Neuburger Kammeroper

Liebevoll ausgegraben

Auch in diesem Jahr kommen in Neuburg an der Donau vergessene Opernjuwelen zur Aufführung, diesmal zwei komische Opern von Pierre-Alexandre Monsigny

Katharina Stork • 13. Juli 2023

Ein gut funktionierendes Dreiergespann: Kammeroper-Gründer und Regisseur Horst Vladar, Übersetzerin und tatkräftige Unterstützung Annette Vladar und Sänger und Regisseur Michael Hoffmann (v.l.) © Katharina Stork

„Mach die Runde bitte größer und bleib dann nach vorne offen“, sagt Michael Hoffmann zu Semjon Bulinsky auf der Bühne. Der nickt und kehrt auf seinen Ausgangspunkt auf der linken Seite der Bühne zurück. Nochmal. Knapp zwei Wochen sind es noch zur Premiere des Doppelabends «Vergebliche Vorsicht» und «List (oder) und Vernunft» der Neuburger Kammeroper am 22. Juli, und die szenischen Proben laufen auf Hochtouren, Anschlüsse und Gänge werden flüssiger.

Es ist die 55. Produktion dieser ganz besonderen Operninstitution in der bayerischen Kleinstadt Neuburg an der Donau. Was vor einem guten halben Jahrhundert als eigentlich einmalige Sache anfing, entwickelte sich Jahr um Jahr zu einer festen Größe in der Kulturlandschaft der Donaustadt: Jeden Sommer zum Anfang der Spielzeitpause bringt Gründer, Regisseur und Sänger Horst Vladar eine große oder zwei kleine Opernausgrabungen auf die Bühne des Stadttheaters, die kurz nach ihrer Uraufführung meist schon wieder in Bibliotheken oder Schubladen verschwunden waren. In diesem Jahr sind es zwei einaktige komische Opern des Franzosen Pierre-Alexandre Monsigny, der in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts als Wegbereiter des Genres der Opéra Comique diente.

Horst Vladar inszeniert den zweiten Teil des Opernabends, «List (oder) und Vernunft», während Michael Hoffmann die Regie zum ersten Einakter, «Vergebliche Vorsicht», übernommen hat. „Das machen wir seit einigen Jahren so, in den ungeraden Jahren“, erzählt der 81-jährige Vladar. „Ich mache mir natürlich auch Gedanken, wer das nach mir vielleicht mal machen kann.“ Der Bariton Michael Hoffmann ist der Kammeroper seit vielen Jahren als Sänger verbunden, seit 2013 auch als Regisseur. Und obwohl sich beide in ihrer Herangehensweise und in der szenischen Sprache unterscheiden, gibt es doch übergreifend dieses ganz bestimmte Gefühl, diesen Kammeroper-Geist, der sich durch die Inszenierungen zieht.

Der kommt auch im Gespräch mit den Solistinnen und Solisten zum Tragen. Während sich das Orchester unter dem musikalischen Leiter Alois Rottenaicher aus Amateuren, aus Mitgliedern des Akademischen Orchesterverbandes München zusammensetzt, sind es Profis, die auf der Bühne stehen und singen. Sowohl Mezzosopran Denise Felsecker als auch Tenor Semjon Bulinsky waren schon mehrmals Teil des Ensembles. „Für mich ist Neuburg immer eine ganz besondere Zeit“, sagt Felsecker. „Die ganze Atmosphäre, die Probenarbeit, das macht so viel Freude. Es hat etwas Familiäres.“ Bulinsky stimmt ihr zu. „Dieses Wohlwollende, das lockere und trotzdem konzentriert intensive Arbeiten. Für mich machen das tatsächlich die Kolleginnen und Kollegen aus, sonst würde ich das wahrscheinlich nicht machen.“ Er muss die sechswöchige Probenzeit und sein festes Engagement am Theater Vorpommern unter einen Hut bekommen. Und dann ist da noch der Reiz des Unbekannten: Von den Partien existieren noch keine Aufnahmen, es gibt keine großen Stimmen, die mit ihrer Interpretation Maßstäbe gesetzt haben. „Es ist spannend, weil man aus sich alleine heraus etwas finden muss“, sagt Felsecker. „Du bist ganz blank. Ich muss sehen ,was aus mir heraus entsteht.“ Bulinsky fügt hinzu: „Ich genieße diese Narrenfreiheit. Auch mal eigene Verzierungen, andere Kadenzen singen.“ Die Erarbeitung sei dadurch jedoch auch aufwändiger und zeitintensiver. „Ich lerne Stücke schneller, wenn es eine Aufnahme dazu gibt.“

