Christa Ludwig
„Leicht muss man sein“
Ein Nachruf
Dieter David Scholz • 26. April 2021
1994 hatte Christa Ludwig als Klytämnestra mit ihrem 769. Auftritt in der Wiener Staatsoper ihren Bühnenabschied genommen. Sie hatte eine der schönsten und vielseitigsten Mezzosopran-Stimmen ihrer Zeit. Aber sie war auch ein unkomplizierter Mensch, eine noble Persönlichkeit und hatte ein unerschrockenes, immer schlagfertiges Mundwerk. Vor allem aber war sie eine der führenden Sängerinnen ihres Fachs weltweit. Fast ein halbes Jahrhundert stand sie auf der Bühne der Wiener Staatsoper, an der sie 43 Partien sang. Am 16. März 1928 wurde sie in Berlin geboren. Am 24. April 2021 ist sie mit 93 Jahren in Klosterneuburg gestorben, ein Weltstar der Oper.
Obwohl sie auf allen großen, um nicht zu sagen ersten Bühnen der Neuen und der Alten Welt zuhause war, auch bei den internationalen Opernfestspielen. Sie hatte mit den großen Dirigenten gearbeitet, mit Otto Klemperer (unvergessen, nie wieder erreicht die Einspielung des «Lieds von der Erde» mit Fritz Wunderlich) und Karl Böhm, Herbert von Karajan, Georg Solti – man denke nur an seinen «Parsifal» mit ihr als Kundry – und Leonard Bernstein, sie wurde umjubelt und feierte einen Triumph nach dem anderen. Und doch blieb sie immer ganz „normal“, war alles andere als eine Diva. Sie ist keine „Primadonna“ geworden, auch wenn der ironische Titel ihrer 1994 erstmals erschienenen Autobiographie „... und ich wäre so gern Primadonna gewesen“ den Wunsch danach suggerierte. Mir sagte sie unumwunden: „Das ist mir viel zu viel Arbeit, ich bin ja von Hause aus faul, eine Primadonna zu sein, das ist eine furchtbare Anstrengung.“
Als Sängerin war sie ein Naturtalent. Ihre Stimme und ihre Musikalität wurden ihr gewissermaßen in die Wiege gelegt, denn sie war die Tochter des Sängerpaares Anton Ludwig und Eugenie Besalla. Von ihr erhielt sie Gesangsunterricht – es war ihr einziger.
Christa Ludwig stand schon früh auf der Bühne. Bereits mit Siebzehn trat sie ihr erstes Engagement in Gießen an. Nach Frankfurt, Darmstadt und Hannover wurde sie 1955 an der Wiener Staatsoper engagiert, und von dort aus eroberte sie die internationale Opernwelt, sowohl als Mozart-, wie als Verdi-, als Wagner- und als Richard Strauss-Sängerin, aber auch als gefragte Konzert- und Liedinterpretin, vor allem des romantischen Repertoires.
Christa Ludwig hatte alles, was man von einer Sängerin verlangt: Eine kerngesunde, große, schöne und ausdrucksfähige Stimme, eine psychologisch hochintelligente Nuanciertheit in der Phrasierung und absolute Wortverständlichkeit, kurz: Gesangskultur in höchster Vollendung. Sie hatte auch die Chuzpe, sich schon sehr jung auf die Bühne zu stellen, enorme Bereitschaft zu Fleiß, den festen Willen, sich nie unterkriegen zu lassen, immer Neues zu wagen und auszuprobieren, aber sich zu nichts ihrer Stimme Abträglichem überreden zu lassen.
„Man muss mit der Stimme singen, die man hat, nicht mit der, die man gerne hätte“, war ihre Devise. Unvergleichlich waren die Unmittelbarkeit und auch szenische Präsenz ihres Ausdrucks. Ihre künstlerische Größe bestand darin, dass Christa Ludwig gänzlich unmanieriert, ohne aufgesetztes Pathos, mit großer Natürlichkeit und scheinbarer Leichtigkeit sang. Und doch verriet sie: Die Stimme sei nur ein Teil des Talents, „der Rest ist harte Arbeit.“ Was den Erfolg eines Künstlers ausmache, sei aber letztlich, so sagte sie mir, ein Geheimnis: „Ein Künstler hat das Geheimnis, oder er hat es nicht … Charisma kann man nicht lernen."
