Kalchschmids Albenpanorama
01/2025
Die Empfehlungen des Monats: Ein Hasse-Oratorium mit vier Countertenören, Mozartarien mit einer schönen Haut-Contre-Stimme und ein junger Bariton mit einer feinen Mischung aus Orchesterliedern des 20. Jahrhunderts
Klaus Kalchschmid • 13. Januar 2025
Einst war Johann Adolf Hasse so geschätzt wie Georg Friedrich Händel, heute muss man ihn erst wiederentdecken, wie jetzt das lateinische Oratorium «Serpentes ignei in deserto». Einst wurde es komponiert für eines der vier Ospedales, Waisenhäuser in Venedig, die Mädchen eine musikalische Ausbildung ermöglichten. Thema ist eine Episode aus dem Alten Testament: Bei der langen Durchquerung der Wüste, nachdem sich die Hebräer aus der ägyptischen Sklaverei befreit hatten, verzagt das erschöpfte Volk und lehnt sich sowohl gegen ihren Führer Moses wie Gott auf, der daraufhin feurige Schlangen schickt, die für Viele den Tod bedeuten. Moses betet zu Gott, der ihn auffordert, eine eherne Schlange auf eine Stange zu setzen. Wer nun gebissen wird und sie anschaut, überlebt.
Hasses Musik ist ebenso feurig virtuos wie dicht, auch in den Rezitativen. Gleich vier ganz unterschiedliche Countertenöre, ein Sopranist und eine Sopranistin bilden die Besetzung. Neben der fulminanten Julia Lezhneva mit ihrem betörenden Timbre, fein vibrierenden Trillern, bestechenden Koloraturen als Engel, der nicht zuletzt mit zwölf Minuten die längste Arie des ganzen Oratorium singen darf, sind das der Sopranist Bruno de Sá mit seiner ebenfalls ausnehmend schönen, strahlenden Sopran-Höhe als Joshua. Unverkennbar im Timbre und virtuos auch Jakub Józef Orliński als Nathanael, David Hansen mit eher dramatischer, aber ebenso beweglicher Stimme als Eliab und der dunkel und volltönend timbrierte, ebenso charismatische Carlo Vistoli als Eleazar, der seine Trauerarie mit herrlicher Wärme zu singen vermag. Nicht zuletzt im Duett mit Bruno de Sá, das die Dankbarkeit der Hebräer gegenüber Gott preist, kommen beider Stimmen wunderbar zur Geltung. Last but not least überzeugt Philippe Jaroussky als Moses mit immer noch charakteristisch heller, aber metallischer und reifer gewordenen Stimme. Er gibt mit einer getragenen Arie – in der Wiederholung des A-Teils ist sie ebenso fantasievoll ausgeziert wie das auch ansonsten zu erleben ist – einen Ausblick zum Opfertod Christi, bevor der Engel in einem Epilog die erneute Nähe der Hebräer zu ihrem Gott preist. Les Accents unter Thibault Noally bieten eine ebenso frische wie elegant geschmeidige Folie und runden diese Referenz-Aufnahme aufs Schönste. (Erato)
Der Barockspezialist Reinoud van Mechelen ist bekannt für seine schöne Haut-Contre-Stimme, also den hohen, leichten Tenor der französischen Oper der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Daher ist er für die Konzertarien Wolfgang Amadé Mozarts mit dem Ensemble A nocte temporis unter seiner Leitung die perfekte Wahl. Sie knüpfen an die Tradition der Da-Capo-Arie der italienischen Opera Seria an, so „Se di lauri il crine adorno“ des 14-Jährigen aus seinem «Mitridate», mit der dieses Album beginnt und „Or che il dover …Tali e cotanti“ KV 36/33i, mit der sie endet. Wie „Va, dal furor portata“ KV 19c mit seinen reichen Koloraturen sind das Kostproben des gerade mal 10-jährigen Mozart, von van Mechelen perfekt bis zum hohen C perfekt dargeboten. Im Zentrum stehen die beiden großen Arien „Misero! O sogno … Aura, che intorno spiri“ und „Se labbro mio non credi“ KV 295. Erstere komponierte Mozart als Einlage-Arie für Hasses «Artaserse» und Anton Raaf, den ersten Idomeneo, der unter anderem für seinen langen Atem bekannt war, was Mozart weidlich nutzte, weshalb diese Arie mit 13 Minuten die längste des gesamten Albums darstellt. Auch Rezitativ und Arie „Per pietà, non ricercare“ KV 210 entstand für einen ganz bestimmten Sänger, Johann Valentin Adamberger, den ersten Belmonte in der «Entführung», und spiegelt dessen vielfältige, auch dramatische Fähigkeiten, könnte aber auch explizit für van Mechelen komponiert sein (Alpha, VÖ am 26. Januar)
„Urlicht – Songs of death and resurrection“ des jungen Baritons Samuel Hasselhorn ist eine feine Mischung aus Orchesterliedern von Pfitzner, Braunfels und Mahler des frühen 20. Jahrhunderts und Auszügen aus Opern derselben Zeit wie Erich Wolfgang Korngolds «Die tote Stadt» (daraus das bezaubernde Lied des Pierrot „Mein Wähnen, mein Sehnen“) oder Humperdincks «Königskinder». Hier singt der geigende Spielmann, von einem Kinderchor begleitet, ein wunderschönes, ergreifendes Finale, in dem er das verhungerte Paar beweint. Selbst die Mordszene und der vorausgehenden Dialog mit Marie aus Alban Bergs «Wozzeck» passt sich perfekt ein. Hasselhorn als fast entrückter Wozzeck und seine leider ungenannt bleibende Partnerin als Marie singen diesen so brutalen, aber magisch vertonten Abschied mit stiller Emphase. Gustav Mahler bildet den roten Faden und den Rahmen mit dem trommelwirbelnden Soldaten-Lied „Revelge“ zu Beginn, „Um Mitternacht“ und einem betörenden „Urlicht“ sowie „Ich bin der Welt abhanden gekommen“ am Ende. Hasselhorn bietet für alle diese Lieder und Szenen, darunter auch Wolfgang Braunfels‘ 1915 komponiertes Lied „Auf ein Soldatengrab“, eine Fülle an Farben und expressiven Facetten, hervorragend unterstützt vom Poznań Philharmonic Orchestra, das unter Łukasz Borowicz mehr als nur Begleitung bietet. (Harmonia Mundi)