Kalchschmids Albenpanorama

04/2025

In gleich drei Neuerscheinungen beleben Frauenstimmen Unbekanntes quer durch die Musikgeschichte – von Hieronymus Kapsberger über Émile Paladilhe zu Tomás Mendez

Klaus Kalchschmid • 27. April 2025

„Vox Feminae“ nennt sich das neue Album von Les Kapsber’Girls, dem nach dem Komponisten Hieronymus Kapsberger genannten weiblichen Vokalquintett, das sich zusammen mit drei Instrumentalistinnen an Bassgeige, Harfe, Gitarre und Theorbe ganz Komponistinnen des 17. Jahrhunderts widmet. Mit Ausnahme von Barbara Strozzi sind sie heute wenig oder gar nicht bekannt. So Antonia Bembo, Isabella Leonarda, Francesca Campana oder Lucia Quinciani. Viel Ungedrucktes liegt da noch in den Archiven, denn selbst wenn – wie im Falle von Francesca Campana – bereits ein Werk der 14-Jährigen von einem berühmten römischen Verleger veröffentlicht wurde, „endete die Geschichte oft mit der Hochzeit“, so Albane Imbs, die auf diesem Album nicht nur die Leitung innehat, sondern auch Theorbe und Barockgitarre spielt, im Booklet. Umso besser, dass von ihr drei wunderschöne Stücke auf das Album gefunden haben: das eher melancholische „Voi luci altere“, das launige, von der lebhaften Gitarre begleitete „Fanciulla vezzosa“ und das nicht minder aufgekratzte Liebeslied „Amor se questa sera“. Beendet wird „Vox Feminae“ vom einzig überlieferten kühn chromatischen (Solo-)Stück von Lucia Quinciani (c.1566-fl.1611) und der Gagliarda sesta von Hieronymus Kapsberger, dessen sieben kurze Instrumentalstücke das Album zusätzlich auflockern. (Alpha)


Ob Jacques Offenbachs Fantasio, Ambroise Thomas‘ Mignon oder Bizets Carmen: Diese drei Partien haben eines gemeinsam: Sie wurden kreiert von Célestine Galli-Marié (1837-1905). Aber wie Eva Zaïcik auf ihrem, der legendären Sängerin gewidmeten Album „Rebelle“ zeigt, sind das nur die drei herausragenden Partien, die Galli-Marié in ihrer Karriere gesungen hat (die Carmen in ganz Europa) und durch ihre Stimme mit großem Charisma und einem ebenso großen Umfang immer wieder zu enormem Glanz fanden. Doch wer kennt heute noch Ferdinand Poise, Louis Deffès, Victor Massé, Albert Grisar, Émile Paladilhe oder Jules Cohen? Alle sind sie mit qualitätsvollen, charmanten Arien vertreten wie etwa Massé mit einem Chanson Bohémienne oder Poise gleich zu Beginn mit einem launigen Chanson de Colombine aus «La surprise de l’amour», Ernest Guiraud mit einer melancholischen Cavatine aus «Piccolino» oder Paladilhe mit einem geschmeidigen Chanson und seiner effektvollen Violine aus „Le Passant“. Bestechend sind die tiefsinnigen Arien aus «Mignon» und effektvoll natürlich Carmens Habanera und Séguedille. Das Orchestre National de Lille ist unter Pierre Dumoussaud ein feinsinniger Begleiter in jeder einzelnen Nummer dieses Album. (Alpha)


Die Habanera gibt es auch auf dem Album „Gracias a la vida“ der Mezzosopranistin Anne-Lise Polchlopek – allerdings zur Begleitung einer Gitarre. Neben Cherubinos „Voi che sapete“ ist es der einzige Ausschnitt aus einer Oper, denn Bernsteins «Candide», mit dem das Album beginnt, kann man wohl kaum eine Oper nennen, und alles andere sind Songs, Lieder, Chansons oder Zarzuelas einmal quer durch die Musikgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, allerdings wohl ausgewählt, herrlich kontrastierend oder sich ergänzend und wahrlich eine Anthologie, also Blütenlese. Da folgt gleich auf den schrägen „Old Lady’s Tango“ das „Wiegenlied“ von Richard Strauss, darauf Toldà, Cécile Chaminade und de Falla, dann drei feine Lieder des 22-jährigen Olivier Messiaen, Pauline Viardot, Ravel und Fauré bis hin zu Jacques Brel, dem „Cucurrucucú paloma“ von Tomás Mendez, dreimal Poulenc, Satie und zum Schluss das legendäre titelgebende „Gracias a la vida“ von Violeta Parra, wieder eines der nicht vom Klavier (Federico Tibone), sondern der Gitarre (Pierre Laniau) ebenso schlicht wie raffiniert begleiteten Lieder. Diese „musikalische Reise ist eine Feier des Lebens“ schreibt Anne-Lise Polchlopek im Booklet, und man kann der Mezzosopranistin nur beipflichten, wenn hier mit Hingabe, Lebensfreude und vielen verschiedenen Stimmen auf Spanisch ebenso wie auf Französisch idiomatisch gesungen ganz Klassisches auf Popuärmusikalisches, Romantik auf Moderne trifft. Zwar kann man sich per QR-Code die Originaltexte aufs Handy laden, aber leider keine Übersetzung auf Englisch oder gar Deutsch. (Fuga libera)