Kissinger Sommer
Mit einem Schluck Geschichte
Von mineralreichen Quellen bis zu klangvollen Konzerten – Bad Kissingen bietet weit mehr als nur eine Kur. Das traditionsreiche Heilbad in der Rhön vereint Weltkulturerbe, das Musikfestival Kissinger Sommer und eine Genussregion zu einem charmanten Erlebnis
Susanne Dressler • 17. Juli 2025

Die Dame ist energisch. „Welches Wasser möchten Sie?“ – Keine Ahnung, schließlich ist es der erste Besuch in Bad Kissingen und der erste Kontakt mit dem Heilwasser. Die Brunnenfrau ist die Fachkraft für die Ausgabe des Heilwassers und rät der Novizin auf diesem Gebiet zu einem Glas aus der Luitpoldquelle als Einstieg. Schon sprudelt das Wasser aus einer Zapfsäule, tief aus dem Gestein, und wird in einem schlichten Glas gereicht. Bad Kissingen verfügt über sieben Heilquellen: die Rakoczy-Quelle, die Pandur-Quelle, der Luitpoldsprudel, der Maxbrunnen, die Regentorquelle, der Schönbornsprudel und die Thérèse-Quelle. Während eines Aufenthalts in dem fränkischen Kurort, der seit 2021 als Teil der „Great Spa Towns of Europe“ zum UNESCO-Welterbe zählt, sollte jeder Kurgast das passende Heilwasser finden. Das Wasser der Luitpoldquelle schmeckt schal, mit einem leicht metallischen Ton.
Wandeln auf historischen Spuren
Mit dem Glas in der Hand flaniert man durch die Wandelhalle. Genauso bewegten sich einst auch Kaiserin Elisabeth von Österreich, Fürst Bismarck, Prinzen, Könige, der Zar und der halbe europäische Hochadel durch die Hallen, um sich ihre Kur zu gönnen. Im Jahr 1905 – Bad Kissingen war zu dieser Zeit einer der renommiertesten Kurorte Europas – plante Prinzregent Luitpold von Bayern den Ersatz des offenen Wandelgangs durch eine moderne, wetterfeste Version: elegant, fortschrittlich, repräsentativ. Wenige Jahre später wurden die Mittel freigegeben, und der innovativste Architekt der Zeit, Max Littmann, realisierte die Wandelhalle in nur wenigen Monaten. Konzipiert als dreischiffige Basilika mit einer Länge von 90 Metern und einer Fläche von etwa dreitausend Quadratmetern, gebaut in Stahlbeton, die Stützsäulen der Arkadenzonen mit braungrünen Fliesen von Villeroy und Boch verkleidet – bis heute ein monumentales Statement der Bäderarchitektur. Ein besonderes Highlight ist die elektrisch drehbare Konzertmuschel: Bei Sonnenschein wird die Bühne mit dem Orchester Richtung Kurgarten gedreht.
Das Glas ist geleert und bei der Brunnenfrau abgeliefert. Täglich kann man zwischen sieben und neun Uhr in der Früh Heilwasser genießen – das war auch vor Jahrhunderten so. Wichtig: Frühstück gibt es erst danach. Da die Hotels im 19. Jahrhundert kaum Frühstück anboten, verkauften heimische Bäcker im Kurgarten das sogenannte „Kissinger“: ein Butter-Plundergebäck in Hörnchenform, gefüllt mit Marmelade oder Schokolade. In einer von Etikette geprägten Zeit war es für Kurgäste ein besonderes Vergnügen, das Gebäck im Freien verzehren zu dürfen.
Musik als Motor

