Staatstheater Darmstadt
Klanges Walten
Daniel Cohen entfesselt nahezu hemmungslos die Wagner’sche Klangmagie, ein hervorragendes Sängerensemble lässt sich mühelos auf diesen wallenden Wogen tragen. Die Inszenierung gibt allerdings Rätsel auf
Daniela Klotz • 03. Februar 2025
Tristan, im Sterben gezeugt, im Sterben geboren, schon vor Schopenhauer die Tristesse des Seins im Namen tragend, ist gemeinhin der Ausgangspunkt aller Überlegung, wenn Richard Wagners existentielles Musikdrama auf die Bühne kommt. Er ist der, der nur Verlangen kennt, aber keine wahre Liebe, er ist der, der zu betrügen scheint und doch betrogen wird, er ist der des Seins Müde, der doch nicht mutterseelenallein in „des Welt-Atems wehendem All ertrinken, versinken“ will. So sehr betont er, dass so gern er sterbe, dass Isolde ihn fragen muss, „Doch unsre Liebe, heißt sie nicht Tristan und Isolde?“
In Eva-Maria Höckmayrs Darmstädter Inszenierung wird aus diesem Liebesdisput keine unauflösbare Dualität der Nachtgeweihten. Der Held ohne Gleichen und Irlands Kind sind und bleiben einander unerreichbar. Tristan, der das Erlöschen seines Selbst ersehnt, Isolde, die letztlich als Tagträumerin „nur“ ihr Liebesleid lindern möchte. Nach Höckmayrs Lesart spielt sich das ganze Drama im Innenleben der Protagonisten ab, genauer gesagt, entspringt es Isoldes manischer Auseinandersetzung mit dem Mann, der den Tod mehr liebte als ihre Liebe. Tristan ist demnach Ende des zweiten Aufzugs tot. Ein Selbstmord durch Morolds Schwert, das Tristan Melot (Matthew Vickers) in die Hände drückt. Der dritte Aufzug ist reine Innenschau, der erste vielleicht auch. Denn alles beginnt auf dem Meer und die Wogen des Schicksals, die Isolde durchs Geschehen treiben, werden den ganzen Abend über präsent sein.
Magdalena Anna Hofmann ist eine Wahnsinns-Isolde. Im Wortsinn, weil sich ja die ganzen knapp vier Stunden Spielzeit an diesem Abend um ihren Liebeswahn drehen. Künstlerisch, weil sie mühelos und nur mit der einen oder anderen Überphrasierung den Gewalten begegnet, die Daniel Cohen mit dem Staatsorchester Darmstadt zu entfesseln vermag. Andererseits dämpft sie ihren hochdramatischen Sopran zu leisen Gänsehaut-Tönen. Wie ihre Schlussworte „unbewusst höchste Lust!“ im Orchesterklang verschweben, ist unerhört und reißt das Publikum, um das vorweg zu nehmen, beim Schlussapplaus förmlich von den Sitzen.
Und das, nachdem Madgalena Anna Hofmann den gesamten dritten Aufzug auf der Bühne verbracht hat. Größtenteils direkt an der Rampe vor dem Publikum Tristans Sterben als Verarbeitung ihrer Gefühlswelt bis hin zur Loslösung von diesem toxischen Idol in mehr oder minder „realer“ Szene erlebt. Über dieser Szene und dem Gesang des Hirten (Marco Mondragón) schweben ergreifend, tröstlich-verheißend die Klänge des Englischhorns. Dann treibt Tristan den treuen Kurwenal an, dem Julian Orlishausen starke Stimm’ und Gestalt verleiht, und tobt mit einer Kraft, die von bester stimmlicher Wirtschaftlichkeit zeugt. Nachdem beide für die Rolle vorgesehenen Sänger erkrankt waren, war Heiko Börner am Morgen des Premierentags eingesprungen. Daniel Cohen brauchte ein klein wenig Zeit, sich auf den dunkel timbrierten Tenor einzuschwingen – dann war auch hier alles „Lustentzücken“ bis zum letzten Ton. Eine bemerkenswerte Leistung Börners, ein beeindruckender Abend Cohens und seines Klangkörpers!
