Haydnregion Niederösterreich

Historische Ausgrabungen bei den Haydns

Die intime Konzertreihe vor den Toren Wiens ist ein Geheimtipp, was in einer exklusiven Saisoneröffnung im Haydn-Geburtshaus von Rohrau unterstrichen wurde

Stephan Burianek • 07. April 2025


OPERN∙NEWS stellt diesen Artikel kostenlos zur Verfügung. Kaufen Sie ein Förderabo, um unsere journalistische Arbeit und unsere freien Autoren und Autorinnen zu unterstützen!


 

Das Haydn-Geburtshaus bildet das Herz einer fast ganzjährigen Konzertreihe © Nicole Heiling

Da soll noch einer sagen, alte Opern seien frauenfeindlich: Kurz bevor Feinde das belagerte Sparta stürmen, werden die Frauen der Stadt in Sicherheit gebracht. Doch eine wehrt sich dagegen und singt eine Arie: „Luci vezzose“ – sie möchte ihre Heimat mit der Waffe verteidigen. Das ist laut Wolfgang Brunner nicht die einzige Stelle in der Oper «Archidamia» von Johann Georg Reutter, an der Feminist:innen ihre Freude haben dürften. 

Es ist eine gleichermaßen unterhaltsame wie lehrreiche Eröffnung der Konzertreihe „Haydnregion Niederösterreich“ im winzigen Konzertsaal des schmucken Geburtshauses von Joseph Haydn und dessen Bruder Michael in Rohrau. Brunner spricht über „Schüler und Lehrer der Brüder Haydn“ und stellt am Hammerflügel gemeinsam mit seinem Originalklang-Ensemble Salzburger Hofmusik sowohl Werke der Gebrüder Haydn, als auch aus deren direktem Umfeld vor. 


Musikalische Raritäten

Johann Georg Reutter kennen heute nur mehr Spezialisten. Reutter war, ebenso wie sein gleichnamiger Vater, Organist am Wiener Stephansdom und unterrichtete damals die Kapellknaben, aus denen später die Wiener Sängerknaben wurden und denen die Haydn-Brüder in jungen Jahren angehörten. Seine „festa teatrale per musica“ «Archidamia» schrieb Reutter bereits als 17- oder 18-Jähriger. Für das Konzert wurde die bereits recht verblasste Originalpartitur aus der Österreichischen Nationalbibliothek (ein digitalisiertes Exemplar findet man online) in eine moderne Notation gefasst. 

Heidelore Wallisch-Schauer fand in Chile Menuette und Märsche von Ignaz Joseph Pleyel für ein Salterio © Haydnregion Niederösterreich

Im Rohrauer Konzertsaal belebte nun erstmals nach fast 300 Jahren die Sopranistin Marianna Herzig zwei Arien daraus wieder. Mit einem engelklaren Timbre und vibratoarmem Gesang gab sie eine Visitenkarte für Reutters eingängig komponierte Melodiebögen und teils fordernden Notensprünge ab, die Lust auf das Erleben der gesamten Oper machte.

Die erste der beiden Arien erfordert die Begleitung u.a. durch ein Hackbrett, das zu jener Zeit ein beliebtes Konzertinstrument war. Auf diesem Gebiet ist die an der Uni Mozarteum lehrende Heidelore Wallisch-Schauer derzeit das Maß aller Dinge. In einer Bibliothek in Chile (!) fand sie mehrere Kompositionen von Ignaz Joseph Pleyel, Menuette und Märsche, die als Gebrauchsmusik für ein kleines Hackbrett, das Salterio, geschrieben wurden. Ungeachtet der Tatsache, dass diese noch nicht im offiziellen Pleyel-Werkverzeichnis stehen, erlebte das Publikum der Haydnregion eine kurzweilige Hörprobe daraus. 

Neben weiteren Werken von Anton Diabelli, Carl Maria von Weber und natürlich Joseph und Michael Haydn machte man am Eröffnungsabend mit der Psalmenkantate „Ascolta i prieghi, ascolta“ auf die Komponistin und Salonnière Marianna Martines aufmerksam, die ebenso wie ihr Förderer, der Hofkomponist Pietro Metastasio, und der junge Joseph Haydn im Michaelerhaus neben der Wiener Michaelerkirche gewohnt hat.


Ganzjähriger Genuss

Das Haydn-Geburtshaus bildet das Herz der Haydnregion Niederösterreich, darüber hinaus schließt die Konzertreihe mehrere Pfarrkirchen und Schlösser als Veranstaltungsorte mit ein. Weil sich die Haydnregion Niederösterreich geografisch mehr oder weniger mit der Tourismusregion Römerland Carnuntum sowie mit dem Weinbaugebiet Carnuntum deckt, steht ein Konzertabend freilich im Zeichen der römischen Antike („Die spinnen, die Römer!“ in der Therme der Römerstadt Carnuntum am 4. Mai). Und natürlich werden die lokalen Winzer, deren Weine bei diesen Gelegenheiten zu Ab-Hof-Preisen gekauft werden können, in die kulinarische Verpflegung eingebunden. 

Zu den Höhepunkten zählen in diesem Jahr ein Festkonzert im barocken Prunksaal von Schloss Petronell-Carnuntum („Klang und Mythos“ am 15. Juni unter der Leitung von Tomáš Netopil und mit der Sopranistin Slávka Zámečníková) sowie das Finalkonzert des alljährlichen Internationalen Haydnwettbewerbs unter dem Juryvorsitz von Angelika Kirchschlager (8. Juni im Schloss Rohrau). Auch „Rohrauer Gespräche“ mit namhaften Interview-Partnern und musikalischer Umrahmung und Geheimtipps, wie die unterhaltsamen „Divinerinnen“ (am 16. August bei einem Heurigen in Höflein) locken in die Region. Ein Wermutstropfen bleibt freilich: Man benötigt ein Auto, angesichts der önologischen Verführungen im Idealfall mit einer Chauffeurin. 
 


Haydnregion Niederösterreich ist eine fast ganzjährige Konzertreihe des Landes Niederösterreich an zwölf unterschiedlichen Orten zwischen Schwechat bei Wien und Hainburg an der Donau. Das Zentrum bildet das Haydn-Geburtshaus in Rohrau, weiter Konzerte finden u.a. in der Römertherme von Petronell-Carnuntum sowie in mehreren Pfarrkirchen und Schlössern der Region statt. // haydnregion-noe.at