Theater Münster

Knapp gerettet

Franz Schrekers Zauberoper «Der Schmied von Gent» gerät in der Inszenierung von Magdalena Fuchsberger banal und plakativ. Gerettet wird der Abend von den Musikinterpreten

Oliver Class • 23. Oktober 2023

Von der Gesellschaft verlacht, geht Smee der Schmied ins Wasser © Martina Pipprich

Kaum hat Franz Schrekers Oper «Der Schmied von Gent» begonnen, da hat ihr Titelheld Smee die Schnauze schon gestrichen voll. Eigentlich ist der Handwerker ja ein selbstbewusster und meistersingender Könner seiner Zunft, ein wahrer Hightech-Unternehmer des 16. Jahrhunderts. Doch er ist auch ein Geuse, also ein Niederländer, der sich zur Reformation bekennt und deshalb von der habsburgisch-katholischen Obrigkeit als ein potenzieller Unruhestifter argwöhnisch beäugt wird.

Das macht sich sein ständig betrunkener Konkurrent Slimbroek (darstellerisch ständig schwankend, stimmlich firm von Garrie Davislim gesungen) zu nutze. Slimbroek ist zwar ein miserabler Schmied, aber dafür – und das war nicht nur in Gent im 16. Jahrhundert von Vorteil – ein politisch korrekter Untertan. Der tüchtige, aber aufmüpfige Smee wird von seinem dauerblauen Mitbewerber durch eine Intrige zu Fall gebracht. Seine Existenz ist zerstört, Smee sieht keinen anderen Ausweg, als sich in den Fluss zu stürzen. In diesem Moment seines nahen Endes sind wir jedoch immer noch im ersten Akt, es müssen nun also dringend über- oder unterirdische Kräfte ins Geschehen eingreifen. Das ist kein Problem, denn Schreker schuf mit seinem «Schmied von Gent» eine Zauberoper, ein Genre, in dem ohne allerlei transzendentem Bühnenpersonal gar nichts geht.

So rettet die höllische Unterwelt den von seinem Unglück und einem Stein beschwerten Smee und bietet ihm einen Deal an: Die Teufel schenken ihm sieben Jahre in Saus und Braus, wenn er sich im Gegenzug dazu verpflichtet, nach Ablauf der Frist seine Seele den Teufeln abzutreten. Smee in seiner Not geht den Handel ein, und tatsächlich erleben er und seine Frau die Freuden eines Euromillionen-Haupttreffers: ihre Schmiede floriert wieder, der Reichtum des Paares wächst ins Unermessliche, ebenso wie ihr Leibesumfang. Smee und seine namenslose Frau mutieren im zweiten Akt zu lebenden Medizinbällen und hüpfen dementsprechend über die Bühne. Das findet die Regisseurin des Abends, Magdalena Fuchsberger, offenbar lustig und bringt somit zum Ausdruck, was wir ja alle sowieso wissen: Reiche sind immer auch fett.

Im Fortlauf der grotesken Märchenhandlung schnurrt eine Abfolge von Taten des Schmieds ab, mit welchen er sich die Hölle ersparen und den Weg in den Himmel ebnen will. Er ist gleichermaßen mildtätig und trickreich, verschlagen und brutal, aufmüpfig und anpassungsfähig, so wie es sich für einen Underdog auf dem Weg ins Paradies gehört.

Alik Abdukayumov und Wioletta Hebrowska harmonieren als Smee und seine Gattin. Nach einem Pakt mit dem Teufel werden diese steinreich - und fett © Martina Pipprich

Franz Schreker, der auch das Libretto zu seiner Oper geschrieben hat, wollte in seinem 1932 in Berlin uraufgeführten Bühnenwerk eine heitere, komische, eine „leichte“ Oper schaffen, was ihm hier durchaus gelungen ist. Schreker, der zusammen mit Richard Strauss der erfolgreichste deutsche Opernkomponist der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg gewesen war, musste zu Beginn der Dreißigerjahre erkennen, dass spätromantische, „schwere“ Opernsujets – wie seine Welterfolge «Der ferne Klang» oder «Die Gezeichneten» – es zunehmend im Repertoire der Opernhäuser „schwer“ hatten. Gefragt waren nun Jazz-Opern, Paul Hindemiths vertonte Tagesaktualitäten, Experimentelles – oder dann gleich Bewährtes von Mozart, Verdi oder Wagner. Eine Situation, die heutigen Opernspielplan-Kalamitäten durchaus ähnelt.

Schreker gelang es, in die märchenhafte, zauberische Handlung seiner Oper die latente Verunsicherung einzuweben, die durch politische, ökonomische und soziale Krisen den Zeitgeist des Jahrzehnts unheilvoll prägte. Gleichzeitig setzte er mit seiner Bühnenfigur des Smee ein optimistisches Zeichen gegen die gewalttätigen Ideologien seiner Zeit. Sein flämischer Schwejk narrt die Teufel, die sich als anmaßende Herrenmenschen gerieren und lehnt sich erfolgreich gegen deren Unterdrückungsregime auf. Indem er einen der Teufel, der als Herzog Alba – dem durchaus historischen Erzfeind der Niederländer – auftritt, auf einem Sessel festklebt und verprügelt, führt er die Subversion der Macht durch den „kleinen Mann“ exemplarisch vor. Dass Schrekers dergestalt entworfene Utopie des Widerstandes gegen das Unrecht unglückseligerweise in dessen Realität keine Wirkung entfalten konnte, wäre einer der möglichen interpretatorischen Ansätze für die Regie gewesen.

