Bayerische Staatsoper
Gotisches Walhall
Die neue Münchner «Ring»-Inszenierung von Tobias Kratzer beginnt mit «Rheingold» szenisch unspektakulär, aber sängerisch und orchestral überragend
Klaus Kalchschmid • 28. Oktober 2024
Den ganzen Abend fragt man sich, wann der große Altar endlich enthüllt wird, der die Drehbühne beherrscht nebst ein paar anthrazitfarbener Säulen, die nicht bis zur Decke reichen, und dem Schriftzug „Gott ist tot“ auf dem Lettner. Klar doch, wenn Donner das schwüle Gedünst verscheucht, schlägt er nicht mit seinem Hammer zu, sondern zieht die graue Plane herunter. Am Ende werden die Götter Wotan, Fricka, Donner, Froh und Freia zu Heiligenfiguren in diesem güldenen Altar, der ihr Walhall darstellt. Auch ein Kirchenfenster wird noch enthüllt und die Flügel des Altars aufgeklappt. Das wird dann alles vom Volk bestaunt.
Dass es ein gotischer Altar sein würde, war schon an den Kostümen der Götter zu erahnen, die ganz an die Gotik angelehnt sind (Bühne und Kostüme: Rainer Sellmaier), während die Riesen neutral und Loge ganz in Schwarz auftreten. So dezent er in Hose und Rollkragenpullover erscheint, so dominierend ist Sean Panikkar als Loge musikalisch. Sein lyrischer Tenor ist ebenso schön timbriert, wie er Kraft und Nachdrücklichkeit besitzt, und absolut wortverständlich singt er auch noch. Mit dem nicht minder charismatischen Nicholas Brownlee, dessen Bariton als Wotan viele Farben in allen Lagen und eine bestechende, natürliche Energie besitzt, bildet er ein schönes Paar. Auf den Zwischenvorhängen, die den Weg nach Nibelheim und zurück bebildern, flaniert es durch allerlei (Stadt-)Landschaften, schon mal eine brennende Kirche oder Berge im Hintergrund (Video: Manuel Braun, Jonas Dahl, Janic Bebi). Ekaterina Gubanova als Fricka ist mit flexiblem Mezzo ebenfalls voller Energie im Spielen wie Singen und ihrem Gatten ein scharfzüngiger Widerpart. Ebenso Markus Brück als prägnanter Alberich, den Wotan in der gläsernen Butterbrot-Dose, die vorher als Reiseproviant die Schnitze seines lebenspendenden goldenen Apfels von Freia enthielt, als Kröte im Flugzeug mitnimmt. Später wird er hilflos und ganz nackt von ihm gedemütig und misshandelt; statt des Rings nimmt er ihm gleich einen ganzen Finger ab: die vielleicht berührendste Szene des ganzen Abends.
Auch die kleineren Partien sind allesamt exzellent besetzt, so Sarah Brady, Verity Wingate und Yajie Zhang als homogenes Rheintöchter-Terzett, Milan Siljanov als am Ende bassbaritonal auftrumpfender Donner und Ian Koziara als Froh oder Matthew Rose (Fasolt) und Timo Riihonen (Fafner) sowie Mirjam Mesak als beinahe geopferte, dabei ausnehmend schön singende Freia und Matthias Klink als verschüchterter Mime, der vokal durchaus Paroli bieten kann. Ihren kleinen Auftritt als Erda nutzt Wiebke Lehmkuhl zur eindringlichen, stimmgewaltigen Mahnung an Wotan. Der freilich trägt längst mit dem Ring das Pfand allen Übels an der Hand und Loge weiß nicht ohne Grund: „Ihrem Ende eilen sie zu …“
Tobias Kratzer inszeniert durchaus ein Konversationsstück, bei dem etwa die Rheintöchter Alberich mit Zauberei an der Nase herumführen. Der bastelt später in einer Luxus-Garage mit Gewehren an der Wand, die auch als Überwachungsraum der Nibelungen mit unzähligen Monitoren dient. Aus dem Gold schmiedet er hier seltsamerweise einen Sturzhelm als Tarnkappe und Koffer; wenn die Gestalt Freias davon verdeckt werden soll, schwebt sie schlicht darüber. Manche Ideen von Kratzer bleiben so buchstäblich in der Luft hängen, während es denkbar konzis und scharfzüngig trocken, dabei immer ganz rezitativisch mit dem Bayerischen Staatsorchester unter Vladimir Jurowski ganz so klingt, als würde sich Wagner buchstäblich immer über irgendetwas lustig machen. Das trifft sich dann allerdings mit Kratzers Lockerheit im Erzählen, die auch voller Ironie steckt, so wenn es zwischen den Kirchenbänken brennt, oder auf dem Altar neben Fricka ihre beiden Widder abgebildet sind, wie überhaupt der gotische Altar, dessen Baugerüst auf der Rückseite zusätzliche Möglichkeiten des Spiels auf mehreren Ebenen erlaubt, eine schöne, anspielungsreich spielerische Idee ist.
«Rheingold» – Richard Wagner
Bayerische Staatsoper · Nationaltheater
Kritik der Premiere vom 27. Oktober 2024
Termine: 31. Oktober; 3./8./10. November 2024; 28./31. Juli 2025