Putins Propagandakünstler

Die Uneinsichtige

In Gemeinschaft mit mächtigen Intendanten versucht sich das deutschsprachige Feuilleton an einer Weißwaschung von Anna Netrebko. Dabei wäre es längst an der Zeit, genauer hinzuschauen

Stephan Burianek • 06. Mai 2024


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Anti-Netrebko-Demo in Wiesbaden (2024): Die Kritik an der Diva reißt nicht ab © Boris Pekarski

Am vergangenen Samstag war es wieder so weit: Laut Polizei demonstrierten rund 400 Personen vor dem Staatstheater Wiesbaden gegen einen Auftritt von Anna Netrebko. Wie bereits im Vorjahr (siehe „Party mit Tränen“) wurde der Protest u.a. von der Europa-Union Deutschland unterstützt, der neben EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, der Bundeskanzler Olaf Scholz sowie sämtliche deutsche Mitglieder des Europäischen Parlaments außer der AfD angehören.

Bekanntlich war Netrebko in der Vergangenheit als Wahlunterstützerin für Vladimir Putin in die Bresche gesprungen, wurde von ihm zur „Volkskünstlerin“ ernannt und hatte auch bei anderen Anlässen keinen Zweifel über ihre Regimetreue aufkommen lassen. Im Jahr 2021 wurde sie bei einem staatlichen Kulturprojekt als eine Hauptmentorin genannt. Bekannter ist bei uns im Westen jene Pressekonferenz in St. Petersburg, wo sie sich im Rahmen einer Scheckübergabe an den Separatistenführer Oleh Zarjow mit einem Kleid in den Separatistenfarben und mit der Flagge von „Neurussland“, wie der besetzte Teil der Ukraine von Putinisten genannt wird, fotografieren hat lassen.

Doch das alles kann der Russin, die im Jahr 2006 zusätzlich die österreichische Staatsbürgerschaft angenommen hat, um laut eigener Aussage die mühsamen Visaformalitäten umgehen zu können, nur wenig anhaben. Seit einer halbherzigen, reichlich späten Distanzierung vom russischen Angriffskrieg (nicht von Putin, wohlgemerkt) durch ihre Anwälte sowie durch ein Interview mit PR-Charakter in der Wochenzeitung Die Zeit vertreten einige Veranstalter, Fans und Journalistenkollegen die Meinung, man könne ihr nichts mehr vorwerfen. 


Keine Verräterin

Diese Haltung spiegelt sich auch, mit wenigen Ausnahmen, in den deutschsprachigen Medien wider. Als exemplarisch dafür sei ein TV-Beitrag in der „Hessenschau“ über die jüngste Wiesbadener Anti-Netrebko-Demo genannt, der in Journalismus-Seminaren in mehrfacher Hinsicht als Fallbeispiel für schlechten Journalismus dienen könnte: Anna Netrebko gelte in Russland nach dem anwaltlichen Distanzierungsstatement als „Volksverräterin“, wird in der Einleitung erklärt, aber das ist schlichtweg falsch. 

Screenshot der Homepage des Mariinski-Theaters in St. Petersburg, wo Anna Netrebko am Tag des Erscheinens dieses Artikels als Ensemblemitglied der aktuellen Saison gelistet wird

Der Mythos einer „Volksverräterin“ basiert bei Netrebko primär auf einer Ausladung aus Novosibirsk unter dem Intendanten Dmitri Jurowski (dem Bruder von Vladimir Jurowski), die als Reaktion auf ihr offizielles Distanzierungsstatement ausgesprochen wurde – was für Netrebko wohl zu verschmerzen war und ihren Befürwortern eine willkommene Opfer-These lieferte. Was diese Leute aber verschweigen: Netrebko wird nach wie vor – sogar explizit für die laufende (!) Saison – auf der Homepage des Mariinski-Theaters als ENSEMBLESÄNGERIN angeführt. Gälte sie als Verräterin, wäre dies undenkbar. 

Wiewohl Netrebko seit dem Beginn der „Großen Invasion“ im Februar 2022 nicht mehr in Russland aufgetreten ist, kann darüber hinaus von einem generellen „Auftrittsverbot“, wie von ihren Unterstützern oftmals behauptet, keine Rede sein: Über ihre Konzerte in Westen wird in den russischen Staatsmedien nach wie vor wohlwollend berichtet. Das russische Propaganda-Medium Sputnik bejubelte beispielsweise am 24. Juli 2023 ein Konzert von Anna Netrebko und ihrem aserbaidschanischen Gatten Yusif Eyvazov – der ebenso wenig als Vertreter von Demokratie und Pressefreiheit bezeichnet werden kann – in Baden-Baden.

