Theater Erfurt
Transparente Aufklärung gefordert
Pflichtverletzungen, Finanzlöcher – das eigentliche Thema Machtmissbrauch am Theater droht aus dem Fokus zu geraten. Die Stadtpolitik kommt in der Erfurter Theateraffäre kaum voran
Ute Grundmann • 21. Mai 2024
Die Affäre um Machtmissbrauch und Belästigung am Theater Erfurt zieht weitere Kreise. Jens Neundorff von Enzberg, Intendant des Staatstheaters Meiningen, befürchtet, dass dadurch ein ganzer Berufsstand ins Zwielicht gerät. „Es ist schade, wozu dieser Fall nun führt. Scheinbar stehen nun alle Intendantinnen und Intendanten unter Generalverdacht“, sagte Neundorff. Er habe den Eindruck, dass der Ruf der Institution Intendanz schlechter sei als es tatsächlich der Fall sei. Der Meininger Intendant hält auch zum Schutz der eigenen Zunft eine transparente Aufklärung der Affäre am Theater Erfurt für geboten.
Damit aber tun sich die Politiker in der thüringischen Landeshauptstadt außerordentlich schwer. So sollte der Bericht der Berliner Rechtsanwälte über die Vorgänge am Theater im Hauptausschuss eigentlich öffentlich beraten werden. Doch die Anwälte selbst warnten vor der Veröffentlichung des eigenen, 120 Seiten langen Berichtes, weil „eine Welle von Entschädigungszahlungen auf die Stadt zukommen“ könne. Geradezu dramatisch äußerte sich Kulturdezernent Tobias Knoblich: Eine Veröffentlichung des Berichtes könne „Menschenleben zerstören“. Also lasen und berieten die Mitglieder des Hauptausschusses hinter verschlossenen Türen, das Gutachten blieb und bleibt unter Verschluss.
Deutliche Worte gab es dagegen im Werkausschuss, dem Kontrollgremium des Theaters. Man wunderte sich, wie „gutgläubig“ die Stadtspitze mit Oberbürgermeister (OBM) Andreas Bausewein und Kulturdezernent Knoblich über Jahre hinweg den Generalintendanten Guy Montavon habe schalten und walten lassen. Konkret nannte man die Vielzahl seiner Engagements an anderen Häusern, vornehmlich im Ausland. „Die Regieverträge werden geprüft und genehmigt, eine weitere Kontrolle war nicht vorgesehen“, lautete die Entgegnung des Kulturdezernenten. Es sei aber nicht erkennbar gewesen, dass es am Erfurter Haus nicht laufe, daher habe es keinen Handlungsbedarf gegeben. Thomas Pfistner (CDU) kündigte eine Sondersitzung des Werkausschusses für Anfang Mai an, denn „mit der Stadtratswahl im Mai endet dessen Zuständigkeit in der aktuellen Besetzung“. Pfistners Fazit: „Ich hatte den Eindruck, Montavon konnte machen, was er wollte.“
Nach der Sondersitzung kam man im Werkausschuss zu diesem Schluss: Es gab Pflichtverletzungen durch die damalige Werkleitung mit Montavon an der Spitze. Aber die seien nicht so gravierend, dass sie eine fristlose Kündigung Montavons erforderten oder ermöglichten. Zur Sprache kamen Verletzungen von Informationspflichten wegen der Missbrauchsvorwürfe, Missachtung der Mitbestimmungsrechte des Personalrates in verschiedenen Fällen, Missachtung der Zuständigkeiten von Werkausschuss und Stadtrat.
Zum Finanzgebaren am Theater blieben zwei unterschiedliche Aussagen: Die kommissarische Verwaltungschefin hatte erklärt, sie habe „nicht ansatzweise einen Überblick“ darüber; einer der Anwälte dagegen konstatierte, es sei alles korrekt gelaufen. Auch das Drei-Millionen-Defizit war schnell wegerklärt: Weniger Zuschauer als geplant bei den Domstufen-Festspielen (wo man Berlioz' «La Damnation de Faust» gab), außerdem Tarif- und Kostensteigerungen.
„Eine Farce“ nannten Karola Stange (Linke) und Laura Wahl (Grüne) am nächsten Tag diese Sitzung, in der der eigentliche Kern der Affäre – die Vorwürfe von Machtmissbrauch und Belästigung – kein Thema waren, es fast nur um Finanzen ging. „Die angebliche Entlastung des OBM ist eine Nebelkerze“, konstatierte Niklas Waßmann (CDU). Stange rügte: „Mit nüchternem Blick auf die Paragrafen wird hier von politischer Verantwortung abgelenkt. Am Theater ist Unrecht geschehen, das hat was mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gemacht. Und das wird nicht mal mehr aufgegriffen.“ Ähnlich monierte Wahl: „Nach jeder Ausschusssitzung verfestigt sich bei mir die Gewissheit, dass ohne das beharrliche Nachbohren der ehemaligen Gleichstellungsbeauftragten Mary-Ellen Witzmann in Sachen Aufklärung niemals irgendwas in Gang gekommen wäre.“ Es sei bitter, dass trotz des Verdachts von sexuellem Missbrauch aus rechtlichen Gründen fast keine Konsequenzen gezogen werden könnten.
Waßmann nahm den OBM ins Visier: Die Entscheidung zur Beurlaubung von Generalintendant Guy Montavon sei erst unter erheblichem Druck und gegen den anfänglichen Widerstand von Bausewein geschehen. Auch das externe Gutachten habe der Stadtrat erzwingen müssen. Andreas Bausewein dagegen hatte immer erklärt: „Wir waren uns sicher, dass wir uns nichts vorzuwerfen haben.“
Und obwohl der Aufhebungsvertrag des bei vollen Bezügen freigestellten Intendanten weder verhandelt noch unterschrieben ist, liebäugelt der OBM schon mit einem anderen Leitungsmodell für das Theater. „Wo wir uns ja schon vor dieser ganzen Affäre sicher waren, war, dass wir von diesem reinen Intendanten-Modell weg wollen – und jetzt erst recht. Das heißt: Verantwortung auf mehrere Schultern verteilen.“ Vorbild soll das Deutsche Nationaltheater im nahen Weimar sein, wo ab der Spielzeit 2025/2026 das Trio Valentin Schwarz, Dorian Dreher und Timon Jansen den jetzigen Intendanten Hasko Weber ablösen wird. Bausewein: „Das reine Modell eines inszenierenden Intendanten passt nicht mehr ganz in die Zeit.“ Woher er diese Weisheit hat, ist den Berichten nicht zu entnehmen. Der theatererfahrene Jens Neundorff von Enzberg dagegen sagt: „Es ist natürlich wichtig, Strukturen zu verändern, das hat die ‚MeToo‘-Diskussion gezeigt. Aber ob man deshalb gleich die Institution abschaffen muss?“
Quellen: Thüringische Landeszeitung, Thüringer Allgemeine
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