Valerie Eickhoff
„Mehr Empathie wäre gut“
Das baldige Ensemblemitglied der Semperoper im Gespräch über Tücken bei Wettbewerben, Defizite an den Musikunis, Tabus der Opernwelt und wie man die Oper „cooler“ machen könnte
Stephan Burianek • 11. April 2024
Sie kommen gerade von einem Live-Interview bei Radio-Klassik Stephansdom, in dem Sie Ihr neues Album mit Hanns-Eisler-Liedern beworben haben. Dort haben Sie von der Diskrepanz zwischen einer teilweise harmlos naiv wirkenden Musik einerseits und den toternsten Texten in Eislers Werken andererseits gesprochen.
Ja, zum Beispiel das Lied „Über den Selbstmord“. Da denkt man: Ein intimes Lied! Und dann kommt am Ende diese dramatische Wendung. Oder „Sturmesnacht“: Das klingt wie eine schöne Ballade. Im Text wird aber darauf thematisiert, dass Leute wie Hitler oder Putin unsere Kraft nicht zerstören können, wenn wir zusammenhalten.
War die Wahl dieser Lieder ein Statement?
Da bin ich vorsichtig, denn um mich politisch zu äußern bin ich nicht die Richtige. Aber man kann und sollte vielleicht schon darauf hinweisen, dass diese Texte, die vor hundert Jahren geschrieben wurden, heute dieselbe Gültigkeit haben wie damals.
Warum klafft zwischen Eislers Musik und den von ihm vertonten Texten eine so große Gemütsschere?
Er selbst hat dazu etwas gesagt – Moment, das habe ich mir aufgeschrieben [nimmt das Handy zur Hand, Anm.]: „Ich habe dem Inhalt des Gedichts widerstanden und habe ihn in meiner Weise aufgefasst. Das gehört zur Intelligenz der Musik, und wer das nicht macht, ist ein Dummkopf.“ Ich denke, er wollte damit sagen: Hey, ich mache es eben nicht wie der Mainstream.
Sie waren Ensemblemitglied an der Deutschen Oper am Rhein (Düsseldorf / Duisburg) und zuletzt als freischaffende Sängerin gut unterwegs. Trotzdem singen Sie ab der kommenden Saison wieder als festes Ensemblemitglied, nämlich an der Semperoper – also doch lieber angestellt als freischaffend?
Ich bin gern freischaffend, aber das Angebot der Semperoper war sehr gut, zumal es mir gelegentliche Gastengagements erlaubt. In Dresden werde ich mein Hausdebüt mit der Partie der Rosina geben, und außerdem u.a. den Hänsel singen sowie als Rollendebüt den Stefano in Gounods «Roméo et Juliette». Und natürlich kann die Semperoper ein Sprungbrett für einen neuen Level in der eigenen Karriere bedeuten. Mit namhaften Leuten zusammenzuarbeiten, empfinde ich meistens als künstlerische Bereicherung.
Sie haben an vielen Wettbewerben teilgenommen. Gab es Wettbewerbe, an denen Sie ganz bewusst nicht teilgenommen haben oder bedeutet jeder Wettbewerb die Chance auf eine Trophäe?
Nein, das ist alles recht undurchsichtig, und da muss man vorher recherchieren und mit erfahrenen Kolleg:innen sprechen. Ich weiß von manchen Wettbewerben, dass die recht politisch sind und von anderen, die teilweise Personen eingeladen haben mit dem Hinweis: „Wenn Du Dich bewirbst, dann wirst Du gewinnen.“ Die Motivation ist in solchen Fällen wohl, dass man sich bei bestimmten Gewinner:innen mehr Aufmerksamkeit verspricht und dadurch mehr Geld lukrieren kann. Es gibt ja auch Wettbewerbe, für die man als Bewerber:in sehr viel Geld zahlen muss. Davon bin ich kein Fan, und nach meiner Erfahrung waren die besten Wettbewerbe immer jene, die die Bewerber:innen finanziell unterstützt haben. Der Concours musical international de Montréal zahlt beispielsweise die Flüge und stellt Unterkünfte in Gastfamilien zur Verfügung. Beim ARD-Wettbewerb war das ähnlich, aber dort soll jetzt leider der Etat gekürzt werden.
