Bayerische Staatsoper
Proserpina gegen Don Giovanni
David Hermanns Inszenierung von Mozarts «Don Giovanni» läuft gegen den Text und die Musik, die erste Premiere der Münchner Opernfestspiele überzeugt aber sängerisch
Klaus Kalchschmid • 02. Juli 2025

Aus der kleinen Textzeile des Schluss-Sextetts „Es bleibe also jener Schurke bei Proserpina und Pluto“ wird David Hermanns zentraler Regieeinfall für Münchens neuen «Don Giovanni»: Pluto hatte einst Proserpina vergewaltigt und lässt sie nun einmal im Jahr aus der Unterwelt auf die Erde. Also schlüpft Proserpina (Tänzerin Erica D’Amico) mit ihrem roten Hosenanzug und einem blonden Zopf immer wieder in den Verführer, der dann ungläubig zuckt und an sein Geschlecht fasst, fortan aber sozusagen all seine (scheiternden) Verführungsversuche nicht als er selbst, sondern als von einer Frau Besessener verübt. Bedeutet das, dass er keine Verantwortung für seine Übergriffigkeit mehr trägt? Da Pluto für ihn die Ermordung des Komturs besorgt, trägt Giovanni auch daran keine Schuld. Aber was bringt dieser Regie-Einfall, wenn er nicht konsequent und originell weitergeführt wird, ein paar Zuckungen im Körper Giovanni/Proserpinas reichen da nicht. Auch Pluto (Tänzer Andrea Scarfi) wandelt durch die Szene, schlüpft gar in den Körper des toten Komturs, der am Anfang einen realistischen Notfalleinsatz bekommt, nachdem ihn Don Ottavio vergeblich wiederzubeleben suchte. Und warum trägt Giovanni ganz zum Schluss plötzlich ein weißes Shirt und weiße Boxershorts?
Jedenfalls ist dieses dominierende Rot unter dem Bordeaux des Mantels von Giovanni und (manchmal) auch seiner Hosen ein schöner Kontrast zum schmucken Sichtbeton des Bühnenbilds, das dank raffinierter Klappmechanismen, Hänger und beweglicher Objekte mit Balkonen, etwa für eines der drei Orchester auf der Bühne, vom Schlafzimmer mit Doppelbett und Stehlampe zum mit Wartenummernanzeige und entsprechenden Schreibtischen ausgestattetem Standesamt wird. Hier lässt Leporello das Register als Nummern aus der entsprechenden Maschine, hier heiraten Zerlina und Masetto, hier pocht Elvira unermüdlich auf ihrem Ehevertrag.

Wahlweise befinden wir uns in einem Gerichtssaal oder am Ende in einem Esszimmer (Bühne: Jo Schramm). Aber Giovanni fährt auch buchstäblich in die Hölle, die effektvoll aus der Unterbühne vulkanische Flammen schießen lässt. Überhaupt ist die so virtuos wandelbare Bühne der Clou der Aufführung. Für die Hochzeitsszene stattet Sibylle Wallum die Feiernden bunt, üppig und grell wie Fastnachtsfiguren aus, von denen vier überflüssigerweise auch den überladenen Tisch bei Giovannis letztem Abendmahl bewachen, die Hauptfiguren tragen zeitgenössischen Chic.
Und es gibt die musikalische Seite: Kein Wunder, dass Konstantin Krimmel dann am meisten überzeugt, wenn er sein kaum begleitetes wunderbares Ständchen wie ein feines Kunstlied singt und sanfte, einschmeichelnde Töne produziert, die sonst nicht seine Sache sein dürfen. So wenig er auftrumpfen will oder kann, so fein parliert er. Er entbehrt freilich ganz der Dämonie, wenn auch nicht der Erotik, was nicht nur der Regie, sondern vor allem seinem schönen, lyrischen Bariton geschuldet ist, der dennoch die Champagnerarie „Fin ch’han dal vino“ mit Verve und fein moussieren lässt. Fast stiehlt dem 32-Jährigen, was dramatische Durchschlagskraft angeht, allerdings Kyle Ketelsen als Leporello mit kernig strahlendem Bassbariton und schauspielerisch immer präsent die Show, macht den Diener da zum Herrn, der er immer sein will.
Auch die Frauen im Zentrum sind gut besetzt: mit Vera-Lotte Boecker als leidenschaftliche, tief verletzte Donna Anna, die sich hier voll auf Giovanni eingelassen hat und der keineswegs inkognito unerkannt bei ihr weilt, sondern den sie nicht gehen lassen will. Das widerspricht Text und Musik, ist aber mittlerweile Standard. Fast so scharf leuchtet sie wie die etwas dunklere, noch emphatischere Donna Elvira von Samantha Hankey, unerbittlich in ihrer Liebe zu und Abhängigkeit von Giovanni, die bereit ist, ihm alles zu verzeihen. Schön, dass sie deshalb ihre zweite Arie („Mi tradi quell’alma ingrata“) aus der Wiener Fassung singen darf wie leider Don Ottavio auf „Dalla sua pace“ verzichten muss, aber sein „Il mio tesoro“ ausnehmend schön mit Grandezza und Feinschliff zu singen weiß und keineswegs eine blasse Figur bleibt.

Auch der Masetto von Michael Mofidian vermittelt seinen vergeblichen Zorn mit enormer Attacke und ist auch sonst eine ernstzunehmende Persönlichkeit. Wie Zerlina, die die Mezzosopranistin Avery Amereau selbstbewusst und mit schon großem, aber immer noch lyrischem Ton singt und spielt. Last but not least Christof Fischesser verbreitet als Komtur durchaus einschüchternde, nie forcierte Bass-Gewalt.
Vladimir Jurowski bietet einen oft gemessenen, selten geschärften, runden Mozart-Ton, der zwischen Originalklang und großer romantischer Geste vermitteln will, was nicht immer gelingt. Mehr vom Geist der Improvisationen zwischen den einzelnen Bildern, die auch Julian Perkins am Hammerklavier hier und in den Rezitativen (zusammen mit Cellistin Anja Fabricius) hervorragend plastisch begleitet, wäre da schön gewesen und hätte dem Orchester mehr Spannkraft und Lebendigkeit verliehen.
«Don Giovanni» – Wolfgang A. Mozart
Münchner Osterfestspiele / Bayerische Staatsoper · Nationaltheater
Kritik der Aufführung am 30. Juni
Termine: 4./6./8. Juli 2025