Grand Théâtre de Genève

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Die musikalische Qualität und die ästhetische Stringenz von Arnaud Bernards Neuinszenierung machen Giordanos «Fedora» in Genf zu einem Plädoyer für diese selten gespielte Oper

Joachim Lange • 15. Dezember 2024

In dieser Lasterhöhle, in der Russland kompromittierendes Material sammelt, verliert Fedoras Bräutigam sein Leben © Carole Parodi

Umberto Giordanos «Fedora» aus dem Jahre 1898 ist eine von jenen Verismo-Opern, die es heute nicht mehr so häufig auf eine Bühne schaffen. Wenn es dann doch mit der ganzen Kraft eines Opernhauses wie in Genf und mit der gehörigen Portion Starglanz bei der Besetzung geschieht, ist das per se verdienstvoll. Dafür hat der bald nach Berlin wechselnde Intendant des Grand Théâtre de Genève Aviel Cahn mit dem Engagement von Roberto Alagna und seiner Frau Aleksandra Kurzak für die Rolle des tragischen (Traum-)Paares im Stück, gesorgt.

Mit dem Orchester und den Protagonisten einen Glanz zu entfalten, der die Sehnsucht des Publikums erfüllt, von aufschäumender Emotion umschmeichelt und berührt zu werden, ist bei «Fedora» fast noch die leichtere Übung. Dirigent Antonino Fogliani ist in Genf so etwas wie der Spezialist fürs Italienische. Verdi, Rossini und Puccini hat er hier schon dirigiert. Nun also Giordano, für den «Andrea Chénier» der Platzhalter im kollektiven Gedächtnis ist.

In Genf entfaltet Foglinani mit dem Orchestre de la Suisse Romande einen süffigen, schwärmerischen, kultiviert aufschäumenden Klang, der den dramatisch melancholischen Geist der Geschichte musikalisch trägt. Wobei sich die Protagonisten allesamt entfalten können. Das gilt natürlich zunächst für das singende (tatsächliche) Ehepaar Aleksandra Kurzak und Roberto Alagna sie mit blühender Dramatik zum souveränen Habitus der selbstbewussten Prinzessin, er mit seinem gereiften, emotional strahlenden Schmelz. Man hört und sieht beiden beim Auf- und Ab ihrer Beziehung gerne zu. Auch Yuliia Zasimova profiliert ihre Gräfin Olga Sukarev mit intensiver Eloquenz und wandlungsfähiger Präsenz. Simone Del Savio ist als De Siriex ein typischer Diplomat. Das gesamte Protagonistenensemble bewältigt die vokalen und darstellerischen Herausforderung überzeugend.

Russenschickes St. Petersburg: Prinzessin Fedora Romazoff (Aleksandra Kurzak) trifft auf den Mörder ihres Bräutigams, Graf Loris Ipanoff (Roberto Alagna) und verliebt sich in ihn © Carole Parodi

Das Libretto hat Züge eines handfesten Thrillers, der in St. Petersburg am Ende des 19. Jahrhunderts beginnt. Prinzessin Fedora Romazoff steht kurz vor ihrer Heirat, als ihr Bräutigam ermordet wird. Loris Ipanoff hat ihn mit seiner Frau in flagranti erwischt und erschossen. Fedora ist zunächst von Rache besessen und trifft ihn in Paris wieder. In einem Brief an die Behörden des Zaren beschuldigt sie ihn des Mordes, verliebt sich dann aber in ihn, und beide werden ein Paar. Das Verhängnis ist dennoch nicht mehr aufzuhalten. Der Bruder von Loris wird Opfer der Repression, die auf die Beschuldigung folgt, und auch die Mutter überlebt das nicht. Als all das in der scheinbar sicheren Zweisamkeit des Paares im Berner Oberland auffliegt, fühlt sich Fedora so schuldig, dass sie Gift nimmt und in den Armen des ihr verzeihenden Geliebten stirbt. So, wie Giordano das verpackt hat, ist es per se ganz große Oper!

