Teatro dell‘Opera di Roma
Vitaler Kassenschlager
Im Teatro Costanzi feierte man den 125. Jahrestag der Uraufführung von Puccinis «Tosca». In drei Aufführungsserien wird eine Rekonstruktion der originalen Bühnenbilder und Kostüme gezeigt
Stephan Burianek • 16. Januar 2025
Wenn die Polizei für einen ganzen Tag sämtliche Parkplätze entlang einer Seitenfassade des römischen Opernhauses mit gelben Bändern aufgelassen hat, vor der Vorstellung eine hohe Präsenz zeigt und dann auch noch mehr als zwei Meter große Garde-Soldaten mit an Gladiatoren erinnerndem Kopfschmuck ins Foyer marschieren, dann wird der Staatspräsident erwartet. Von seiner Residenz im Quirinalspalast ist es zwar nur ein Katzensprung, trotzdem ist Sergio Matarellas Besuch im Teatro dell‘Opera di Roma bemerkenswert in einer Zeit, in der es selbst in europäischen „Kulturnationen“ für hochrangige Staatsdiener unüblich geworden ist, am Opern- bzw. Kulturleben teilzuhaben.
Natürlich gab es an jenem 14. Januar für dieses Interesse einen hochoffiziellen Anlass: Am Tag genau vor 125 Jahren wurde im ebendemselben Haus erstmals Puccinis «Tosca» aufgeführt. Die wohl römischste aller Opern ist seither ein fixer Bestandteil im Spielplan des schmucken, wiewohl sichtlich in die Jahre gekommenen Teatro Costanzi, dem Opernhaus der Ewigen Stadt. Vor zehn Jahren rekonstruierte man die Bühnenbilder und Kostüme des Uraufführungsausstatters Adolf Hohenstein auf Basis seiner erhaltenen Entwürfe; seither rühmt man sich, wieder die „Original-Tosca“ zu zeigen – in einer Personenführung von Alessandro Talevi, der sich an Puccinis teilweise überlieferte szenische Anweisungen hielt.
Nachdem im Foyer vor Matarellas Augen eine marmorne «Tosca»-Gedenktafel enthüllt und im Auditorium vom bäuerlich gekleideten Chor die italienische Hymne gesungen wurde (bei der im Publikum scheinbar niemand mitsang), hob sich der Vorhang zu einer achtbaren Aufführung. In den Hauptpartien gaben Gregory Kunde als Maler Mario Cavaradossi und Saioa Hernández als Sängerin Floria Tosca ein optisch wie stimmlich reifes Künstlerpaar. Vor allem in den Attacken gelang es Kunde, sein Timbre nach wie vor zum Strahlen zu bringen, und Hernández erfreute mit einem satten, intonationssicheren Sopran, der lediglich am Schluss, in äußerster Verzweiflung ihrer Tosca und nicht unpassend, schrill klang. Als Scarpia punktete Gevorg Hakobyan mit guter Stimmpräsenz und herrlicher Schwärze.
Hohensteins Aquarellzeichnungen und Puccinis Partitur-Manuskript sind derzeit in einer kleinen Ausstellung zu sehen, hoch oben im dritten Stock des Opernhauses. Für die Rekonstruktion der Bühnenbilder unter der Leitung von Carlo Savi wurde das alte Handwerk der Bühnenmalerei reaktiviert. Die Requisiten sind indes echt, „kein Karton“ lautete eine von Puccinis Anweisungen. Für die Kostüme (Rekonstruktion: Anna Biagiotti) stellte man vor 125 Jahren historische Nachforschungen an, alles musste dem Jahr 1800 so nahe wie möglich kommen.
Es wird Zeitgenossen geben, die über solche Rekonstruktionen die Nase rümpfen und sie als reaktionär ablehnen. Klar: Die Bühnentechnik hat sich glücklicherweise weiterentwickelt, auch die Bühne des Teatro Costanzi wurde seither zweimal erneuert. Andererseits benötigt man für eine «Tosca» keine technisch ausgefeilte Hebebühne, und der Kritiker erwischte sich selbst bei dem Gedanken, dass eine verstärkte Anwendung der sicherlich nicht billigen, weil personalintensiven Bühnenmalerei im gegenwärtigen Bühnenleben gelegentlich eine charmante Idee wäre.
In den beiden Rahmenakten sind die Kirche Sant’Andrea della Valle und die Dachterrasse der Engelsburg zweifelsfrei zu erkennen (ob das auf den Palazzo Farnese im zweiten Akt zutrifft, müssen Mitarbeiter der französischen Botschaft beurteilen, die das Glück haben, an diesem historischen Ort arbeiten zu dürfen). Und doch offenbart dieser Rekonstruktionsversuch, dass trotz des Strebens nach größtmöglichem Realismus selbst „in der guten alten Zeit“ Konzessionen an die Wahrhaftigkeit gemacht wurden, wenn sie nur dem Effekt bzw. der Wirksamkeit dienten – etwa, wenn die Akteure die Kirche von einer Seite betreten, die über gar keine Tür verfügt oder sich der flüchtige Cesare Angelotti (allzu verschattet: Luciano Leoni) in einer Kapelle versteckt, die es so nur in der Bühnenvariante gibt. Und dass sich die Tosca vermutlich höchstens ein Bein bricht, wenn sie von der Terrasse der Engelsburg stürzt, darüber ist ohnehin schon oft geschrieben worden.
All das ist freilich einerlei, wenn das Orchester der römischen Oper die Partitur derart mustergültig wiedergibt, wie das während der besagten Aufführung unter ihrem Musikalischen Leiter Michele Mariotti der Fall war. Farbenreich und gut ausbalanciert klang sie, sodass die schwelgerischen Phasen nie in den Kitsch abzudriften drohten, und bei Scarpias erstem Auftritt ging der Tusch der Becken durch Mark und Bein. Wunderbar arbeitete Mariotti zudem die musikdramatischen Stellen aus, etwa wenn im 2. Akt das Blech in jenem Moment dramatisch anhebt, in dem Tosca das Messer erblickt, mit dem sie ihren Peiniger kurz darauf töten wird.
Kurzum: Nach 125 Jahren wird dieses perfekt gebaute, um keine Note zu lange Werk von den Römern nach wie vor mit einer großen Liebe gepflegt. Für das Teatro dell’Opera bedeutet diese Produktion außerdem ein touristisches Zugpferd und zugleich Kassenschlager in einem Spielplan, dessen vorrangig „kleinen“ Werke einen immensen Sparzwang offenbaren. Gleich drei Aufführungsserien sind bis zum Sommer angesetzt.
«Tosca» – Giacomo Puccini
Teatro dell‘Opera di Roma · Teatro Costanzi
Kritik der Vorstellung am 14. Januar
Termine: 16./17./18./19. Januar; 1./2./4./5./6. März; 9./11./13. Mai
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