Es gibt also Wettbewerbe, die „geschoben“ sind?
Klar, manchmal weiß man schon bei der Begrüßung durch die Jury, welcher Sänger oder welche Sängerin einen Preis gewinnen wird. Aber manchmal täuscht man sich auch. Mich hat schon mal jemand nach einem Wettbewerb gefragt: „Wie? Du hast einen Preis gewonnen und kanntest niemanden in der Jury?“
Der SWR hat ein TV-Portrait über Sie gedreht. Darin sprechen Sie auch etwas desillusioniert von der Entdeckung, dass die meisten selbstständigen Kollegen und Kolleginnen PR-Agenturen beschäftigen.
Das ist tatsächlich ziemlich frustrierend, und ich habe viele Freund:innen und Kolleg:innen, die immer noch denken, dass sie ausschließlich über ihre Stimmen zu Engagements kommen. Es ist letztlich ein Business, in dem immer noch mehr ausgebildete Sänger:innen als offene Stellen vorhanden sind. Man muss sich als Sänger:in daher auch als Marke verstehen.
Wird man auf den Musikhochschulen in Sachen Selbst-Marketing nicht vorbereitet?
Nein, gar nicht.
Haben Sie noch weitere Wünsche an die Musikhochschulen?
Die mentale Arbeit ist eine wichtige Komponente, die völlig untergeht. Es fehlen Coping-Strategien, die einem helfen, mit dem Druck umzugehen, man wird dann einfach in den Markt hineingeschmissen. Ich würde mich als reflektierten Menschen bezeichnen, der gerne Bücher zu diesen Themen liest und habe im Laufe der Jahre viel an mir und meiner mentalen Herangehensweise gearbeitet. Es gibt während des Studiums hin und wieder einen Workshop zu diesen Themen, aber zu selten, das bringt einem nicht sonderlich viel.
Das spiegelt eine gewisse darwinistische Mentalität des Systems wider: Nur die Harten kommen durch. Das entspricht wohl auch ein wenig der Natur des Opernbetriebs. Andererseits gehen der Opernwelt wahrscheinlich dadurch große Talente verloren.
Dadurch, dass man in meinem Beruf permanent mit der Kritik konfrontiert wird, achte ich nun selbst oft darauf, was noch zu verbessern wäre. Man hört bei Proben selten, dass man etwas gut gemacht hat. Am Theater heißt es oft: „Wenn niemand etwas zu Dir sagt, dann machst Du es richtig.“ Das finde ich schade, aber so ist das nun mal.
Das ist im Journalismus eigentlich auch nicht anders.
Das ist sicher in vielen Bereichen so. Aber das macht was mit einem, und man reagiert darauf, ob man will oder nicht. Was mich betrifft, so hat der Kritik-Aspekt viel mit meinem Selbstbewusstsein gemacht. Ich war immer überzeugt von dem, was ich gemacht habe, und hatte ein gutes Grundvertrauen in mich selbst. Im Verlauf der Karriere gab es immer mehr Momente, in denen ich zu zweifeln begann: War ich wirklich gut genug? Ich weiß von meinen Kolleg:innen, dass viele dasselbe durchmachen. Wenn man darauf besser vorbereitet werden könnte, dann wäre das toll. Im Sport ist das Standard, da hat jeder Profi einen Mentalcoach. Bei uns wird über ein solches Thema gar nicht gesprochen.
Auch Therapien sind immer noch ein Tabuthema, kommt mir vor.
Bei den Geschichten, die wir erzählen, gibt es unterschiedliche Herangehensweisen. Ich suche diesbezüglich häufig bei mir in meinem Erfahrungsschatz. Das wird jetzt vielleicht persönlich, aber in einer Produktion von Mozarts «La finta giardiniera» im Theater an der Wien im letzten Jahr habe ich mich ungewöhnlich emotional aufgewühlt gefühlt. Ich habe dann realisiert, dass die Rolle, die ich gespielt habe und in der es um eine schwierige Liebesbeziehung ging, eigene Erlebnisse in mir aktiviert haben, durch die ich mich zurückversetzt gefühlt habe.
