Staatstheater Nürnberg

Ein fetziger Knaller

Hausherr Jens-Daniel Herzog bringt «Die Dreigroschenoper» tatsächlich als Oper und erntet mit dem Gastdirigenten Max Renne und einem bravourösen Ensemble einen tosenden Beifall

Jens Voskamp • 20. Januar 2025

Mathis Neidhardts raffiniertes Bühnenbild liefert vier Dreiecksbilder auf einer Riesenscheibe © Pedro Malinowski

Hier kocht der Chef selbst und zwar vorzüglich: Jens-Daniel Herzog, Nürnbergs Intendant, Operndirektor und Hausregisseur in Personalunion, hat sich an einen Repertoire-Klassiker gewagt und bereitet ihn ganz besonders unterhaltsam auf. Herzog betont dabei den dritten Taktteil in der „Drei-Groschen-Oper“, aber wer nur meint, mit dem aufgewerteten Opernakzent träten Pathos und Schwere aufs Tapet, der irrt gewaltig. Kurt Weill war hier schon längst auf dem Weg zum leichtfüßigen Musical, mixte schlicht gestrickte Ohrwürmer, Moritaten-Couplets und sogar einen veritablen Choral zu einem Emulgat, das aber nur einer Sache dienstbar bleibt: dem genialen Text von Elisabeth Hauptmann und Bertolt Brecht, die ihrerseits nicht nur Gays Anti-Händel-Stück «Beggar’s Opera» reanimierten, sondern auch den frech-wollüstigen Geist eines François Villon beschworen.

Im Nürnberger Opernhaus wächst die sonst übliche achtköpfige Combo zu einer beachtlichen philharmonischen Auswahl an, werden einige anspruchsvolle Gesangsszenen, die für singende Schauspieler meist zu grenzwertig gestrickt sind, wieder hervorgeholt. Und siehe da: Auf einmal gibt es in der bewusst oberflächlich-banalen Revue der menschlichen Niedertracht und Egomanie sogar ein lyrisches Terzett zu entdecken. Den Sprechtext hat Herzog mit seinen beiden Dramaturgen dagegen auf das äußerst Notwendige gekürzt.

Zwar erfindet Mathis Neidhardt in seinem Bühnenbildkonzept das Rad nicht neu, aber er setzt das Kreisrunde sehr raffiniert ein: Auf einer Riesenscheibe sind vier Dreiecksbilder für die wechselnden Lokalitäten zwischen Peachums Office, Macheath Hauptquartier im Pferdestall, dem Puff und dem Knast geparkt und irgendwann hängt Londons Obergauner Mackie Messer wie Leonardo da Vincis virtuvianischer Mensch kopfüber in den Fängen seines kriminellen Netzwerks und singt sogar, wenn ihm das Blut aus dem Kinn ins Hirn läuft.

Mackie Messer (Nicolas Frederick Djuren) mit Lucy (Chloë Morgan) und Polly (Inga Krischke) im Puff. Ganz rechts: „Allzweckwaffe“ Corinna Scheurle als Spelunken-Jenny © Bettina Stöß

Dass hier gut gelauntes Unterhaltungstheater entsteht, das seinen Gegenstand aber nie verrät, liegt daran, dass sie Regie einfach an das Theatrale und seine Wirkungen glaubt. Ausgesprochen stimmig spielt sich ein Team aus singenden Schauspielern und gewandten Operndarstellern die Bälle zu, kämpft sich keiner in den Vordergrund, sondern die Crew hat einfach Spaß am Miteinander. Dabei ist alles exakt durchchoreographiert, hat Tempo und Witz: Da steppen die Pferde fidel, haben die Huren mindestens vier Geschlechter und genießen die Bettler ihre kostümierte Dreistigkeit.

Das hört sich ein bisschen nach Operettenseligkeit an, ist es aber keineswegs. Denn bei aller musikalischen Fülle hat der Text immer das Prä. Zudem ist Gastdirigent Max Renne sehr erfahren mit dem Stück, u.a. stand er vor rund einem Jahrzehnt auch bei Sebastian Baumgartens Einrichtung an der Staatsoper Stuttgart als musikalischer Leiter (und Bearbeiter) im Graben. Zwischen Orgelton und Jazz-Synkopen purzelt da animiertes Getön auf das Publikum nieder.

Nicolas Frederick Djuren, seit immerhin sechs Jahren im benachbarten Schauspielhaus künstlerisch beheimatet, zeigt keinen womenizenden Zuhälter, sondern einen, der sich alles – auch Gefühl – nur durch Geld erkaufen kann. Der 30-Jährige zeigt einen Gewaltmenschen, der aber schnell auf Normalmaß gestutzt werden kann, wenn die falschen Freunde weg sind. Er ist der ungewollte Schwiegersohn von Jonathan Jeremiah Peachum, dem schwiemeligen Elendsorganisator. Michael von Au packt seine jahrzehntelange Bühnenerfahrung in die Figur, mal bissig, mal intrigant und selbst der heisere Tonfall, mit dem er singt, passt zu einer Rolle, die mehr sein will als sie sein kann.

Polly (Inga Krischke) liebt Mackie Messer (Nicolas Frederick Djuren) bedingungslos © Bettina Stöß

Seine geschäftstüchtig, energiegeladene Gattin Celia wird von Lisa Mies mit viel intriganter Energie und Drastik aufgeladen. Mit allen Genre-Wassern gewaschen zeigt sich auch Inga Krischke als deren gemeinsamen Tochter Polly, die so bedingungslos in den Banditenboss verliebt ist. Aber sie ist halt auch Kind ihrer beiden pekuniär nicht gerade naiven Eltern und verschmerzt die Trennung von Macheath durch Konsumrausch. Mezzosopran-Allzweckwaffe Corinna Scheurle stattet die Spelunken-Jenny mit herbem Kupplerinnen-Charme aus. Der wendige wie alerte Hans Kittelmann und Chloë Morgan, aus dem eigenen Ensemble, legen viel komödiantische Verve als Polizeichef Tiger Brown und seine Libido-unerlöste Tochter Lucy. Ein bravouröses siebenköpfiges Bewegungsensemble tanzt, hurt, trommelt und poltert durch die Unterwelt Sohos.

Dabei bleibt die Parabel nicht etwa zeitlos, sondern so aktuell wie hundert Jahre zuvor: „Denn für dieses Leben ist der Mensch nicht schlau genug.“ Banken haben weiter die Macht, Kriege scheinen das Lieblingsspiel der Mächtigen und Weiblein wie Männlein weiterhin Opfer ihrer sexuellen Hörigkeit.

Lange war im Nürnberger Opernhaus kein so tosender Premierenbeifall mehr zu vernehmen: Jens-Daniel Herzog hat mit dieser fetzigen, durchaus auch nachdenklichen, aber ebenso artgerecht lakonischen «Dreigroschenoper» einen Knaller gelandet. Der soll auch 2027 mit ins Interim am Dutzendteich ziehen.

 

«Die Dreigroschenoper» – Kurt Weill
Staatstheater Nürnberg · Opernhaus

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