Bühne Burgäschi
Von Strauss zu Straus
Der Schweizer Familienbetrieb nahe Solothurn entdeckt in diesem Jahr die im deutschsprachigen Raum kaum gespielte Operette «Drei Walzer» von Oscar Straus
Albert Gier • 23. Juni 2025

Die Bühne Burgäschi im Schweizer Kanton Solothurn präsentiert seit 2009 jeweils im Juni/Juli eine Operettenproduktion auf einer Freilichtbühne in Oekingen, zunächst im Zweijahresrhythmus, mittlerweile jedes Jahr. Die Organisation liegt in den Händen eines Familienbetriebs: Intendant Hermann Gehrig (der bis vor wenigen Jahren in kleineren Rollen auch selbst mitspielte) wird unterstützt von seiner Tochter Melanie Gehrig Walthert als künstlerischer Leiterin, die in den letzten Jahren für Inszenierung, Bühne und Kostüme verantwortlich zeichnet (auch sie, ausgebildete Sängerin, stand schon mehrfach auf der Bühne) und seinem Schwiegersohn Reimar Walthert als musikalischem Leiter, der die Aufführungen dirigiert. Sänger und Orchestermusiker sind Profis.
Man fing mit oft gespielten Lieblingsstücken des Operettenpublikums an: 2009 «Gräfin Mariza», 2011 «Die lustige Witwe», 2013 «Die Fledermaus», 2014 «Frau Luna», 2015 «Der Vogelhändler». In den letzten Jahren interessierte sich Reimar Walthert besonders für vergessene Operetten der 1930er Jahre, auch und besonders für Werke im Deutschen Reich verfemter jüdischer Komponisten, von denen manche in der Schweiz uraufgeführt wurden: 2019 spielte man in Oekingen «Grüezi», eine Revueoperette mit Schweiz-Bezug, die Robert Stolz für das Schauspielhaus Zürich komponierte (UA 1934); 2021 gab es «Zur gold’nen Liebe» von Ralph Benatzky (UA Berlin 1931) als Schweizer Erstaufführung, genau wie im Jahr darauf «Roxy und ihr Wunderteam» von Paul Abraham (Uraufführung der ungarischen Fassung 1936, auf deutsch erstmals in Wien 1937).
«Drei Walzer» von Oscar Straus wurde am 5. Oktober 1935 im Zürcher Stadttheater uraufgeführt. Im Deutschen Reich, und nach dem sog. „Anschluss“ Österreichs 1938 auch dort, durfte das Werk eines jüdischen Komponisten nicht gespielt werden; 1952 gab es in Zürich noch einmal eine Neuinszenierung, seitdem wurde das deutsche Original nicht mehr aufgeführt. In Frankreich dagegen war und ist die Operette bis heute sehr beliebt: In Paris kam sie 1937 heraus, mit Yvonne Printemps (so etwas wie die französische Massary) in der Hauptrolle. Ihr Partner war Pierre Fresnay, ein Schauspieler, mit dem sie nach ihrer Scheidung von Sacha Guitry (1932) zusammenlebte; da Fresnays stimmliche Möglichkeiten begrenzt waren, wurde die Rolle der Diva auf seine Kosten bedeutend ausgeweitet.