Magdalena Fuchsberger fällt zu der eigentlich höchst vergnüglichen und hintersinnigen Opernhandlung jedoch in jedem der drei Akte etwas anderes ein: im ersten Nichts, im zweiten Albernheiten und im dritten Nazikitsch. In den beiden Akten vor und nach der Pause gelingen der Regie keine treffenden oder zumindest phantasievollen Bilder für das übermütige Bühnengeschehen. Vielmehr findet auf der Guckkasten-Einheitsbühne von Monika Biegler dröges Hammerschwingen (Smee der Schmied!), unvermitteltes Herausschauen von Solisten und Chor aus Fenstern und Türen der Seitenwände des Bühnenraumes und das Herumgehüpfe der auf jeweils ungefähr 300 Kilogramm aufgepumpten Protagonisten statt.

Im letzten Akt wird Smee von Petrus (Gregor Dalal verleiht der Rolle volltönende Autorität, dass er allerdings gewandet ist wie Mussolini, wenn er in Zivil unterwegs war, verstört dann doch nachhaltig) an der Himmelspforte zuerst abgewiesen, dann jedoch nach dem himmlischen Abwägen seiner guten und seiner bösen Taten schließlich ins Paradies eingelassen. Und jetzt zieht Magdalena Fuchsberger die Trumpfkarte jedweden Belehrungstheaters: Alle Himmelsbewohner sind Nazis, die Männer stecken in braunen und grauen (erstaunlicherweise keinen schwarzen) Uniformen, die Frauen und Mädchen sind blondbezopfte Maiden in strammer Mutterkreuzempfängnishaltung. Das will uns nun wohl sagen: Wer hier die Guten sind, ist zumindest unklar. Die, die das Hosianna im Himmel singen, sind es jedenfalls nicht, sondern schon eher die Höllenbrut, die als diverse Partypeople-Community geschildert wird. 

Dass diesen kritischen Zeitbezug in die Vergangenheit auch wirklich jeder und jede und ganz bestimmt als ein flammendes Menetekel für die Gegenwart verstehen kann, soll und muss, erscheinen quasi als ein Untertitel für Doofe die mahnenden Worte „UND HEUTE? UND WIR?“ auf einer Videowand. Und wir? Wir haben, wie schon Smee im ersten Akt, die Schnauze ein bisschen voll. Die Premiere war von Beginn an schütter besetzt, nach der Pause leerte sich das Parkett weiter, die Reaktion des Restpublikum auf das Regieteam: kühl.

Es ist gleich zweifach schade, dass diese Interpretation des «Schmied von Gent» wenig überzeugen konnte. Zum einen, weil Schrekers Zauberoper so selten gespielt wird, und in Münster die Chance, sie zu einem Repertoirestück zu machen, nicht genutzt wurde. Und zum anderen, weil die spektakuläre Musik des letzten Bühnenwerks des Klangschmieds Schreker spektakulär gut interpretiert wurde.

Robyn Allegra Parton in der Rolle der höllischen Verführerin Astarte bezirzt den Schmied (Alik Abdukayumov) und das Publikum mit ihrem hellleuchtenden Sopran © Martina Pipprich

Die Musik ist flott, durchaus eingängig, ohne banal zu sein, im besten Sinne volkstümlich, dabei bezugsreich und komplex und doch einfach und „gegenständlich“ tönend. Sie pulsiert und drängt, schlendert und marschiert, tänzelt und trällert – zwei Stunden Musik ohne Langeweile. Bewundernswert ist die delikate Instrumentation der Partitur, die das Geschehen akustisch weit einprägsamer und markanter illustriert, als das hier der Regie zu gelingen vermag.

Da klappern die Kastagnetten bei einem spanischen Trinklied, das Smee mit seinen Freunden an der Himmelspforte zum Besten gibt, es schmettern die Geusen einen vom guten belgischen Braunbier beschwingten Freudenchor, es plappern die Holzbläser, es parodiert das Saxophon das Selbstmitleid, in dem der Schmied zu baden beliebt, es brüllt das gepanzerte Blech in Momenten dramatischer Zuspitzung – dieses musikalische Feuerwerk kompositorischer Virtuosität versteht das Sinfonieorchester Münster unter der Leitung von Henning Ehlert zu einem gleichermaßen transparenten wie glitzernden Klangfluss zu gestalten. Vor allem die Bläsergruppen und das vielbeschäftigte Schlagwerk brillieren mit solistischen Bravourstücken.

Zu dem sehr überzeugenden Klangbild aus dem Orchestergraben und dem engagiert singenden und spielenden Opernchor (Einstudierung: Anton Tremmel) passt die durchweg erfreuliche darstellerische und musikalische Leistung des Sängerensembles.

Die Titelrolle singt und gestaltet Alik Abdukayumov mit einem differenziert geführten Bariton, der alle Facetten der Bühnenfigur zum Klingen bringt. Wioletta Hebrowska ist seine selbstbewusste Handwerkergattin, die mit Abdukayumov wunderbar harmoniert und ihre Rolle in Rezitativen, im Parlando und in den klangvollen Duetten und Soli gleichermaßen bravourös gestaltet. Die Charakterrollen der Handwerker, Adligen, des höllischen wie des himmlischen Personals sind durchweg überzeugend besetzt, vor allem Robyn Allegra Parton in der Rolle der höllischen Verführerin Astarte bezirzt den Schmied und das Publikum mit ihrem hellleuchtenden Sopran und ihrer aparten Darstellung einer attraktiven Teufelin. So, wie Smee am Ende knapp seiner Höllenfahrt entgeht, so rettet das musikalische Ensemble diesen «Schmied von Gent» im Theater Münster – „gelukkig“, würde Smee sagen.


«Der Schmied von Gent» – Franz Schreker
Theater Münster

Kritik der Premiere am 21. Oktober 2023
Termine: 31. Oktober; 3./8./26. November; 21. Dezember 2023; 13./19. Januar 2024 

 


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