Nationaltheater Mannheim
Gänsehaut mit Schwan
Kaum gealtert ist Hans Schülers Inszenierung von Wagners «Parsifal» aus dem Jahr 1957, zumal unter der Leitung von Alexander Joel erstklassig musiziert und gesungen wird
Stephan Burianek • 25. April 2025

Es ist ein zeitloses Phänomen, dass nicht alle Menschen die Zeichen der Zeit erkennen: Von einer „wenig überzeugenden Aufführung“ war im April 1957 in der Pfälzer Abendzeitung zu lesen. Es war freilich eine Minderheitenmeinung, denn die Mehrheit erkannte den großen Wurf des Intendanten des Mannheimer Nationaltheaters – ein Wurf, der bis in unsere Gegenwart anhält: Hans Schülers poetische Inszenierung von Wagners «Parsifal» orientierte sich stark an Wieland Wagners „Neu-Bayreuth“ und wirkt nach fast sieben Jahrzehnten so frisch, als sei sie erst kürzlich aus der Taufe gehoben worden (szenische Leitung der Wiederaufnahme: Claudia Plaßwich).
Natürlich sieht man hier noch einen toten Schwan, einen klassischen Gralsbecher und einen fliegenden Speer. Dass diese Inszenierung bis heute nicht altmodisch wirkt, liegt nicht zuletzt an dem raffiniert eingesetzten, malerisch in eine Anderswelt entführenden Bühnenlicht (das auf den zur Verfügung gestellten Pressefotos leider kaum eingefangen wurde). Die Bühne selbst besteht im Prinzip nur aus einem kleinen Hügel in der Mitte sowie zwei Gazen – eine vorne an der Bühnenrampe und eine als Bühnenrückwand –, die mithilfe von Projektionen in die wechselnden Orte der Handlung versetzen.
Wären diese Mittel bereits zu Richard Wagners Zeit zur Verfügung gestanden, hätte er womöglich keine oder kürzere Verwandlungsmusiken komponiert. Das wäre insbesondere während der Vorstellung am Ostermontag schade gewesen, denn Alexander Joel schöpfte mit dem Mannheimer Opernorchester aus dem Vollen, ließ das Orchester in der Verwandlungsmusik vor der Gralsenthüllung im ersten Aufzug lupenrein und in den schönsten Farben aufleuchten, erzeugte dann während der Gralsenthüllung eine kaum erträgliche Spannung, um den Auszug der Ritter letztlich mit einer Zartheit zu begleiten, die selten erreicht wird. Generell vermied Joel übertrieben lange Generalpausen, zelebrierte insbesondere den ersten Aufzug gleichermaßen straff wie feierlich. Mehrmals Gänsehaut. Nie wirkten die Tempi ermüdend, nicht einmal im dritten Aufzug, dem Joel eine Bedeutungsschwere verlieh.
Erstklassig war zudem die Umsicht, mit der Joel auf die Bedürfnisse der Sänger einging und sie so gut wie nie zudeckte. Weiß eigentlich jemand, warum Joel, der sich in den vergangenen Jahrzehnten in bester Kapellmeister-Manier von Mozart über Wagner und Verismo bis hin zur Operette gewissenhaft ein breites Repertoire erarbeitet hat und in diesem Zusammenhang an einen Peter Schneider oder Adam Fischer erinnert, noch nicht im Bayreuther Festspielhaus dirigiert hat?

Auch traf an diesem Abend die Aussage aus den Weinheimer Nachrichten vom April 1957 zu: „doch stand dem Nationaltheater aus eigenen Kräften eine Besetzung zur Verfügung, die dem Werk einen weihevoll festlichen Glanz gab.“ Tatsächlich muss man einen «Parsifal» erst stemmen können, und mit einer Besetzung ausschließlich aus den eigenen Reihen schaffen das heute nur mehr wenige Opernhäuser.
Sänger mögen es nicht, wenn man sie mit anderen Sängern vergleicht. Eine Ausnahme sei erlaubt: Klaus Florian Vogt, der den Parsifal zur selben Zeit in Wien und Dornach gesungen hat, mag über eine größere Stimmwucht verfügen als das Mannheimer Ensemblemitglied Jonathan Stoughton. In Technik, Stimmklang und dramatischer Gestaltung gefiel mir Stoughton allerdings weitaus besser. Mit einem einfühlsamen Dirigenten ist er ein heldenhafter, sicherer Parsifal und den führenden Vertretern in dieser Partie ebenbürtig.
Die wohl forderndste Bassrolle im gesamten Opernrepertoire, den alten Ritter Gurnemanz, meisterte Sung Ha mit einer guten Präsenz und einer eindrucksvollen Konstanz. Julia Faylenbogen wiederum war eine Kundry auf der lyrischen Seite, die naturgemäß in der Verführungsszene im 2. Aufzug aufblühte, und Nikola Diskić war ein tadelloser Amfortas. Seit 25 Jahren ist der Klingsor die Paraderolle von Thomas Jesatko, doch der sang diese Partie zur selben Zeit im Goetheanum in Dornach bei Basel. Thomas Berau vertrat ihn souverän. Alle Ehre machten dem Werk zudem der Chor des Nationaltheaters (Direktor: Alistair Lilley) und die Blumenmädchen.
Hans Schülers Inszenierung hat eine längere Lebensdauer als Stein: Bei ihrer Premiere war das für eine umfassende Renovierung derzeit geschlossene Mannheimer Spielhaus gerade erst eröffnet worden. Aktuell spielt man in einer eigens errichteten Interimsspielstätte in einer wenig attraktiven Gegend in direkter Nachbarschaft zum Fußballstadion. Diese „Oper am Luisenplatz“ (OPAL) ist eine durchaus beachtliche Halle, die neben schwingenden Böden und Treppen eine außerordentlich gute Akustik aufweist. Davon abgesehen stimmte am vergangenen Ostermontag das Verdikt der Schwetzinger Zeitung, die im April 1957 schrieb: „Das bis auf den letzten Platz besetzte Große Haus nahm die fünfstündige Aufführung mit tiefer Ergriffenheit entgegen.“
«Parsifal» – Richard Wagner
Nationaltheater Mannheim · OPAL (Oper am Luisenpark)
Kritik der Vorstellung am 21. April
Konzertantes Gastspiel im Forum am Schlosspark Ludwigsburg: 27. April