Es sollte doch eigentlich völlig normal sein darüber sprechen zu können, wenn es einem mal nicht gut geht. Gerade als selbständige Person ist man immer wieder mit Phasen der Unsicherheit konfrontiert. Ich habe aber das Gefühl, dass die jüngere Generation offener mit Gefühlen umgeht?
Über Instagram, wo ich sehr aktiv bin, teilte ich mal mit, dass ich sehr nervös bezüglich meines Cenerentola-Debüts bin und wie die Bedingungen zur Vorbereitung aussehen: Dass ich keine Orchesterprobe und nur fünf Proben ohne „meinem“ Ramiro auf der Probebühne haben werde. Und dass ich nicht weiß, wie das enden wird. Natürlich wusste ich, dass ich die innere Stärke hatte, um das bewältigen zu können, aber die Unsicherheit war unangenehm. Daraufhin haben sich Leute bei mir bedankt und mir geschrieben, dass sie es toll fänden, dass ich das so offen kommuniziere. Das hat mich überrascht, denn ich dachte mir: Ja, warum denn nicht?
Eine mentale Stärke benötigt man jedenfalls beim Vorsingen an Opernhäusern. Für die Bewerber herrschen mitunter schlechte Bedingungen herrschen. Eine Sängerin hat mir mal erzählt, dass sie mal in einem kalten Räumen auf ihren Auftritt zu warten hatte.
Oder dass man sich mit allen anderen in einem einzigen Raum einsingen muss. Schade ist auch, dass man nach einem Vorsingen sehr häufig kein Feedback bekommt. Mehr Empathie der dortigen Entscheidungsträger wäre gut. Man weiß oft nicht, woran man ist und hört trotz mehrmaligen Nachfragen monatelange nichts. Und dann kann es sein, dass sich ein Haus, das man bereits abgeschrieben hat, mit einem Angebot meldet.
Das Vorsingen an diversen Häusern und die Teilnahme an Wettbewerben kosten Geld. Sie sind in finanziell abgesicherten Verhältnissen aufgewachsen. Haben Sänger und Sängerinnen mit einem finanziellen Polster in der Karriere einen Startvorteil?
Meine Eltern haben mich im Studium unterstützt, das habe ich aber relativ früh bewusst abgestellt. Mir haben zu Beginn meiner Karriere auch diverse Stipendien geholfen. Aber es stimmt: Man muss meistens in Vorkasse gehen, auch bei Gast-Engagements muss man beispielsweise die Wohnung und die Reisekosten vorstrecken. Das Geld kommt dann erst später.
Wenn es überhaupt kommt: Wenn Sie erkranken und nicht singen können, dann machen Sie einen Verlust.
Genau, das ist mir bei einem Liederabend in den USA passiert. Das Visum wurde nicht rechtzeitig ausgestellt, daher musste ich alles absagen, und natürlich bin ich auf den Flugtickets und den relativ hohen Gebühren für den Arbeitsvisum-Antrag sitzen geblieben. Nachdem ich schon seit einigen Jahren im Geschäft bin, kann ich mir solche Situationen leisten. Aber wenn man frisch vom Studium kommt, dann kann man das meistens nicht.
Haben Sie sich früher mal überlegt, was Sie machen würden, sollte das mit dem Singen finanziell nicht funktionieren?
Ja, während der Pandemie. Aber ich war damals glücklicherweise in einem festen Engagement und habe daher regelmäßig mein Gehalt bekommen.
Wenn man junge Menschen in der Oper sieht, dann sind das sehr häufig Musiker in der Ausbildung und selten Personen aus dem eigentlichen Publikum. Am Ende Ihres SWR-Portraits richten Sie nicht zuletzt diesen Menschen aus: „Kommt in die Oper, sie kann sehr cool sein.“ – Warum glauben viele, dass Oper bei vielen Menschen nicht als cool gilt?
