Ildar Abdrazakov
Die Verlockungen von Macht und Geld
Nach unserem Artikel vom 22. Februar sieht der russische Starsänger in den USA und in Europa seine Felle davonschwimmen. In Russland ist er indes gut versorgt
Stephan Burianek • 26. Februar 2023
Es waren seit langem öffentliche Informationen, die im OPERN∙NEWS-Beitrag „Im Dienste des Bösen“ vor nicht einmal einer Woche über den russischen Bass Ildar Abdrazakov zusammengefasst wurden, und doch waren sie offenbar brisant genug, um global „viral“ zu gehen. Es begann überraschenderweise in den USA: Bald nachdem die US-Internetseite Operawire über unseren Text berichtet1 und die in den USA lebende, finnische Sopranistin Karita Mattila auf Twitter öffentlich für ein Blockieren des Sängers aufgerufen hatte2, ließ Abdrazakov in einem russischen Medium verlautbaren, er „pausiere“ seine Zusammenarbeit mir der New Yorker Metropolitian Opera (Met), wo er in der kommenden Saison in Aufführungen von Verdis «La forza del destino“ und Gounods «Roméo et Juliette» vorgesehen war.3
Als Grund nannte er freilich weder opern.news noch Operawire, sondern bezeichnete den Schritt als Solidaritätsakt für seine Kolleginnen Anna Netrebko und Hibla Gerzmava, die bei Peter Gelb, dem Direktor der Met, in Ermangelung einer für ihn zufriedenstellenden Distanzierung zu Russlands Angriffskrieg bereits vor einem Jahr in Ungnade gefallen waren. Es lag zu diesem Zeitpunkt die Vermutung nahe, dass Peter Gelb ihm diesen Schritt nahe gelegt hatte bzw. er seinem Rauswurf zuvorgekommen wollte. Mittlerweile gilt die letztgenannte Theorie als gesichert: In einem Artikel der Associated Press, der am vergangenen Samstag in zahlreichen US-amerikanischen Medien zu lesen war, bekräftigte Peter Gelb seine Entscheidung: „Es war wichtig, auf der Seite des Rechts zu sein. Ich könnte mir nicht in den Spiegel schauen und wissen, dass Putin-Unterstützer auf unserer Bühne auftreten.“4
Kurioses Statement
Interessant ist insbesondere die folgende Passage von Abdrazakovs Verlautbarung: „Ich bin tief davon überzeugt, dass Künstler neutral sein und mit ihrer Kunst Menschen und Länder zusammenbringen sollten.“ Das wäre vielleicht ein schöner Satz, wenn man ihn Abdrazakov glauben könnte. Das sieht auch Gelb so: „Sie [die ausgeschlossenen russischen Sänger, Anm.] haben sich für eine Seite entschieden, und sie haben sich für die falsche Seite entschieden. Es tut mir leid, dass Abdrazakov, wie viele andere Russen, so desinformiert ist und wirklich nicht versteht, was auf dieser Welt vorgeht.“
Die unmittelbare Reaktion Abdrazakovs deutet darauf hin, dass der Sänger bereits seit längerer Zeit mit einer Diskussion über seine Person gerechnet haben dürfte, was in Anbetracht der Vielzahl an russischen Propagandaauftritten im vergangenen Jahr nicht verwundern kann. Man fragt sich nun, warum die Intendanten von führenden Opernhäusern, die ihre Fassaden in der Vergangenheit medienwirksam blau und gelb anstrahlen hatten lassen, nicht schon längst auf seine Beteiligung an solchen Veranstaltungen reagiert hatten.