Die eigentliche Herausforderung ist der szenische Zugang zu dieser Stoffmelange aus Intrige und Emotion. Arnaud Bernard (Regie) und Johannes Leiacker (Ausstattung) haben diese Hürde mit Bravour genommen. Wobei für die szenische Faszination auch das höchst atmosphärische Licht (Fabrice Kebour) und die raffinierte und hochprofessionell umgesetzte Choreografie der von Mark Biggins einstudierten Chor- und Massenszenen einen erheblichen Beitrag leisten.

Der Inszenierung gelingt es tatsächlich, beim Kern der musikalisch beglaubigten Geschichte zu bleiben, und sie gleichzeitig von heute aus zu erzählen. Nach einem projizierten PC-Desktop, über den via News die Intrige und ihre Akteure mehr oder weniger in unserer nahen Vergangenheit mitten im postsowjetischen Chaos verortet werden, finden wir uns in einem Zimmer für ausgefallene Sexspielchen wieder. Was wie ein grenzfälliger Junggesellenabschied von Fedoras Bräutigam daherkommt, wird für ihn zur tödlichen Falle. Die Lasterhöhle wird nämlich akribisch nach allen Big-Brother- bzw. neozaristischen Regeln überwacht. Hier wird kompromittierendes Material erstellt, das bei Bedarf gegen politische Gegner eingesetzt werden kann. Das aktuelle russische Vorbild dafür heißt „Kompromat“ (Kompromittierendes Material). Es ist ein Blick ins Innenleben eines Staates auf der schiefen Ebene, wo auch schon mal ein Panzer vor den Zwiebeltürmen in Rauch aufgeht.

Showdown im Berner Oberland: Prinzessin Fedora bereut, Graf Loris angezeigt zu haben, und beendet ihr Leben mit Gift © Carole Parodi

In einer der für diese Inszenierung durchweg gewinnbringend eingesetzten Slow-motion-Szenen meint man sogar Lenin oder dessen Gespenst durchs Bild geistern zu sehen. Was der Exil-Russe Kirill Serebrennikov kürzlich bei seiner Inszenierung von Alfred Schnittkes «Leben mit einem Idioten» in Zürich akribisch (und von manchen kritisiert) vermieden hat, nämlich die Gespenster der alten Zeit zu beschwören und auftreten zu lassen, das holt Bernard hier bei dem ungleich älteren Stück nach. Auch mit Lust am Klischee. Von den immer präsenten Uniformierten bis zu den Russen (ob nun im Exil oder im Luxusurlaub der Oligarchen), die sich in der Schweiz unterm Weihnachtsbaum in einer heruntergekommenen Nobelherberge mit Panoramablick versammeln. Die meisten verpassen eine geschmackvolle Aufmachung zielsicher um eine Handbreit.

Der opulente Pariser Salon, samt der zum Tableau vivant eingefrorenen Maskenball-Gesellschaft, wurde nach der ersten Pause, zu Beginn des zweiten Aktes, mit einem separaten Szenenapplaus bedacht. Den dynamischen Teil der Opulenz steuert dann die gesamte bühnenfüllende Ballgesellschaft im Wechsel zwischen turbulenter Ausgelassenheit und Erstarrung bei.

Vergleicht man «Fedora» mit der ungleich populäreren «Tosca», so hat die russische Prinzessin als Figur eine beachtliche Entwicklung von Hass und Rache, hin zu Reue und Opferbereitschaft, also einen durchaus komplexen Charakter zu bieten. Dazu die Schauplätze, die auch musikalisch erkennbar zwischen dem kalten St. Petersburg, einem frivolen Paris und der ziemlich klischeehaften Schweiz wechseln und sich nicht auf einen Tag und einen Ort beschränken. Das, was Giordano mit seinem Stückaufbau an cineastischen Möglichkeiten vorgibt, greift die Regie in Genf erstaunlich geschickt auf. Alle zusammen machen daraus einen Thriller, mit einem Hauch James Bond, abgeschmeckt mit einer Prise „Zauberberg".

 
«Fedora» – Umberto Giordano
Grand Théâtre de Genève

Kritik der Premiere am 12. Dezember
Termine: 15./17/19./21./22. Dezember