Ich werde von Gleichaltrigen oft gefragt, ob sie auch in Jeans kommen können. Natürlich können sie das. Aber auch ich bin mal spontan mit einer zerrissenen Jeans in die Oper gegangen und wurde auf der Toilette von oben bis unten von einer kopfschüttelnden Dame gemustert. Das war natürlich nicht „cool“, und vor diesem Hintergrund ist es verständlich, dass manche Leute Vorbehalte haben. Ich denke, es sollte um das gemeinsame Erleben gehen. Aber auch da: Ich habe mal gemeinsam mit Kolleg:innen ausgelassen die Leistungen der Kolleg:innen auf der Bühne bejubelt – daraufhin ließ man uns wissen, wir seien nicht auf einem Rockkonzert. Nehmen wir Kopenhagen: Dort darf man Essen und Getränke in die Vorstellung mit hineinnehmen.
Puh, das wäre mir „too much“. Ich möchte während der Vorstellung eigentlich keinen schmatzen Besucher neben mir sitzen haben.
Schmatzen sollte man natürlich nicht, aber ich finde, eine solche Lockerheit macht die Oper zugänglicher, und das finde ich im Grunde gut. Sehr ansprechend finde ich übrigens auch Inszenierungen, die eine Nähe zum Publikum herstellen, wie jene von Barrie Kosky. Die Leute brauchen Berührungspunkte und schätzen niederschwellige Zugänge.
Das Interview wurde im März 2024 in der Vinothek Walletschek im Wiener Schubertviertel geführt.
Valerie Eickhoff wurde 1996 in Herdecke geboren und schloss 2018 ihr Gesangsstudium an der Robert-Schumann-Hochschule Düsseldorf ab. Nach ersten Erfahrungen im Opernstudio Niederrhein und im Opernstudio der Deutschen Oper am Rhein war die die junge Mezzosopranistin von Herbst 2020 bis 2023 festes Ensemblemitglied an der Deutschen Oper am Rhein. Gast-Engagements führten sie u.a. zu den Tiroler Festspielen Erl und die Königliche Oper in Kopenhagen. Im September 2021 gewann sie den 3. Preis des ARD-Musikwettbewerbs in der Kategorie Gesang, im Januar 2022 wurde sie zweifach mit dem Emmerich Smola Preis ausgezeichnet: Eickhoff gewann den Medienpreis für junge Opernstars sowie den Orchesterpreis. Im Juni 2022 wurde sie beim Concours musical international de Montreal mit dem 3. Preis in der Kategorie „Aria“ prämiert. Zuletzt gewann sie im Finale des renommierten Tenor Viñas Competition den Victoria de Los Angeles Preis. Ab der Saison 2024/25 ist sie festes Ensemblemitglied der Semperoper im Dresden.
Die Nachwelt kennt Hanns Eisler (1898-1962) vor allem als Komponist der DDR-Hymne. Dass der Schüler von Arnold Schönberg sowie Freund und Arbeitskollege von Bert Brecht nicht nur Kommunist, sondern darüber hinaus eine interessante Künstlerpersönlichkeit war, erahnt man beim Hören dieses bemerkenswerten Albums: In „Hollywood Songbook“ präsentiert die Mezzosopranistin ein Auswahl von 48 kurzen Liedern, die in Eislers Exil in Kalifornien entstanden sind. Diese „Idyllen der Bitterkeit“ sind keine seichte Kost, es lohnt sich genau hinzuhören. Eickhoff führt die Stimme liedhaft schlank, intoniert deutlich und erfreut mit schillernden Höhen und einer betörenden Mittellage. Eigene, teils kontrastreiche Akzente setzt außerdem Eric Schneider am Klavier, der, stets auf den gemeinschaftlichen Effekt bedacht, mal schwelgt, mal zart begleitet und auch mal unvermittelt Schlachtgetümmel aufbrausen lässt. Die Aufnahme wurde vom SWR finanziell unterstützt, deren „SWR2 New Talent“ Eickhoff derzeit ist. Das Album ist eines der letzten, die im legendären und kurz darauf abgerissenen Hans Rosbaud Studio in Baden-Baden aufgenommen wurden.
Zum Thema
ARD-MEDIATHEK / SWR
Video-Portrait: Ein Schmetterling im Opernhaus. Die Mezzosopranistin Valerie Eickhoff. – In: Kulturmatinée, SWR, 16.07.2023
VALERIE EICKHOFF
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