Theater Nordhausen

Große Tragödie, kurzweilig erzählt

Unter widrigen Umständen wagt man sich im thüringischen 40.000-Einwohner-Städtchen an Mozarts «Idomeneo». Die Secco-Rezitative werden von einem Erzähler zusammengefasst

Werner Kopfmüller • 26. Januar 2025

Idomeneo (Kyounghan Seo) glaubt, den eigenen Sohn Idamante (Annika Westlund) schlachten zu müssen. Die trojanische Prinzessin Ilia (Yuval Oren) sieht das mit Grauen © Julia Lormis

Manchmal ist man gezwungen, aus den gegebenen Umständen, und seien sie noch so widrig, das Beste zu machen. Im thüringischen 40.000-Einwohner-Städtchen lässt sich das gut beobachten. Das 1917 eröffnete Theaterhaus ist derzeit wegen grundlegender Sanierungsarbeiten geschlossen: Drehbühne, Zuschauerraum, Brandschutz – alles muss erneuert werden. Stand jetzt, soll sich zum Spielzeitbeginn 2026 der Vorhang wieder heben. Bis es so weit ist, sind die Ensembles und das dazugehörige Loh-Orchester Sondershausen in eine Interimsspielstätte umgezogen. Das Theater im Anbau liegt zwar praktischerweise gleich ums Eck, versprüht allerdings den Charme einer Mehrzweckhalle und ist überdies für den vorgesehenen Musiktheaterbetrieb zu klein und daher denkbar ungeeignet – mit der Folge, dass das Orchester auf der Hinterbühne platziert und im Zuschauerraum nur über zwei an der Decke befestigte Lautsprecher (!) zu hören ist. Was nicht passt, wird in Nordhausen passend gemacht – so gut es eben geht. 

Trotz alledem verfolgen Intendant Daniel Klajner und sein Team einen bemerkenswert ambitionierten Spielplan, der fünf Neuproduktionen in dieser Saison zählt, darunter Repertoire-Raritäten wie zuletzt Paul Abrahams «Märchen im Grand Hotel» oder demnächst Tschaikowskis «Jolanthe». Auch Mozarts anspruchsvollen «Idomeneo» traut man sich hier zu – jedoch von drei auf zwei Stunden Spieldauer heruntergekürzt und mit einer Textfassung Marke Eigenbau, die umsetzt, was Operndirektor und Regisseur Benjamin Prins im Programmheft wissen lässt: „Die Inszenierung ist so konzipiert, dass sie nicht nur Opernliebhaber anspricht, sondern auch ein breiteres Publikum, das weniger mit der Musik vertraut ist“. 

Dazu bedient sich Prins eines gern angewandten Regie-Kniffs. Er erfindet eine Figur hinzu, die zusammenfasst und kommentiert, was in den herausgestrichenen Secco-Rezitativen gesagt worden wäre. Thomas Kohl ist dieser Erzähler, der es sich zu Hause im Wohnzimmer auf dem Chesterfield-Sofa gemütlich gemacht hat und die tragische Geschichte vom Kreter-König in seinen Laptop tippt. 

Einerseits hilft er damit, für den unbedarften Opernbesucher die Handlungsfäden zu entwirren, andererseits aber stört diese Aufsagerei aus dem Off den musikalischen Fluss empfindlich. Das Drama um Idomeneo, der siegreich aus dem Trojanischen Krieg zurückgekehrt ist und nun den eigenen Sohn Idamante zum Opfer darbringen soll, auf dass der Meeresgott besänftigt und die eigene Herrschaft gesichert sei – es nimmt dadurch leider nie richtig Fahrt auf.

Das liegt natürlich auch am Stück selbst: Mozarts letzte Jugendoper, 1780/81 vollendet, schöpft noch beträchtlich aus dem Erbe des barocken Musiktheaters. Die Figuren haben das Schablonenhafte noch nicht ganz abgelegt, ihre Arien dienen der Affektdarstellung, das „lieto fine“ ist gewissermaßen vorgezeichnet. 

So betrachtet, reihen sich in Nordhausen die einzelnen Nummern zu einem wenigstens kurzweiligen Opernabend aneinander: gefällige Unterhaltung statt psychologischen Tiefgangs. Schon das Bühnenbild, ein im Fotorealismus gehaltenes 360°-Meerespanorama inklusive Sonnenuntergang und Seemöwen (Wolfgang Kurima Rauschning), ist das glatte Gegenteil einer Kulisse, vor der sich eine große Vater-Sohn-Tragödie abspielen soll.  

Die Sopranistin Julia Ermakova beeindruckt als Elektra nachhaltig © Julia Lormis

Die hübsch geschneiderten Kostüme von Birte Wallbaum deuten zumindest an, dass hier die Wertvorstellungen zweier Generationen aufeinanderprallen. Idomeneo, ganz auf Repräsentanz bedacht, erscheint mit goldenem Brustpanzer und Königsmantel. Kyounghan Seo singt ihn mit kraftstrotzendem Tenor, zeigt in den auf Deutsch (!) vorgetragenen Accompagnato-Rezitativen jedoch phonetische Schwächen und wirkt in seiner Darstellung des zwischen Staatsräson und Vaterliebe hin- und hergerissenen Königs ziemlich hölzern. Annika Westlund, als Sohn Idamante, macht ihre Sache weitaus besser – sowohl in der Verkörperung der Hosenrolle des versöhnungsbereiten, modernen Thronfolgers, als auch stimmlich, dank ihres flexiblen, höhensicheren Soprans. Yuval Oren gibt ihr zur Seite die trojanische Prinzessin Ilia, ein leicht geführter, gelegentlich zum Schärfeln neigender Sopran. Der von Markus Fischer einstudierte Chor stapft als Mysterienkult über die Bühne, das solide aufspielende Loh-Orchester unter der Leitung von Pavel Baleff vernimmt man nur über akustisch leider arg limitierende Lautsprecher.

Am nachhaltigsten beeindruckt die russische Sopranistin Julia Ermakova. Sie ist Elektra, die, von den Furien getrieben, ebenfalls den Königssohn Idamante begehrt. Ihre fulminante Abschiedsarie („D’Oreste, d’Aiace“) nimmt nichts weniger als den Racheschwur der Königin der Nacht vorweg. Das dürfte dem rundum begeisterten Nordhausener Publikum sicherlich Lust machen auf mehr Mozart an ihrem Haus – was wiederum ein willkommener Nebeneffekt dieses musikalisch kurzweiligen, aber szenisch völlig unerheblichen «Idomeneo» wäre. 


«Idomeneo» – Wolfgang A. Mozart
Theater Nordhausen · Theater im Anbau

Gekürzte Fassung

Kritik der Premiere am 24. Januar
Termine: 31. Januar; 9./22. Februar; 9./29. März