Manuel Brug reflektierte in der Tageszeitung Die Welt Netrebkos „Distanzierung“ im April 2022 übrigens folgendermaßen: „Eine fadenscheinige, wohl kaum von ihr stammende Erklärung als neutraler Distanzierungsversuch von ihrem Präsidenten ließ tagelang auf sich warten. […] Mit ihrem Mentor Valery Gergiev, dem zu Kriegsbeginn als Putins Kultursteigbügelhalter schon alle westlichen Engagements in Windeseile entzogen wurden, zeigte sie sich auf Instagram trotzig in Victory-Pose. Was dann ebenso schnell wieder gelöscht wurde wie jene patzige Mitteilung, sie lasse sich als Künstlerin zu nichts zwingen, oder das Denunzieren ihrer Westkritiker als ‚human shit‘. Während die Ukrainer in ihren Kellern hungerten, zelebrierte sie Wiener Kochorgien. Instagram kann ein wahres Fenster zur Seele sein.“


Insta-Propaganda

Tatsächlich lassen zahlreiche Postings in Netrebkos professionell betriebenem Instagram-Account, dem aktuell 722.000 Personen folgen, keinen Zweifel daran, wem Netrebko im barbarischen Krieg gegen die Ukraine die Daumen drückt: Im Oktober 2022 postete sie ein Bild mit russischer Schleife und Victory-Zeichen, Ende 2022 bezeichnete sie ebendieses Jahr, in dem Russland das restliche Europa in einen schockierenden Zustand stürzte, „ein gutes Jahr, besser als das vorherige“.

Hinzu kommen Postings, deren Symbolkraft westlichen Personen oftmals verborgen bleibt, wie ein Foto, auf dem sie lachend und in russischen Nationalfarben vor einer blau-gelben Wand zu sehen ist oder jenes, auf dem sie mit Freundinnen vor der „wunderschönen“ russisch-orthodoxen Kirche in Wiesbaden posiert, deren Oberhaupt bekanntlich die kriegslustige Haltung des Kreml-Regimes seit Beginn der Invasion konsequent fördert – das Fotomotiv wurde bei ihrem Aufenthalt in Wiesbaden vor wenigen Tagen wiederholt. Russen und Ukrainer wissen freilich sehr gut, wie solche Bilder zu verstehen sind.

Unabhängig davon haben mehrere ukrainische Aktivisten nach eigener Aussage den Dialog zu Netrebko gesucht und sie sogar eingeladen, mit ihnen bei den Kundgebungen zu sprechen. Freilich: Die Aktivisten waren mit ihren Äußerungen in der Vergangenheit wenig zimperlich, und sie zeigen auf ihren Plakaten mitunter drastische Bilder. Hierbei gilt es zu bedenken, dass nicht wenige dieser Aktivisten kriegsbedingt mit traumatischen Erfahrungen zu kämpfen haben und selbst jene, die schon lange in Deutschland wohnen, in der Regel Personen kennen, die durch die Aggression Russlands, vor der seitens der Ukraine viele Jahre lang gewarnt worden war, getötet oder dauerhaft verletzt wurden – und die nicht verstehen können, warum sich ein Star wie Anna Netrebko mit ihnen nicht solidarisch zeigen möchte.

Umso schockierender erscheinen vor diesem Hintergrund Netrebkos trotzige Reaktionen auf diese Menschen: So bezeichnete sie die Demonstranten in Wiesbaden 2023 beispielsweise als „schreiende Meerjungfrauen mit künstlichen Blumen in den Haaren“ und richtete ihnen in einem Instagram-Video auf Russisch aus: „Ihr könnt uns nicht brechen. Ein Russe kann niemals, niemals gebrochen werden!“

Was diese Fälle zeigen: Während sich Netrebkos Management um die Weißwaschung der Diva kümmert, lacht sie den Ukrainern gehässig ins Gesicht. Sie bedient somit beide Seiten: die westliche und die putinistische. Persönlich lässt sie sich dazu nicht befragen: „Frau Netrebko gibt keine Interviews“, heißt es auf diesbezügliche Anfragen lapidar von ihrem Manager.

Der Spagat geht freilich nur bedingt auf: Regelmäßig werden ihre Konzerte abgesagt, zuletzt ein für den 1. Juni geplanter Auftritt mit ihrem Ehemann Yusif Eyvazov in Luzern. Christian Berzins kommentierte in der Luzerner Zeitung Netrebkos wenig glaubhafte Unbedarftheit so: „Mal wusste sie nicht, dass sie mit ihrer Unterschrift für Putin werbe, mal wusste sie nicht, welche Fahne sie in der Hand hielt, mal hatte sie Putin bloss einmal getroffen. […] Und so glaubt man denn ihre Distanzierung nie ganz, denkt eher, dass sie sich einst nach «Friedensschluss» eine Heimkehr nach Russland – und sei es auch nur für prestigeträchtige Konzerte – offenhalten will. Andere weltberühmte Künstler handeln konsequenter.“


Weißwasch-Schleimer

Ungeachtet dessen hält ein mächtiges Netzwerk unverdrossen zu ihr, darunter mit Bogdan Roščić, Dominique Meyer (Mailänder Scala) und Nikolaus Bachler (Osterfestspiele Salzburg) gut bezahlte Entscheidungsträger in hoch dotierten Institutionen. Peter Gelb, der Intendant der New Yorker Metropolitan Opera, nannte Netrebko eine „Verbündete Putins, sowohl was ihre Handlungen als auch ihren Mindset angeht“, doch das scheint seine europäischen Kollegen an den hochsubventionierten Häusern nicht zu stören.