Das Buch von Paul Knepler und Armin Robinson erzählt drei Geschichten, die 1865, 1900 und 1935 spielen: Im ersten Akt sind die Tänzerin Fanny Pichler und der Kavallerieoffizier Graf Rudolf Schwarzenegg die Protagonisten. Sie lieben einander, aber würde Schwarzenegg „eine vom Theater“ heiraten, müsste er als Offizier seinen Abschied nehmen. Fanny erkennt, dass ihm die Armee über alles geht, und trennt sich von ihm (sie nimmt ein Engagement nach Paris an). – 35 Jahre später lernt Rudolfs Sohn Otto, ein notorischer Schürzenjäger, Fannys Tochter Charlotte kennen, die als Operettensängerin große Erfolge feiert, und verliebt sich in sie. Seine Geliebte, die Baronin Liebinger, warnt die junge Frau: Otto könne nicht treu sein. Charlotte erkennt, dass sie recht hat: Sie wird ihren Bühnenpartner Jensen heiraten. – 1935 soll die unglückliche Liebesgeschichte von Fanny und Graf Rudolf verfilmt werden, für die weibliche Hauptrolle wurde Fannys Enkelin Franzi engagiert, ihr Partner soll (nicht bei Knepler und Robinson, aber bei der Bühne Burgäschi) Heinz Rühmann sein, der bekanntlich „die Herzen der stolzesten Frau’n“ bricht, aber er muss absagen, weil es ihm nicht gelingt, einen früher geschlossenen Vertrag aufzulösen. Rudolfs Enkel Ferdinand kommt ins Filmstudio, um gegen die Verwendung seines Familiennamens zu protestieren (natürlich muss Fanny im Film die sympathische Figur sein, obwohl Rudolf am Scheitern ihrer Beziehung nicht schuld ist); der Regisseur drängt ihn, die Rolle seines Großvaters zu übernehmen – eine echte Pichler und ein echter Schwarzenegg in den Hauptrollen, was für eine Reklame! Wenn der Nichtmehr-Graf seiner Partnerin ansichtig wird, ist er sofort einverstanden, und in der dritten Generation gelingt endlich das Happy End – natürlich auch, weil sich die Verhältnisse seit 1918 grundlegend geändert hatten.
Oscar Straus greift in den ersten beiden Akten auf Walzer von Johann Strauss Vater und Sohn zurück. Zwar war 1865 wohl nicht mehr der 1849 verstorbene Vater, sondern schon sein 1863 zum k.k. Hofballmusik-Direktor ernannter Sohn der „Walzerkönig“, aber den drei Generationen Pichler und Schwarzenegg drei Komponisten-Generationen gegenüberzustellen, ist ein sehr glücklicher Einfall.
Das Freilichttheater in Oekingen hat wenig mehr als 300 Plätze. «Drei Walzer» wird neunmal gespielt, man kann also immerhin mit bis zu 2700-2800 Zuschauern rechnen. Die Spielfläche ist nicht allzu groß, im Hintergrund deuten graue Vorhänge den Durchgang zu weiteren Räumen an; sie öffnen sich nie, aber dort ist z.B. das Séparée zu denken, in dem sich Charlotte mit Otto trifft. Auf die wechselnden Schauplätze verweisen wenige Möbelstücke (im ersten Akt ein Sessel für das Boudoir von Rudolfs Tante Katharina, die ihm gemeinsam mit seinem Onkel Franz seine Heiratspläne auszureden versucht). Eine Treppe links führt zu einer Dachterrasse; dort oben steht Rudolf, wenn er vom Fenster aus beobachtet, wie sein Regiment unten auf der Straße vorbeizieht. Die Kostüme passen zur zeitlichen Situierung der Episoden.
Die Aufmerksamkeit konzentriert sich auf die Hauptfiguren Fanny, Charlotte und Franzi bzw. Rudolf, Otto und Ferdinand. Der Star der Aufführung ist Patricia Zanella; der lyrische Koloratursopran bezaubert mit ihrer attraktiven, warmen Stimme und mit beeindruckender Bühnenpräsenz. Der Bariton Roger Bucher hat es neben ihr ein bisschen schwer: Weder als Rudolf, dem das Militär über alles geht, noch als (etwas affektierter) Frauenheld Otto ist seine Figur besonders sympathisch. Der Komponist hat ihn auch weniger großzügig mit attraktiven Melodien bedacht als seine Partnerin. Trotzdem macht Bucher seine Sache gut.

Eine einzige Figur tritt in allen drei Akten auf: Der Theateragent Johann Brunner (Fabio De Giacomi; im ersten Akt hat er ein hübsches Buffo-Duett mit dem Ballettmeister, Timothy Löw). Wenn er 1865 Fannys Engagement nach Paris vermittelt hat, muss er schon gut im Geschäft gewesen sein, er war also kaum jünger als dreißig – dann wäre er 1935 hundert! In der französischen Fassung (und auch bei Knepler und Robinson?) gibt es zwei Agenten Brunner, Vater und Sohn; wenn der Junior-Chef, der später die Agentur übernommen hat, 1865 vielleicht zwanzig war, wäre er 1935 neunzig, was immerhin möglich ist. Dazu passt, dass er im dritten Akt als hinfälliger alter Mann erscheint, der sich längst aus dem Geschäft zurückgezogen hat, aber für Franzi ein väterlicher Freund und Ratgeber ist und ihrer Verbindung mit Ferdinand quasi seinen Segen gibt. Über diese Figur den Bogen von der ersten zur letzten Episode zu schlagen, ist keine schlechte Idee.
Die übrigen, kleinen Rollen teilen sich sieben Sänger: Timothy Löw ist im ersten Akt der Ballettmeister, im zweiten Charlottes Bühnenpartner und künftiger Ehemann, im dritten der Darsteller des Ballettmeisters im Film. Wenn die Damen nicht singen, tanzen sie, in vielen Szenen sind Tänzerinnen (eine, oder mehrere) auf der Bühne: Fabienne Skorpetowski, im zweiten Akt die Soubrette in der Operette, die Charlotte Pichler einen großen Erfolg beschert hat, wiederholt für die Bewunderer, die den neuen Star beglückwünschen, ihre (sehr hübsche!) Nummer; im ersten und dritten Akt sieht man sie als Tänzerin Liesl. Auch Sandra Sieber, im zweiten Akt die eifersüchtige Geliebte Graf Ottos, Baronin Liebinger, tritt im ersten Akt als Tänzerin (und im dritten als Sekretärin) auf.
Oscar Straus hat rund fünfzig, meist abendfüllende Operetten komponiert (drei davon für Fritzi Massary). Bis auf den unvermeidlichen «Walzertraum» sind nur wenige davon in neuerer Zeit wieder aufgeführt worden: «Die lustigen Nibelungen», «Der tapfere Soldat», «Die Perlen der Kleopatra», «Eine Frau, die weiß, was sie will», «Das Walzerparadies» – und jetzt eben: «Drei Walzer». Unter den übrigen ist mit Sicherheit manches, was eine Wiederentdeckung lohnen würde.
«Drei Walzer» – Oscar Straus
Bühne Burgäschi · Freilichtbühne beim Hornusserhaus in Oekingen (CH)
Kritik der Premiere am 19. Juni
Termine: 25./27./28./29. Juni; 1. Juli