Das diesjährige Ensemble der Neuburger Kammeroper © Katharina Stork

Beide singen an diesem Abend zwei verschieden Rollen. Eine Herausforderung? Für Denise Felsecker ist es auf jeden Fall anspruchsvoller, als sich für einen Abend auf einen einzigen Charakter einlassen zu können. Ihr kommt jedoch entgegen, dass die Tessitura, der geforderte Stimmumfang, in beiden Partien recht ähnlich liegt. „Einmal singe ich eine Gouvernante und einmal die komische Alte. Da habe ich spielerisch einen schönen Kontrast.“ Für Bulinsky liegen die Partien szenisch gesehen etwas näher zusammen: „Ich bin beide Male der Liebhaber. Das heißt, es ist ähnlich und doch anders. Das macht es schwierig.“

Zwei komplett gegensätzliche Rollen nimmt Michael Hoffmann ein: In der von Horst Vladar inszenierten komischen Oper singt er den Bauern Mathurin, der die Heiratspläne seiner Tochter durchkreuzen will; im ersten Teil des Abends ist er selbst Regisseur. An das Zweigleisige hat er sich in vergangenen Produktionen mittlerweile gewöhnt. Für «Vergebliche Vorsicht» hat er sich dafür entschieden, ohne jegliche Requisiten auszukommen und nur über Pantomime zu gehen. Das Bühnenbild von Michele Lorenzini bleibt in diesem Teil recht schlicht. „Dadurch, dass Horst das erste Stück relativ naturalistisch inszeniert, mit Dreschflegel und allem Drum und Dran, wollte ich für das Publikum einen optischen Kontrast herstellen“, erklärt er. Schon zwei Wochen vor der Premiere zeichnet sich ab, dass auch diese Produktion wieder typisch Neuburger Kammeroper wird: unterhaltsam, kurzweilig, voller neuer Ohrwürmer und liebevoll inszeniert.

Hinter der vordergründig unbeschwert fluffigen, eingängigen Musik versteckt sich aber auch ein großes Fragezeichen. Wie geht es im nächsten Jahr weiter? Die Neuburger Kammeroper e.V. ist von den Zuschüssen der Stadt Neuburg abhängig, die der Kulturausschuss jedes Jahr bewilligen muss. Vier Jahre lang wurden die 60.000 Euro Zuschuss trotz überall steigender Kosten nicht erhöht, während für die aktuelle Produktion sogar nur 50.000 Euro bewilligt wurden. Von dieser Summe müssen alle Kosten gedeckt werden: das Ensemble, das Bühnenbild, das Orchester. Die Einnahmen der verkauften Karten gehen an die Stadt zurück. Horst Vladar seufzt sorgenvoll bei diesem Thema. „Dieses Jahr können wir das noch stemmen, weil wir als Verein noch Rücklagen haben. Ich habe nur fünf Leute auf der Bühne und das Orchester ist kleiner als letztes Jahr, da kriegen wir das gerade so hin.“ Schon in den Corona-Jahren musste der Verein Reserven angreifen. „Und da kann es sein, dass wir vielleicht das letzte Mal spielen.“ Das würde ein fatales Loch in Neuburgs Kulturlandkarte reißen, nach über 50 Jahren kleiner Opernjuwelen.

Daran hängen zeitintensive Suchen, Übersetzungen, Bearbeitungen, doch wieder verworfene Textbücher, weil der Schluss schlecht war. Es ist ein beeindruckendes und wertvolles Lebenswerk, auf das Horst Vladar und seine Frau blicken können. Annette Vladar hat ihn in der Suche nach alten Schätzen in Bibliotheken und Archiven stets unterstützt und als Sprachentalent die Übersetzungen besorgt. Ein sehens- und hörenswertes Ergebnis dieser jahrzehntelangen Arbeit kommt ab dem 22. Juli 2023 im Neuburger Stadttheater zur Aufführung.

 

«List (und) oder Vernunft» / «Vergebliche Vorsicht» – Pierre-Alexandre Monsigny
Neuburger Kammeroper ∙ Stadttheater Neuburg

Termine: 22./23./28./29./30. Juli 2023