Kalchschmids Albenpanorama
12/2023
Vokalmusik von tiefernst bis launig heiter, französische, italienische und spanische Folksongs, ein barockes Weihnachts-Pasticcio und ein Silvester-Operetten-Programm
Klaus Kalchschmid • 15. Dezember 2023
Was ist die 14. Symphonie von Dmitri Schostakowitsch: Oratorium, Requiem oder schlicht ein Liederzyklus mit Streicherbegleitung und ein wenig Schlagwerk? Jedenfalls ist es, wie auch Gustav Mahlers «Das Lied von der Erde», keine Symphonie. Harte, herbe, aber faszinierende Kost sind diese 50 Minuten, bewusste Fortsetzung von Modest Mussorgskys «Lieder und Tänze des Todes» hier ergänzt mit Schostakowitschs fünf Fragmenten für Bläser op. 42. Asmik Grigorian und Matthias Goerne singen die im Original spanischen (Lorca), französischen (Apollinaire), russischen oder deutschen (Rilke) Texte allesamt in russischer Übersetzung, wie in der ersten Fassung vorgesehen: Das Spektrum reicht dabei von Ertrinken (dank der Loreley), Tod im Schützengraben, Suizid, Kampf gegen Wahnsinn im Gefängnis, dumpfem Wutausbruch, dem Gesicht eines Sterbenden bis zu Rilkes Gedicht „Der Tod ist groß, wir sind die Seinen lachenden Munds. Wenn wir uns mitten im Leben meinen, wagt er zu weinen mitten in uns“. Matthias Goerne ist mittlerweile vom sämig-satten Bariton zum fulminanten Bassbariton gereift, was dem düsteren Charakter dieser Lieder gut steht wie der glühende, ebenfalls dunkel getönte Sopran von Asmik Grigorian. Auch das Orchestre philharmonique de Radio France malt unter Mikko Franck mit vielen Schattierungen zwischen Hellgrau, schimmerndem Anthrazit und tiefer Schwärze einen abgründig schroffen Untergrund. (alpha)
Danach ist das schlicht «Folksongs» genannte wunderreiche Album der tschechischen Mezzosopranistin Magdalena Kožená der reine Balsam. Nach „Love Songs“ von Dvořák, Janáček und Martinů (2004) und (Volks-)Liedern aus ihrer Heimat im Jahr 2008 – geboren ist sie wie Leoš Janáček in Brünn – nun ein breites Spektrum zwischen Ungarn, Armenien, Frankreich, Italien und Spanien. Mit dabei ist das berühmteste Orchester ihrer Heimat, die Tschechische Philharmonie, aber natürlich steht ihr Mann, Sir Simon Rattle am Pult. Der Beginn mit den fünf Ungarischen Volksliedern von Béla Bartók (1929) ist noch geheimnisvoll beängstigend und klingt ganz nach «Herzog Blaubarts Burg», geht es doch um einen Mann, der aus dem Gefängnis heraus Frau und Kinder mit einem Brief trösten will. Doch dann wird es immer verbindlicher und heiterer. Auch beim Italiener Luciano Berio mit seinen mehrsprachig vielgestaltigen Folk Songs (1964), dem Franzosen Maurice Ravel (mit seinen „5 Mélodies populaires grecques“, komponiert 1904-06) oder dem Katalanen Xavier Montsalvatge (5 Canciones negras aus dem Jahr 1945): Stets gehen eine farbige, oft avancierte Klangsprache, mal mit großem, mal mit Kammerorchester, eine Symbiose ein mit volksmusikalischem Idiom ein. Das erhellt die Sinne, schärft den Geist und wärmt das Herz. (Pentatone)
«Angelus ad Pastores» nennt der Komponist und Chorleiter Howard Arman seine Weihnachtsgeschichte nach dem apokryphen Evangelium des Jakobus. Einst war dieses Evangelium, das weniger die Geschichte Jesu beschreibt denn ein „Marienleben“ darstellt, sehr populär und hat in der Kunstgeschichte viele Spuren hinterlassen, wurde aber nicht in den Kanon der Evangelien aufgenommen. In der Mitte des 2. Jahrhundert nach Christus entstanden, thematisiert es sehr konkret und ausführlich aus Sicht von Joseph die jungfräuliche Empfängnis Marias; auch die anderen Ereignisse rund um die Geburt Christi werden mit erstaunlicher Deutlichkeit formuliert. Ein wenig hat das den etwas reißerischen Stil einer Bild-Zeitung oder von „Gala“, aber gerade das besaß wohl einen gewissen Reiz. Howard Arman will nicht keineswegs mit Bachs Weihnachtsoratorium konkurrieren und hat daher die Texte mit verschiedenen Solo-Stimmen rund um einen Evangelisten (Bariton Christof Hartkopf), prägnant gesungen von zahlreichen Solisten aus dem Chor des Bayerischen Rundfunks, vertont. Sie übernehmen die Rolle von Joseph, von Engeln oder der Heiligen Drei Könige. Dazu gibt es passende, hervorragend dargebotene (Chor-)Musik von Johann Hermann Schein, Nicolaus Zangius, Hieronymus Praetorius, Hans Leo Hassler und Melchior Vulpius, und am Ende Peter Maxwell Davies‘ „O Magnum Mysterium“. (BR Klassik)
Wer nun noch ein launiges Silvester-Programm sucht, während er das Menü kocht oder die Mitternacht erwartet, dem sei Diana Damraus neues Operetten-Special zwischen Wien, Berlin und Paris ans Herz gelegt. Nach der Schwärze des ersten Albums nun viele Facetten zwischen Alt- und Bonbon-Rosa, was schon Cover und der Innenteil des Jewel Case andeutet. Viele selten gehörte Perlen sind dabei aus Franz Lehárs «Eva», André Messagers «Monsieur Beucaire» und der Offenbachischen «Phi-Phi» von Henri Christiné, um nur ein paar Titel zu nennen. Aber es gibt auch populäre Schlager wie „Schlösser, die im Monde liegen“ aus «Frau Luna», „Im Chambre séparée“ aus «Der Opernball» (mit Jonas Kaufmann) oder, mit ungarischem Pfeffer dargeboten: „Hör ich Cymbalklänge“ aus «Zigeunerliebe» und das unverwüstlich selbstbewusste „Ich bin eine Frau, die weiß, was sie will“ aus «Manon» von Oscar Straus. Das Münchner Rundfunkorchester spielt unter Ernst Theis fein moussierend, wie auch Diana Damrau ebenso frech im Sprechgesang parliert, wie sie mit Leichtigkeit in Tongebung und Phrasierung wie schlanken Spitzentönen singt. Dabei haben alle diese Schlager einen doppelten Boden und sind ebenso verführerisch wie erotopolitisch unkorrekt – oder darf man heute noch einen Satz sagen oder singen wie „Du sollst der Kaiser meiner Seele sein“? (Erato)