Gerhart-Hauptmann-Theater Görlitz-Zittau

Wiedergewonnener Jubel

In Görlitz spielt man gegen die Insolvenz: Als erste Premiere nach dem großen Wasserschaden kam Händels Oratorium «Saul» auf die wiederhergestellte Bühne

Ute Grundmann • 06. November 2023

König Saul (Buyan Li) bedroht David (Noah Xuhui Du) © Pawel Sosnowski

Ein kleines Mädchen zielt mit ihrer Schleuder auf den Riesen, trifft und haut ihn um. Diese zentrale Szene signalisiert das Thema des „Dramatischen Oratoriums“: Der Kampf David gegen Goliath, gegen den König, gegen Feinde. Die wendungsreiche, biblische Geschichte ist ein Geflecht von Macht- und Gefühlskämpfen, göttlicher Fügung und Anrufung der Geister. 

Ausdrücklich für das Theater, nicht für die Kirche gedacht und komponiert, ist Händels Werk (HWV 53) mit weniger Aufwand zu realisieren als eine Oper, etwa einem Einheitsbühnenbild aus zahllosen Stufen und einem Video-Hintergrund (Ausstattung: Karel Spanhak). Mehr ist im Großen Haus des Görlitzer Theaters derzeit auch kaum möglich, denn man spielt mit Ausnahmegenehmigung und Brandschutzauflagen.

Vor einem Jahr hatte ein Fehlalarm die Sprinkleranlage ausgelöst, die tausende Liter Wasser auf die Bühne und in den Orchestergraben stürzen ließ (siehe Bericht „Wir sind hier gewollt!“). Noch ist die Bühnentechnik beeinträchtigt, Pyrotechnik verboten, ein Wechsel der Stücke nicht möglich, weil keine Kulissen und Requisiten auf der Bühne lagern dürfen. Also spielt man en suite – auch dieses beeindruckende Oratorium.

Die lange Ouvertüre beginnt hoch, hell, schnell in Siegesstimmung, wird dunkler, lässt kriegerische Marschtritte anklingen, bleibt trotzdem fließend bis zum heiteren Ende. Währenddessen läuft Text den noch geschlossenen Eisernen Vorhang hoch. Als der sich hebt, wird eben das Treppenbühnenbild sichtbar, auf dem der große Chor froh und fröhlich zu Trompetenklängen den großen Sieg feiert. Auch Merab (Jenifer Lary) lässt mit strahlender Stimme eine kampfbetonte Siegeserzählung erklingen.

Doch nicht nur weil finstere Kämpfer durch die Szene marschieren, hält die frohe Stimmung nicht. König Saul (Buyan Li) neidet David (Noah Xuhui Du) bald dessen Sieg gegen Goliath, fürchtet um Macht und Rang. Zwar soll David als Lohn für seine Heldentaten die Königstochter Merab heiraten, doch die lehnt ihn wegen seiner niederen Herkunft ab.

Dies alles und vieles mehr wird gesungen erzählt, Aktion gibt es kaum, Übertitel in Deutsch und Polnisch helfen, der Handlung zu folgen. Regisseurin Rebekka Stanzel aber löst das so klug und überzeugend mit einer sehr stimmigen Personenführung. Der formidable und ohnehin agile Chor (einstudiert von Albert Seidl) – die Menschen aus dem Volk – singt und agiert nuancenreich, feiert und trauert, verdammt den Neid, der Saul gar zum Speer greifen lässt.

Jenifer Lary und Nienke Otten betrauern als Merab bzw. Michal ihren Bruder Jonathan (Yalun Zhang) © Pawel Sosnowski

Doch auch die Solisten lässt Stanzel sich sinn- und abwechslungsreich über die Stufen bewegen, auf der nicht „grausame Wut der sanften Rede weicht“, wie Merab hofft, sondern Bedrohung und Gefahr für David eskalieren, bis sogar die ihn liebende Michal (Nienke Otten) dramatisch zur Flucht rät. Und so machen in dieser besonderen Inszenierung die Sänger die Handlung aus. 

Buyan Li lässt Saul immer kälter und härter klingen, je mehr er sich in Furcht und Egoismus verliert. Scheint er durch Kronreif und rote Robe geschützt, trägt David oft zur Hose nur ein dünnes, offenes Hemd. Aber Noah Xuhui Du singt und spielt ihn counterhoch als standhaften, aber eher sanften Helden, der am Ende siegen wird. Den von Saul herbeigerufenen Geist des erschlagenen Samuel gestaltet Peter Fabig zum Fürchten.

Getragen und befeuert werden sie alle von der Neuen Lausitzer Philharmonie unter Leitung von Ulrich Kern. Wie ein Signal ragt der lange Hals der Gambe aus dem Orchestergraben, auch Celesta und Cembalo erklingen. So mischt sich historischer mit Streicher- und Klang der Harfe, die die Kampfszene zwischen Saul und David – Speer gegen Pfeil und Bogen – mit sanftem Zupfen unterlegt. Auch Jonathan (sehr ausdrucksvoll: Yalun Zhang) wird von Saul umhergestoßen, mit dem Dolch bedroht – der Volks-Chor kann beide nicht besänftigen, sieht den Untergang kommen. Die Frauen des Volkes haben Kopf und Haare bedeckt, die Königstöchter dürfen „frei“ umhergehen.


Ungewisse Zukunft

Bei aller Erleichterung über die Wiedereröffnung des historischen Theaters – Intendant Daniel Morgenroth begrüßte freudestrahlend das Publikum –, von Sorgen frei ist man nicht. Denn die weitere Finanzierung ist noch ungeklärt. Auch durch die geringeren Einnahmen in den kleineren Ausweichspielstätten hat sich ein Minus von wohl 1,7 Millionen Euro angesammelt, ist die Insolvenz noch immer Thema.

Der Landkreis Görlitz sollte eigentlich im Dezember über die Finanzfrage entscheiden, auch über mögliche Einsparungen oder Spartenschließungen beraten, hat sich aber ins neue Jahr vertagt. Denn man hofft auf eine Initiative für die kommunalen Theater, die der Freistaat Sachsen angekündigt hat. Und so galt ein Teil des langen Jubels nach einer beeindruckenden Premiere sicher auch dem wiedergewonnenen Theater.


«Saul» – Georg Friedrich Händel
Gerhart-Hauptmann-Theater Görlitz ∙ Großes Haus

Kritik der Premiere am 04. November 2023
Termine: 11./12./17./19./25./26. November

 


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