Bogdan Roščić macht sich als Netrebko-Verteidiger über Intendantenkollegen und Journalisten lustig © Peter Mayr

Insbesondere Bogdan Roščić, immerhin Direktor der Wiener Staatsoper, teilte kürzlich in einem Interview mit Walter Weidringer (Die Presse) ordentlich aus und machte sich u.a. über Intendanten-Kollegen lustig, die der Netrebko, die sich „klar geäußert“ habe, nun als „ursprüngliche […] moralische Chef-Empörer […] hinterherschleimen“ würden. Die Ironie dabei: Roščić habe bei Netrebko nie zu schleimen aufgehört, vernimmt man aus seinem eigenen Haus. Die Kritiker von kremltreuen Künstlern diskreditierte er in besagtem Interview als „Twitter-Helden, die für ihre Meinung nie mehr riskiert haben als einen verstauchten Daumen“. Bei OPERN·NEWS, das sich mit Nachdruck für die Pressefreiheit einsetzt und in den vergangenen Wochen mit massiven Hacking-Angriffen aus Russland konfrontiert wurde, hätten wir dazu naturgemäß ein paar Fragen. Ob wir sie stellen werden können ist fraglich, denn unsere Anfrage an Herrn Roščić in Bezug auf ein Interview zum Thema „Ethik in der Kultur“ wird von der Wiener Staatsoper seit März 2023 „in Evidenz“ gehalten.

Aber zurück zu dem Fallbeispiel „Hessenschau“: Die Kollegen vom Hessischen Rundfunk hätten den Artikel „Das doppelte Spiel geht weiter“ von Netrebkos ehemaligen Weggefährten Martin Kienzl lesen können, der bereits im Februar 2023 seine Zweifel an Netrebkos „Distanzierung“ niedergeschrieben hat. Sie hätten einer Demonstrantin dann während der Live-Schaltung womöglich nicht die Frage gestellt, weshalb sie an Netrebkos „Distanzierung“ zweifle. Als besagte Demonstrantin Netrebkos Instagram-Kommentare erwähnte, wurde sie vom Reporter jäh unterbrochen mit dem Hinweis an die Zuschauer, er habe erfahren, dass der Vertrag mit Netrebko schon „vor dem Ukraine-Krieg“ geschlossen wurde und die Ticket-Nachfrage groß gewesen sei. 

Die Erfahrungen der vergangenen zwei Jahre zeigen: Konstruktive Kritik an der Sängerin wird von den meisten führenden Medien im deutschsprachigen Raum konsequent ignoriert. Das muss sich ändern. Wir machen es der russischen Propaganda zu leicht.

 

Quellen

ARD MEDIATHEK / HESSISCHER RUNDFUNK
Demo gegen Opernstar Netrebko in Wiesbaden.
– in: Hessenschau (HR1), ARD-Mediathek, 04.05.2024

SPUTNIK ASERBAIDSCHAN
Yusif Eyvazov und Anna Netrebko traten in Baden-Baden auf: Vielen Dank für den herzlichen Empfang
[übersetzter Titel]. – in: az.sputniknews.ru, 24.07.2023 [aus Sicherheitsgründen nicht verlinkt]

DIE WELT
„Anna Netrebkos Abgesang“ [Paywall] – von: Manuel Brug, in; welt.de, 12.04.2022

INSTAGRAM / ANNA NETREBKO
30.10.2022 / Russische Schärpe mit Victory-Zeichen: https://www.instagram.com/p/CkVaF6pr9Q4
27.12.2022 / Jahresfazit 2022: www.instagram.com/p/Cmq0-5no0a7 
06.05.2023 / Fotomotiv & „Aggressive Meerjungfrauen...“: https://www.instagram.com/p/Cr6gSlDLDqY/?hl=de&img_index=1 
07.05.2023 / Wiesbadener Video: https://instagram.com/tv/Cr9A-VcosWy/?utm_source=qr 
14.08.2023 / in rot-blau-weiß vor blau-gelb: https://www.instagram.com/p/Cv6CiF0rAgQ/
05.05.2024 / Fotomotiv Wiesbaden: https://www.instagram.com/p/C6lqvHWo3Z7/?img_index=1 

LUZERNER ZEITUNG
Anna Netrebko war ein Juwel in Putins Musikreich
. [Paywall] – von: Christian Berzins, in: luzernerzeitung.ch, 02.05.2024

VAN-MAGAZIN
»Für mich ist eine Produktion ein Misserfolg, wenn die Geschichte nicht verständlich rübergebracht wird.«
(Interview Peter Gelb). – von Jeffrey Arlo Brown, in: van-magazin.de, 29.06.2022 

DIE PRESSE
Bogdan Roščić: „Die Opernstadt Wien wird das aushalten“
[Paywall] – von: Walter Weidringer, in: diepresse.com, 27.04.2024