Kalchschmids Albenpanorama

06/2025

Tipps des Monats: Eine französische Oper aus dem 18. Jahrhundert, eine schöne Visitenkarte und Brahms ohne satirischem Männer-Lied

Klaus Kalchschmid • 17. Juni 2025

Die Oper «Ernelinde, Princesse de Norvège» (Ernelinde, Prinzessin von Norwegen) von François-André Danican Philidor ist in mehreren Fassungen überliefert. Die hier eingespielte aus dem Jahr 1769 kommt der Urfassung, die nur als Manuskript mit Seccorezitativen erhalten ist, am nächsten. Viel Gluck ist in den dramatischen, meist sehr kurzen Arien und zahlreichen Ensembles zu hören, was seinerzeit in Paris noch Neuland bedeutete, und ohne allzu eklektisch zu klingen. 

Zur Handlung: Ernelinde ist zwischen ihrem Vater Rodoald und ihrer Liebe zu Sandomir hin- und hergerisssen. Dieser dient Rodoald schließlich aus Liebe zu seiner Tochter. Ricimer will ebenfalls Ernelinde erobern und greift zu drastischen Mitteln, indem er Rodoald und Sandomir verhaften lässt. Ernelinde kann nur einen der beiden Männer befreien und entscheidet sich für ihren Vater, der daraufhin das Paar, das gemeinsam sterben will, rettet. Die Besetzung der Hauptpartien ist exzellent: Reinoud Van Mechelen gibt Sandomir tenoralen Glanz und dramatisches Feuer, nicht minder aufregend der lyrische Sopran von Judith van Wanroij als Ernelinde und die Baritone Thomas Dolé als Rodoald und Matthieu Lécroart als Ricimer. Das Orkester Nord spielt unter Martin Wåhlberg spannend und stilsicher, nicht zuletzt was die Blechbläser angeht auch kernig brillant (Château de Versailles Spectacles)


Der armenische Tenor Liparit Avetisyan gibt mit seinem Album „Beloved Arias“ eine schöne Visitenkarte ab, die großteils das Repertoire abbildet, das er auch auf internationalen Bühnen singt. Er beginnt mit Gaetano Donizetti («L’elisir d’amore», «Lucia di Lammermoor») und erweist sich als feiner Belcantist, bevor er mit Giuseppe Verdi («La traviata» und «Rigoletto») fortfährt und sowohl Alfredo wie den beiden Arien des Herzogs von Mantua in jedem Moment gerecht wird, als wäre es ein Livemitschnitt. Jeder Ton sitzt, jede Phrase ist ausdrucksvoll gestaltet, und auch in der Höhe kann Avetisyan mit feinem Vibrato überzeugen. Das italienische Repertoire wird abgerundet mit dem Rodolfo aus «La Bohème» bevor der Tenor auch mit Französischem überzeugen kann («Faust», «Manon») und sich schließlich bei Tschaikowskis «Eugen Onegin» und «Jolanta» als ebenso kompetent zeigt. Das Album schließt mit einem auftrumpfenden armenischen Volkslied von Sayat-Nova: „Qamancha“. Das Kaunas City Symphony Orchestra begleitet unter Leitung von Constantin Orbelian differenziert und klangschön. (Outhere)


Volume 2 des Brahms Songbooks von Sarah Connolly und Hanno Müller-Brachmann beginnt mit den Fünf Gesängen op. 72, ganz dem samtenen Mezzo gewidmet, mit Ausnahme des letzten Lieds, das unverkennbar ein satirisches Männer-Lied ist. Weiter geht es mit dem späten Op. 105, dessen fünf Lieder zu den bekanntesten von Brahms zählen wie „Immer leise wird mein Schlummer“ und „Auf dem Kirchhofe“ – dieses und das letzte, rätselhafte („Verrat“) wird von Brachmann dargeboten. Op. 43 wird ebenso paritätisch auf beide aufgeteilt wie das Op. 48, in dem das altertümlich skandierende „Vergangen ist mir Glück und Heil“ heraussticht, und die abschließenden, eher unbekannten Lieder und Gesänge Op. 57, endend mit dem strahlenden „Unbewegte laue Luft“. Connolly wie Brachmann, der manchmal allzu sehr auftrumpft, finden einen schönen Ausgleich zwischen präziser Wortausdeutung und melodischem Fluss und bleiben dabei (fast) immer liedhaft. Und dass Malcolm Martineau ein höchst sensibler Partner am Flügel ist, versteht sich beinahe von selbst. (Linn)