Kurzkritik | Stream vom 26.03.2021

«Nur wer die Sehnsucht kennt» (Tschaikowski-Liederabend) | Oper Frankfurt

Stream nicht mehr verfügbar

27. März 2021

Der Griff zum Wasserglas war für Tschaikowski tödlich - dessen Inhalt war nicht abgekocht, der Komponist starb kurz darauf vermutlich an der Cholera. Seither wird spekuliert, dass Tschaikowski sich womöglich vorsätzlich selbst tötete. Er war jedenfalls kein sonderlich glücklicher Mensch, was sich auch in seinen Liedern widerspiegelt. Wenn der erstklassige Bariton Vladislav Sulimsky in seinem Debüt an der Oper Frankfurt gleich zu Beginn des inszenierten Liederabends «Nur wer die Sehnsucht kennt» ein Wasserglas leert, dann stellt er einen klaren Bezug zur Theorie der Selbsttötung her. Denn in dem von Christof Loy konzipierten und inszenierten Abend folgen fast ausschließlich düstere Gedanken. Die Liebe ist nicht viel mehr als der hoffnungsfrohe Irrtum der Jugend auf Glückseligkeit, die früher oder später unausweichlich in der Einsamkeit endet - wohl auch deshalb, weil man sie sucht. Oder sänge man der Nacht sonst ein Liebeslied?

Loy lässt Sulimsky auf meisterhafte Weise mit Mikołaj Trąbka (Bariton), Andrea Carè (Tenor) sowie mit Olesya Golovneva (Sopran) und Kelsey Lauritano (Mezzosopran) interagieren, wiewohl die Figuren trotz ihrer offensichtlichen Nähe zueinander jeweils in einer eigenen Parallelwelt zu leben scheinen. Die Handlung spielt sich in dem eleganten Salon-Ambiente jenes Bühnenbilds ab, das Herbert Murauer für eine von Loy inszenierte "Fedora"-Produktion entworfen hat, die bereits in Stockholm Premiere hatte und im Januar auch in Frankfurt gezeigt werden hätte sollen. Aus bekannten Gründen musste man umdisponieren und entschied sich für dieses geglückte Experiment. Die von Mariusz Kłubczuk am Klavier begleiteten Solist*innen sind allesamt hervorragend, darunter Kelsey Lauritano, die die hohe Qualität des Frankfurter Ensembles unterstreicht. Der Höhepunkt der fast zweistündigen Aufführung ist wohl das finale Lied „Wieder wie einstmals allein“, das bei Loy laut Programmheft die Initialzündung für diesen Abend war.

Der Stream ist für drei Monate kostenlos verfügbar - aber Achtung: Wer Opern-Streams in der gegenwärtigen Krisenzeit ausschließlich zur Erheiterung konsumiert, der sollte noch warten. Eine DVD ist in Planung. Prädikat: hochklassig & originell (sb)



Foto: Mariusz Kłubczuk (Klavier) und Vladislav Sulimsky (Bariton) © Monika Rittershaus

Inszenierung Christof Loy
Bühnenbild und Kostüme Herbert Murauer
Licht Olaf Winter
Choreographische Mitarbeit Andreas Heise
Video Ruth Stofer
Dramaturgie Maximilian Enderle
Bildregie Michael Beyer
 
Sopran Olesya Golovneva
Mezzosopran Kelsey Lauritano
Tenor Andrea Carè
Bariton I Vladislav Sulimsky
Bariton II Mikołaj Trąbka
Klavier Mariusz Kłubczuk / Nikolai Petersen

Oper Frankfurt