Spielen vor Publikum
„Die Dankbarkeit des Publikums ist umwerfend“
Im März 2021 fand in Barcelona das Obertura-Frühlingsfestival vor Publikum statt – O∙N sprach mit der Koordinatorin Martina Ribalta
Stephan Burianek • 15. April 2021
Spanien wird derzeit häufig als das Zentrum des europäischen Kulturschaffens bezeichnet. Der Grund: Man spielt dort bereits seit Mitte Dezember wieder vor Publikum. Im März fand in Barcelona das Obertura-Frühlingsfestival statt, das alljährlich von den drei großen Klassik-Institutionen der Stadt – dem Opernhaus Liceu sowie den Konzerthäusern Palau de la Música und Auditori – veranstaltet wird. OPERN∙NEWS sprach mit der Koordinatorin Martina Ribalta über die Situation für das Publikum und für die Kulturveranstalter.
In Spanien darf derzeit vor Publikum gespielt werden. Mit welchen Herausforderungen sahen Sie sich im Vorfeld des Frühlingsfestivals konfrontiert?
Es war ein auf und ab. Wir sind im Oktober mit viel Optimismus in die Saison gestartet, aber im November haben die Behörden alle kulturellen Veranstaltungen untersagt. Das war nach den hoffnungsvollen Wiedereröffnungen im Juli des vergangenen Jahres unerwartet und hat uns damals ziemlich schockiert und kurzzeitig frustriert. Das änderte sich Anfang dieses Jahres. Die maximal zugelassene Anzahl der Zuschauer wurde zwar auf 1.000 reduziert, aber wir hatten wieder eine Perspektive. Unser Hauptproblem bei der Organisation des Festivals bestand letztlich in der Schwierigkeit, die internationalen Künstler*innen aufgrund der Einschränkungen der Reisefreiheit in die Stadt zu bekommen.
Mussten Veranstaltungen aus diesem Grund abgesagt werden?
Wir mussten ein paar Umbesetzungen vornehmen und manche Termine ein wenig verschieben, aber nach Tagen des Grübelns und Bangens funktionierte letztlich alles ziemlich gut. Nur ein Konzert mit Teodor Currentzis und dem SWR Symphonieorchester musste um ein Jahr auf das kommende Frühlingsfestival verschoben werden. Stolz sind wir darauf, dass wir auch in diesem Jahr unsere kostenlose Konzertreihe an ungewöhnlichen Orten der Stadt realisieren konnten, bei der wir stets Menschen erreichen, die üblicherweise nicht in klassische Konzerte gehen. Gerade dieses Angebot wurde nach Monaten der Pandemie mit einer besonderen Begeisterung angenommen.
Welche Einschränkungen bestehen für das Publikum durch die Sicherheitsmaßnahmen?
Bei jedem Besucher wird am Eingang automatisch die Temperatur gemessen, und man wird aufgefordert, seine Hände zu desinfizieren. Während der Vorstellung besteht Maskenpflicht, wobei die meisten freiwillig eine FFP2-Maske verwenden. Die Orchester spielen in reduzierter Größe, die Konzertprogramme dauern höchstens 75 Minuten und beinhalten keine Pause. Bei Opernaufführungen werden die Pausen auf nach Möglichkeit auf zwanzig Minuten, statt der üblichen dreißig Minuten, verkürzt. Während dieser Pausen kann nichts zu essen oder trinken gekauft werden.
Damit wird dem Publikum aber schon einiges abverlangt.
Wenn man aus der Pandemie einen positiven Schluss ziehen möchte, dann ist es sicherlich die Erkenntnis, dass ein großer Teil des Publikums trotz aller Widrigkeiten nicht auf das Live-Erlebnis verzichten möchte. Natürlich gibt es Menschen, die aus Angst vor einer Ansteckung lieber daheim bleiben, aber im Großen und Ganzen ist das Bekenntnis des Publikums zu seinen Opern- und Konzerthäusern und die ihnen entgegengebrachte Dankbarkeit umwerfend.
Haben sich die Covid-Fallzahlen durch das Öffnen der Theater nicht verändert?
Nein. Es ist bislang kein einziges Cluster bekannt, das aufgrund eines Theaterbesuchs entstanden wäre. Seit Ostern steigen die Zahlen wieder leicht, aber das steht nicht Bezug mit den Theatern, außerdem scheint derzeit alles unter Kontrolle zu sein.
Worauf führen Sie es zurück, dass die hohen Fallzahlen vom Winter mittlerweile stark zurückgegangen sind?
Aufgrund der gesetzlichen Verordnungen ist es derzeit nicht erlaubt, die eigene Region zu verlassen, was allerdings auch die Kulturveranstaltungen trifft, da uns Personen außerhalb von Barcelona nicht besuchen können. Außerdem gilt eine strenge Ausgangssperre in der Nacht zwischen 22 und 6 Uhr, was freilich auch die Beginnzeiten der Veranstaltungen beeinflusst. Üblicherweise beginnen bei uns die Vorstellungen um 20 Uhr, aber derzeit ist es 19 Uhr. Wir versuchen derzeit in Gesprächen mit der Regierung eine Ausnahmeregelung für Kulturbesucher und eine Erhöhung der Besucherkapazität zu erreichen.
Wenn man weniger Eintrittskarten verkaufen darf, dann macht man weniger Umsatz. Wie geht es den Häusern finanziell?
Finanziell ist die Situation natürlich überhaupt nicht nachhaltig, den Häusern geht es damit unterschiedlich. Besonders hart trifft es den privat geführten Palau de la Música, für den die touristischen Führungen durch diese Sehenswürdigkeit immer eine wichtige Einnahmequelle waren.
Wie geht es weiter?
Der Kulturbetrieb läuft, und wir haben wunderbare Konzerte – gestern war zum Beispiel Daniele Gatti mit dem Mahler Chamber Orchestra im Palau de la Música. Wir üben uns daher im Optimismus, arbeiten aber intensiv daran, bei den Behörden ein größeres Bekenntnis zur Kultur zu erreichen und die Beschränkungen für Kulturkonsumenten zu lockern. Außerdem rechnen wir damit, ab dem Sommer wieder Touristen empfangen zu dürfen.
Martina Ribalta arbeitete u.a. beim renommierten Festival Schubertíada Vilabertran bevor sie im Juni 2020 die Koordinierung der Aktivitäten von Barcelona Obertura übernahm – diese Interessensgemeinschaft wurde vom Opernhaus Liceu, den Konzerthäusern Palau de la Música und Auditori sowie in Zusammenarbeit mit der gemeinnützigen Gesellschaft Barcelona Global ins Leben gerufen, um mit abgestimmten Veranstaltungen das Angebot an klassischer Musik und Oper in Barcelona bekannter zu machen. // www.barcelonaobertura.com/en
Das Interview wurde am 13. April via Internet-Video-Call in englischer Sprache geführt.