Kalchschmids Albenpanorama
02/2025
Neuerscheinungen: Eine feine Deklamation in mehr oder weniger bekannten Liedern, eine romantisch-elegante Vertonung des süßlichsten „Sanctus“ überhaupt und ein Album auf den Spuren des letzten großen Kastraten
Klaus Kalchschmid • 14. Februar 2025
Die Hälfte der Lieder auf ihrem Schubert, Schumann, Mendelssohn und Brahms gewidmeten Album singt Fatma Said mit Freunden: Mit luzider Harfe (Anneleen Lennarts) oder Streichquartett (Quatuor Arod) in Bearbeitungen von Brahms-Liedern durch Aribert Reimann (Ophelia-Gesänge), mit obligater Klarinette (Schuberts letztes, zauberhaftes Lied „Der Hirt auf dem Felsen“), im Duett mit dem jungen, feinen Bariton Huw Montague Rendall oder mit einem ganzen Männergesangsverein (Walhalla beim Seidl) im „Ständchen (Notturno)“ – das gibt dem Ganzen einen schönen kammermusikalischen Anstrich.
Mischt die ägyptische Sopranistin zunächst noch Mendelssohn und Schubert (darunter „Auf dem Wasser zu singen“ und „Der Zwerg“), folgen auf einen großen Block Brahms sechs ausgewählte Schumann-Lieder – darunter so Bekanntes wie „Widmung“ und eher Unbekanntes wie „Singet nicht in Trauertönen“ sowie die reizvoll verführenden Duette „Unter Fenster“ und „In der Nacht“. Said besitzt eine wunderbar schlichte und doch ausdrucksvolle Stimme, die so gar nicht an Oper erinnert, sondern oft feine Deklamation bedeutet, wie in Mendelssohns agilem „Hexenlied“, was Fatma Said im Booklet ausdrücklich als ihr Ziel beschreibt, etwa im Dialog von Harfe und Singstimme bei vier Brahms-Liedern. Auch ihre drei (!) Pianisten (Malcolm Martineau, Joseph Middleton und Yonathan Cohen spielen allesamt sehr aufmerksam und sind ebenfalls wunderbare, gleichberechtigte Dialog-Partner. (Warner Classics)
Süßer hat wohl kein Komponist das «Sanctus» vertont als Gabriel Fauré in seinem Requiem aus dem Jahr 1888, Geigen-Solo eingeschlossen. Der Franzose lässt darauf das „Pie Jesus“ von einem Sopran-Solo (Emöke Baráth) singen (und den Beginn des „Libera me“ von einem Bariton, Philippe Estèphe), bevor mit dem „Agnus Dei“ wieder der Chor einsetzt. Dass ein „U“ immer ganz französisch als „Ü“ gesungen wird, ist durchaus gewöhnungsbedürftig, so sehr die Eleganz der zutiefst romantischen Vertonung besticht und mit einem „In paradisum“ wahrlich paradiesisch endet. Die wenig später entstandene «Messe de Clovis» von Charles Gounod für Chor und Orgel nimmt sich zwar manchmal den Gregorianischen Choral zum Vorbild, ist aber zugleich ganz französische Romantik, etwa im von der Orgel grundierten, strahlenden „Sanctus“ oder einem nicht minder fließenden „Benedictus“. Als Rundung des Albums gibt es für Sopran, Solo-Geige, Chor und Orchester (das feine Le Concert Spirituel unter Hervé Nique) ein schönes Encore des Gounod-Schülers Louis Aubert und das Adagio für Violine und Orgel von André Caplet. (Alpha)
Giovanni Batista Velluti (1780-1861) war der letzte Kastrat, der eine erfolgreiche Karriere machte, Lehrer von Giuditta Pasta und Maria Maibran war und für den so berühmte Komponisten wie Gioachino Rossini oder Saverio Mercadante («Andronico») komponierten. Es war nur eine Frage der Zeit, bis auf entsprechende Alben mit Repertoire der Barock-Kastraten Sensesino, Farinelli oder Carestini ein führender Countertenor auch Vellutti und seinem Partien ein eigenes Album widmete. Und wer wäre dafür besser geeignet als Franco Fagioli mit seiner stupenden Technik und dem gewaltigen Tonumfang. Denn was nicht zuletzt Giuseppe Nicolini (1762-1842) für Velluti komponiert hat, ist mal enorm ausdrucksvoll, mal ist es hochvirtuoser Ziergesang. Eine seiner Lieblings-Partien war nicht ohne Grund die Hauptrolle in «Carlo Magno», hier durch eine fast viertelstündige Grand scena mit Rezitativen, Arien und Chören vertreten, aber auch die Titelpartie von «Balduino duca di Spoleta» ist präzise zugeschnitten auf die Ausdrucksmöglichkeiten Vellutis und wird von Fagioli, der ebenfalls keine gesanglichen Grenzen kennt, kongenial umgesetzt, ebenso wie die Titelpartie in «Tebaldo e Isolina». Deren düstere Scena e romanza „Notte tremenda“ verfehlte mit ihren großen Intervallsprüngen und dem enormen Ausdruck bei keiner Aufführung – und auch heute auf dieser Aufnahme – ihre Wirkung und begeisterte den jungen Verdi, der den Melodien der Oper eine Reihe Variationen widmete. Chor und Orchester de Opéra Royal in Versailles spielen und singen unter Stefan Plewniak ebenso dezent wie dezidiert und tragen zur Qualität des Recitals nicht wenig bei. (Château de Versailles)