mezzosopranistin das Orchester. Kaum eine der berühmten Arien verzichtet auf Virtuosität und Viottis warmer, ungemein expressiv aufflammender Mezzo lodert fulminant in fast jedem Takt. (Aparte)

 

Der Amerikaner mit chilenischen Wurzeln Jonathan Tetelman gibt als leidenschaftlicher dramatischer Tenor oft dem Affen Zucker in seiner schlicht „Arias“ betitelten Debüt-CD mit dem Orquesta Filarmónica de Gran Canaria unter Karel Mark Chichon. Italienische Verismo-Opern stehen im Zentrum, so Ponchielli, mit dessen «Cielo e mar» die CD noch verhalten beginnt, Giordano, Ciléa, Mascagni, Zandonai («Francesca da Rimini» gibt es mit ihm auch auf DVD!) und Puccini («Butterfly»). Eingestreut ist Lyrisches (Flotows «Martha» auf Italienisch!) und Französisches («Carmen», «Werther»). Verdi präsentiert der 34-Jährige gleich dreimal («I due Foscari», «Forza», «Trovatore»)  und macht mit ähnlich gewichtiger Stimme wie mit kraftvoll leuchtender, aber viril abgedunkelter Höhe dem fast 20 Jahre älteren Jonas Kaufmann durchaus Konkurrenz. (Deutsche Grammophon)

 

Mit Bariton Konstantin Krimmel – Ensemblemitglied der Bayerischen Staatsoper und als Lied-Sänger längst, nicht zuletzt auf CD, etabliert – rundet den Reigen endlich eine entspannt tiefe, charmant erotisch männliche Stimme, die auch humorbegabt ist. Unter dem Titel „Zauberoper“ präsentiert der 29-jährige selten gespielte deutsche Oper der Wiener Klassik, die im Theater an der Wieden oder dem Burgtheater in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts uraufgeführt wurde; so das Gemeinschaftswerk «Der Stein der Weisen» (Schack, Mozart, Gerl, Henneberg), aber auch Paul Wranitzkys «Oberon, König der Elfen», Antonio Salieri («La Grotta di Trofonio»), den Papageno von dessen Gegenspieler Mozarts und den in «Der Zauberflöte zweyter Teil» (Peter von Winter) oder Joseph Haydns nachgelassene – und erst 1951 mit Maria Callas (!) uraufgeführte – letzte Oper «Orfeo e Euridice», der ein instrumentaler Abgesang gefolgt: „Der Reigen seliger Geister“ aus Glucks gleichnamiger Oper. Mit der Hofkapelle München unter Rüdiger Lotter spielt ein hervorragendes, historisch informiertes Orchester, das mit Krimmels farbenreichem Bariton perfekt harmoniert. (Alpha)