Golf mit Trump
An Abdrazakovs politischer Haltung besteht ebenso wenig Zweifel wie an seiner Anbiederung an die Macht – die sich in der Vergangenheit nicht nur in Russland gezeigt hat, wie ein Twitter-Post der Journalistin Olivia Giovetti bestätigt, die Abdrazakov offenbar einst in PR-Fragen beriet. Sie postete unter Karita Mattilas besagtem Boykott-Aufruf Fotos aus dem Jahr 2015, die Abdrazakov gemeinsam mit dem damaligen US-Präsidenten Donald Trump zeigen, in Golfkleidung und auf einem Golfplatz in die Kamera grinsend. Dazu veröffentlichte sie einen Auszug aus ihrer damaligen Kommunikation mit Abdrazakov, der diese Fotos unbedingt öffentlich machen wollte. Giovetti riet ihm davon ab, später kritisierte Abdrazakov gemäß Giovetti sie dafür und warf ihr vor, sie hätte ihn „amerikanisieren“ wollen.5
Mittlerweile scheint Abdrazakov auch in der Besetzungsliste der Mailänder Scala nicht mehr auf – er hätte dort im März in Offenbachs «Hoffmanns Erzählungen» singen sollen. Die Bayerische Staatsoper – auf deren Homepage-Startseite aktuell eine auf dem Nationaltheater gehisste ukrainische Flagge zu sehen ist – weist den Sänger nach wie vor in den Besetzungslisten von «Boris Godunow» und «Don Carlo» (beides im Juli) noch auf. Dasselbe gilt derzeit noch für die Opéra de Monte-Carlo sowie für US-Konzerte mit den Symphonieorchestern in Boston und Chicago.
Abdrazakov wird zweifellos auch ohne Engagements im Westen gut über die Runden kommen. Der Redaktion liegt sein Arbeitsvertrag mit der nationalrussischen Eventagentur Roskonzert für das Propaganda-Konzert auf dem Roten Platz in Moskau am 24. Mai 2022 vor. Demnach wurden ihm drei Tage nach seinem knapp zehnminütigen Auftritt – ausdrücklich steuerfrei – drei Millionen Rubel überwiesen, damals etwa € 46.000. Wer derart obszön hohe Honorare akzeptiert, der weiß auch, wofür er bezahlt wird. Ein genereller Boykott der westlichen Konzertveranstalter und Opernhäuser träfe in diesem Fall gewiss keinen Armen.
Update vom 27.02.2023: Ildar Abdrazakov ließ über die sozialen Medien verlautbaren, er hätte sich „schweren Herzens“ von seinem Mailänder Engagement, das bereits für Mitte März geplant war, zurückgezogen. Abdrazakov führte familiäre Gründe an und dankte dem Scala-Intendanten Dominique Meyer ausdrücklich für sein Verständnis. Man sehe keinen Grund für ein Statement, hieß es auf Anfrage von opern.news aus der Scala.
Update vom 01.04.2023: Die US-Tageszeitung The Boston Globe berichtet in Bezugnahme auf OPERN∙NEWS, dass zwei Konzerte mit dem Boston Symphony Orchestra, die für Aufnahmen der Deutschen Grammophon vorgesehen sind nun ohne der Beteiligung von Ildar Abdrazakov stattfinden werden: Im Mai 2023 wird ihn Matthias Goerne ersetzen, und im Januar 2024 springt Günter Groissböck an der Carnegie Hall in «Lady Macbeth of Mtsensk» für ihn ein.
Italienische Übersetzung des Artikels
Verweise
1 siehe https://operawire.com/ildar-abdrazakov-allegedly-close-to-putin/
2 siehe https://twitter.com/MattilaKarita/status/1628858360241041409?cxt=HHwWgsC9-Y2D75otAAAA
3 siehe https://operawire.com/ildar-abdrazakov-pauses-relationship-with-metropolitan-opera/
4 siehe z.B. in der Washington Post: https://www.washingtonpost.com/entertainment/met-opera-marks-1st-year-of-ukraine-war-with-concert/2023/02/25/88cd92f2-b52a-11ed-94a0-512954d75716_story.html
5 siehe https://twitter.com/ogiovetti/status/1628862761236037632