Bayerische Staatsoper / Ja, Mai Festival 2025
Jugend in Japan
Mit Thomas Larchers «Das Jagdgewehr» und Toshio Hosokawas «Matsukaze» zeigt das Opernstudio der Staatsoper beim Ja, Mai Festival zwei höchst unterschiedliche, sich im Sujet ähnelnde Werke
Klaus Kalchschmid • 06. Mai 2025

Zum dritten Mal gibt es das Festival Ja, Mai der Bayerischen Staatsoper, bei dem diesmal neben japanischen Filmen, wie Kurosawas berühmtem „Rashomon“, der von einem Verbrechen in der unterschiedlichen Perspektive der Betroffenen erzählt, und dem Geisterfilm „Kuroneko“ von Kaneto Shindoh von 1968, auch japanisch angehauchtes oder im Innersten japanisches Musiktheater im Mittelpunkt stehen.
Verbriefte Seitensprünge
Kontrastreicher könnten die beiden Produktionen des Opernstudios der Bayerischen Staatsoper (neben ehemaligen Mitgliedern singen auch aktuelle) nicht sein, was schon durch die unterschiedlichen Räume bedingt ist. Noch vor Beginn von «Das Jagdgewehr» gibt es im gläsern überdachten Rondell des Eingangsbereichs zum Cuvilliés-Theater vor der Oper ein Monteverdi-Madrigal, denen in der Mitte der Oper und am Ende zwei weitere folgen sollen. Das sind willkommene Ruhepunkte des Geschehens und doch eigentlich überflüssig: Drei Frauen haben (Abschieds-)Briefe geschrieben, die vom Seitensprung eines Mannes, Josuke Misugi, erzählen und ihre je eigene Wahrheit formulieren. Es sind dies der Brief der Nichte Shoko, die ihr Wissen aus dem Tagebuch der Mutter hat; die Ehefrau Midori weiß nicht mehr, wie sie es zehn Jahre mit ihm ausgehalten hat und bittet in ihrem Brief um ihre Scheidung. Saiko, Shokos Mutter und Josukes Geliebte, möchte in ihrem Brief ihr „wahres Ich“ enthüllen. Wenn der Brief Josuke erreicht, wird sie nicht mehr am Leben sein. Die 2018 in Bregenz uraufgeführte Oper Thomas Larchers entfaltet nun das Geschehen, das diesen Briefen vorausgeht. Kleine unscheinbare Szenen sind das manchmal, die aber weite Kreise ziehen und einander spiegeln.
Das greift die raffinierte Bühne von Jule Saworski auf, die auch die bildkräftigen Kostüme entworfen hat: Ein zylinderförmiger, verspiegelter Glaskasten aus vier Elementen, die gekippt und ganz anders wieder zusammengesetzt werden können. Shoko wird von Juliana Zara verkörpert, einem famosen Koloratursopran, dem kein Ton hoch genug sein kann. Midori, die Ehefrau, singt und spielt die lyrische Sopranistin Eirin Rognerud, während Xenia Puskarz Thomas ein fulminanter Mezzo ist und der Geliebten Saiko eindringliches Gewicht verleiht. Auch die beiden Männer sind hervorragend besetzt. Der lyrische Tenor Dafydd Jones ist der immer wieder in die Handlung eingreifende Dichter, während Vitor Bispo mit seinem profunden, samtenen Bass Josuke Misugi verkörpert, um den die ganze, vielschichtige Oper kreist.
Thomas Larcher findet dafür oftmals schillernde Klänge, in denen die expressiven Gesangslinien wie eingebettet sind. Farbige Polytonalität erscheint neben klangvollen Dissonanzen, Karges neben üppig Ausuferndem. Neben dem hervorragenden Bayerischen Staatsorchester unter Leitung von Francesco Angelico ist die exzellente Zürcher Sing-Akademie ein die Handlung häufig kommentierendes Kollektiv (Einstudierung: Florian Helgath).
Traumerzählung aus dem Jenseits
Tags darauf ein ganz anderer Raum, eine ganz andere Musik, aber ebenfalls eine Produktion des Opernstudios der Bayerischen Staatsoper und ebenfalls ein japanisches Sujet, ja mehr noch: die moderne, gleichnamige Adaption des berühmten Noh-Stücks „Matsukaze“ (Libretto: Hannah Dübgen nach dem Noh-Spiel von Zeami). Es erzählt von zwei Frauen, die am Strand Salz gewinnen und auf ihren früheren Geliebten warten. Doch es stellt sich heraus, dass die beiden längst tot sind und ein Mönch die Handlung träumt.

In ganzer Länge ist die Utopia-Halle (eine ehemalige Reithalle) mit schlanken Kuben aus Stahl bestückt – mal verspiegelt, mal am Boden mit Becken, die mit Wasser oder Salz befüllt sind. Dazwischen das Münchener Kammerorchester (Bühne: Alicja Kwade). Das Publikum darf ausdrücklich dazwischen herumlaufen, sich auf faltbare Hocker setzten oder am Rand auf festen Stühlen sitzen. So spannend es ist, den Musikern, Sängerinnen und Performerinnen immer wieder ganz nahe zu sein, es ist auch der Konzentration abträglich, die der an die Wände projizierte Text und die subtile Musik von Toshio Hosokawa fordern, die das Münchener Kammerorchester unter Alexandre Bloch mit größter Raffinesse zum Besten gibt.
Auch die Solisten, samt der ihnen beigesellten Performerinnen, sind in der Regie von Lotte van den Berg und Tobias Staab hervorragend, so der stoische, stimmgewaltig baritonale Mönch von Paweł Horodyski, der auch als Darsteller nur durch seine Mimik Charisma besitzt oder die Sopranistin Seonwoo Lee als Matzukaze und die profunde Mezzosopranistin Natalie Lewis als Murasame. Beeindruckend auch der hochgewachsene, schlanke Corey Scott-Gilbert, der sich als „Der Baum“, der auf dem Grab der Schwestern wächst, und der Geliebte Yukihira wundersam ranken kann.
Wer also genug Muße aufbringt und entsprechende Neugier, schon in der ersten halben Stunde, in der das eigentliche Stück noch nicht begonnen hat und das Publikum das Utopia betritt, immer wieder einen anderen Blickwinkel einzunehmen und einen anderen akustischen Raum um sich zu haben, der wird staunen; wem das nicht gelingt, bleibt etwas ratlos fragend zurück. Doch Rätselhaftes auch einmal so stehen zu lassen und nicht alles perfekt mitzubekommen, ist ja nicht das Schlimmste an einem Abend mit zeitgenössischer Oper, der sich „Opern-Installation mit Toshio Hosokawas Oper in einem Akt“ nennt. Nach zwei ganz unterschiedlichen und doch teils unterirdisch korrespondierenden Opern, die beide auch vom Kampf der Geschlechter erzählen, ist man jedenfalls um zwei Erfahrungen, was zeitgenössisches Musiktheater angeht, reicher.
«Das Jagdgewehr» – Thomas Larcher
Bayerische Staatsoper (München) / Festival Ja, Mai · Cuvilliés-Theater
«Matsukaze» – Toshio Hosokawa
Bayerische Staatsoper (München) / Festival Ja, Mai · Utopia
Kritik der Premieren am 2. und 3. Mai
Termine «Das Jagdgewehr»: 6./8./11. Mai
Termine «Matsukaze»: 7./9./11. Mai