Was derweilen auf der Bühne vor sich geht, ist hingegen so leichtlich nicht gesagt. Fabian Liszt nutzt die ganze Tiefe des beeindruckenden Darmstädter Bühnenraums und das ganze Repertoire der Bühnenmaschinerie. Ab Beginn wiegen vom Schnürboden hängende Wogen Schwarz in Schwarz das Geschehen. Eine weiße Wand, die Isoldes Gemach auf dem Schiff abtrennt, lässt den Blick auf die Wogen frei, wird dann aber selbst zur Projektionsfläche einer riesigen (Schicksals-)Welle. Die Mitgift, auch Morolds Schwert und das Kästchen mit den fatalen Tränken, steckt in Umzugskartons. Zwei Elemente, halb Half-Pipe halb Querschnitt eines Schiffsrumpfs, drehen sich dann im zweiten und dritten Aufzug auf der Drehbühne, geben die Szene samt eines altarähnlichen das Meer symbolisierenden Blocks zwischen bzw. hinter ihnen frei oder verdecken sie. Diese Drehbühne fährt über die ganze Dimension des Bühnenraums zurück und vor, auf ihr agiert ein Tanzensemble.
Schon gleich zu Beginn der Ouvertüre sind vier Isolde- und vier Tristan-Darsteller zu Isolde auf die Bühne getreten. Bis fast zum Ende des Abends werden sie in einer komplexen Choreographie voneinander angezogen und abgestoßen, in immer intensiver werdenden Bewegungen zwar, aber unabänderlich. Heiko Steuernagel sorgt mit extremen Lichteffekten, deren Bahnen jedoch genau einzuhalten sind, um keine ungewollten Verdunklungen zu zeitigen, für die nötigen Wandlungsräume. Tristan und Isolde, das sind eben keine gleichen Pole, sondern die Gegensätze, die sich anziehen und nicht gemeinsam bestehen können. Die seltenen Berührungen der beiden gleichen Wunschvorstellungen. Eine Lampe, wie in einem Operationssaal, und ein beleuchtetes Rechteck, erstere vielleicht als Bild der unheilvollen Sonne, zweiterer vielleicht als Rahmen der Erinnerung gedacht, kommen als Zeichen dieser Welt in der Welt zum Einsatz. Julia Rösler illustriert die Idee zusätzlich in ihren schlichten in Schwarz und Weiß gehaltenen Kostümen, die an die klassische Kleidung einer Trauung erinnern. Isolde trägt nur widerwillig den Rock eines Brautkleids, darüber die Anzugjacke, die ihr zu groß ist. Im dritten Aufzug trägt ein kleiner Bub (Raphael Ott) ein nämliches Gewand und sucht offensichtlich Anschluss an einen der stummen Darsteller, die ebenfalls im Hintergrund agieren. Der Bub verschwindet, als Tristan von seiner Geburt berichtet. Erinnerung an bzw. Ahnung von etwas, das hätte sein können?
Folgt man Röslers Kostümsprache, ist Brangäne in Darmstadt auch nicht die enge Vertraute, sondern die Stimme der Vernunft. Sie versucht, Isoldes Blick auf das Geschehen zu korrigieren und geht doch fehl, als sie „einmal der Herrin Willen trog“. Nahezu beklemmend klingen Katrin Gerstenbergers „Habet Acht“-Rufe von oben. Ein Schauer rinnt den Rücken hinunter. Des Mitleids Wissen stellt sich hingegen ein, wenn der doppelt betrogene Marke die Szene betritt. Johannes Seokhoon Moon ist ein edler König mit tiefschwarzem, durchschlagendem Organ. Seiner Textverständlichkeit und der aller anderen Ensemblemitglieder ist zu verdanken, dass so manches Glöckchen klingelt und die Bezüge meldet, die zwischen Gottfried von Straßburg und den Meistersingern hier herzustellen sind.
Der Inszenierung gelingt das leider nur bedingt. Zu viele Ebenen und zu viele Aktionen im Hintergrund sind da zu betrachten. Zwar ist die Personenregie feinst abgestimmt, doch das Große und Ganze verlangt eine übergroße Menge an Transferleistung. Manchmal hätte man einfach nur die Augen schließen und zuhören wollen.
«Tristan und Isolde» – Richard Wagner
Staatstheater Darmstadt
Kritik der Premiere am 25. Januar
Termine: 16./23. Februar; 16./23. März; 18. April; 4. Mai
Zum Thema
OPE[R]NTHEK / ORPHEUS
Die Zielstrebige. Magdalena Anna Hofmann: Seit die Sopranistin das Fach gewechselt hat, braucht sie sich um Engagements keine Sorgen zu machen. – von: Stephan Burianek, in: Orpheus, Sept / Okt 2016, S. 96-98