In einem ihrer Interviews sagte sie: „Talent und Stimme sind nur die Basis. Obwohl wir Mezzos ja gut dran sind, weil wir von den Hosenrollen als jugendliche Liebhaber über die dramatischen Partien zu den bösen Alten wechseln können.“ Ihre Karriere war das beste Beispiel.
Christa Ludwigs Repertoire umfasste die wichtigsten Alt- und Mezzosopranpartien von Mozart bis Bela Bartok, aber auch zahlreiche dramatische Sopranpartien. Zu ihren Glanzrollen zählten etwa die Marschallin im «Rosenkavalier» von Richard Strauss, die Kundry in Wagners «Parsifal», die Ortrud im «Lohengrin» (eine Partie, bei der sie mal herzhaft „schmettern“ durfte, wie sie mir anvertraute), aber auch die Leonore in Beethovens «Fidelio» (eine heikle Partie, die sie schon in ihrer Aufnahme unter Otto Klemperer so perfekt und mühelos wie kaum eine andere ihrer Kolleginnen zu singen verstand) oder Verdis «Lady Macbeth». Daneben erwies sich Ludwig, deren Gesangskultur Maßstäbe setze, zunehmend als glänzende Liedinterpretin, insbesondere der romantischen und spätromantischen Werke von Schumann, Brahms, Hugo Wolf und Gustav Mahler und war später auch als Lehrerin Inspiration für Generation nachfolgender Sängerinnen und Sänger. Gottlob ist ihr ganzes Repertoire auf Tonträger dokumentiert.
Im Vollbesitz ihrer Stimme trat sie ab und bekannte freimütig nach Ende ihrer Karriere: „Sängerin möchte ich nie wieder sein!“ Sie hat ihr Privatleben über Jahrzehnte hintan gestellt für die Gesangskunst. Nie durfte sie eine Erkältung bekommen, immer musste sie einen Schal tragen, durfte keine ausgelassenen Partys feiern, sie musste immer funktionieren. Die Theater und ihr Publikum erwarteten das von ihr. Sie erfüllte diese großen Erwartungen immer, aber nur, weil sie dem Schönklang ihr Leben opferte. Sie hat die übliche Verklärung dieses extremen Sängerlebens immer wieder Lügen gestraft mit ungenierten Bekenntnissen. Den Abschied von der Bühne vom Sängerleben ist ihr nicht schwergefallen: „Nein gar nicht, ich habe ja fast fünfzig Jahre gesungen.“
Das Motto der Marschallin aus dem «Rosenkavalier» war ihr Altersmotto, daher hat sie zu ihrem 90. Geburtstag den Titel der Neuausgabe ihrer Autobiographie abgeändert: „Leicht muss man sein“ – „mit leichtem Herzen und leichten Händen, halten und nehmen, halten und lassen“, diese Worte der Marschallin hat sie mir auch bei einem denkwürdigen Interview mitgegeben, das in ein Kapitel meines Buchs „Mythos Primadonna“ einging.
Nun ist sie von der Bühne des Lebens abgetreten. Ganz leise, bis zuletzt hatte sie sie Charisma, Witz und Humor. Sie war eine gefragte Gesangspädagogin bei vielen Masterclasses. Aber sie nahm sich die Freiheit, die Sängerausbildung an den Hochschulen scharf zu kritisieren. Vor allem monierte sie, dass die heutigen Gesangsstudenten vor lauter Theorie die Praxis vernachlässigen und zu spät mit dem Singen beginnen und dann oft der Verlockung erliegen, am Beginn ihrer Laufbahn viel zu große Partien zu singen.
Ein ausführliches Interview gibt es in dem Buch „Mythos Primadonna“ (1999, Parthas) des Autors