Das knapp über 20.000 Einwohner zählende Städtchen nahe dem Wandergebiet Rhön – einem Mittelgebirge mit sanften Hügeln, dunklen Mooren und urigen Wäldern rund um die Wasserkuppe – lebt von und mit seinen Kurgästen. Cafés und Boutiquen in der Fußgängerzone bieten Zerstreuung nach den Anwendungen in den Rehas. Seit über 700 Jahren blieb die Stadt von kriegerischen Zerstörungen verschont – das spiegelt sich im Stadtbild wider: ehemalige Grandhotels (heute Reha-Kliniken), prachtvolle Bürgerhäuser, Fachwerkbauten, klassizistische Villen an der fränkischen Saale, ein großzügiger Rosengarten mit einer eindrucksvollen Fontäne und der elegante Regentenbau prägen das Stadtbild. Ein kleiner elektrischer Zug, das „Bähnli“, schlängelt sich durch die Altstadt bis zum Luitpoldpark. Über Lautsprecher wird die Geschichte des Kurorts erzählt – und auch die Erwähnung des Festivals Kissinger Sommer darf dabei nicht fehlen: Ein renommiertes Klassikfestival, das seit fast 40 Jahren Künstler und Publikum aus ganz Europa anzieht.
Elitär war früher, heute setzt man auf diverse Formate, um unterschiedliche Zielgruppen anzulocken. Intendant Alexander Steinbeis: „Ein Drittel unserer Besucher kommt aus der Region – Würzburg, Fulda, Bamberg, Frankfurt –, ein weiteres Drittel reist ausschließlich wegen des Festivals an, und das letzte Drittel sind Kurgäste.“ Und weiter: „Wir bieten zum Beispiel Formate, die junge Menschen ansprechen – etwa unseren Samstagnacht-Rave – und entwickeln niederschwellige Outdoor-Projekte. Ich bemühe mich, Barrieren abzubauen.“ Steinbeis wurde in seiner Funktion für vier weitere Jahre bestätigt. In Bad Kissingen ist er beliebt – präsent und nahbar. „Ja, gerade ist viel los“, lächelt er, „aber das gehört dazu: Sponsoren begrüßen, Empfänge besuchen.“
Regionale Unterstützung ist ein wichtiger Pfeiler des Festivals. Manche richten Empfänge in Vinotheken aus – wie nach der Aufführung „Karneval der Tiere einmal anders“ mit Birgit Minichmayr, dem Aurora Orchestra und Chris Akrill. Andere investieren in das Projekt Liederwerkstatt: Das Unternehmerpaar Katharina und Anton Schick – leidenschaftliche Kunstsammler – sponsert es seit vielen Jahren. Hier erarbeiten renommierte Liedsänger mit Pianisten Werke zeitgenössischer Komponisten – und geben dem Publikum in Künstlergesprächen Einblick in die Entstehung, die kreative Auseinandersetzung. „Ohne sie wären wir nicht da“, bedanken sich die Sänger beim legeren Abendessen mit dem Sponsoren-Ehepaar. Alexander Steinbeis, der lange in den USA arbeitete, kennt dieses Prinzip bestens: Dort finanziert sich Kultur fast ausschließlich über wohlhabende Privatpersonen. „Wir haben hier das Glück, dass auch die öffentliche Hand Kultur fördert.“
Das Motto des diesjährigen Festivals lautet „Je ne regrette rien“. „Zwischen Bad Kissingen und Frankreich gibt es starke Verbindungen, der Kurort war für Franzosen sehr anziehend“, betont Steinbeis. Fast fünf Sommerwochen lang gastiert Frankreich 2025 also in Franken und hochkarätige Orchester, Ensembles, renommierte Dirigenten, Sänger und Kammermusiker interpretieren französische und deutsche Musikliteratur. Und als Referenz an das Festival tönt aus der Fontäne im Rosengarten Edith Piaf.
Hörvergnügen in Genussregion

Der größte Konzertsaal des Festivals ist der prächtige Max-Littmann-Saal im Regentenbau – einer der akustisch besten Konzertsäle Europas. Seine elegante Kirschholzvertäfelung, feine Ebenholz-Intarsien und eine kassettierte Fichtenholzdecke machen ihn sowohl optisch als auch klanglich herausragend. Bauherr war wiederum Prinzregent Luitpold von Bayern, Onkel König Ludwigs II. Beim Konzert der Tschechischen Philharmonie unter Tomáš Netopil ist der Saal gut besucht. Viele Gäste kommen mit Rollatoren – „Wiederholungstäter“, die nicht nur zur Kur, sondern auch der Musik wegen nach Kissingen reisen. In seiner Begrüßung verweist Steinbeis auf den aktiven Förderverein – und viele Besucher melden sich spontan zur Mitgliedschaft an. Schatzmeisterin Martha Müller ist stolz: Mit dem jährlich verliehenen Luitpoldpreis wurden einst junge Talente wie Igor Levit, Mojca Erdmann und Nikolai Znaider gefördert – sie alle haben heute Weltkarriere gemacht.
Nach dem Konzert entspannt man idealerweise mit einem Drink in der Schmucklounge – einem Renaissance-inspirierten Innenhof im Regentenbau – und genießt dezente Musik. Übrigens: Genuss wird hier großgeschrieben. Ein Besuch im Wirtshaus Bratwurstglöckle lohnt sich. Spezialität sind fränkische Würste, wie der Name des Restaurants unschwer verrät. Und wo Heilquellen sprudeln, wächst oft auch Wein: Das Fränkische Weinland rund um Kissingen bietet edle Tropfen aus Silvaner, Bacchus, Müller-Thurgau oder Spätburgunder.
2026 feiert der Kissinger Sommer 2026 sein 40-jähriges Jubiläum – und startet mit einem festlichen Eröffnungskonzert am Freitag, dem 19. Juni 2026, mit dem Münchner Rundfunkorchester. Das Festival bietet einen Monat lang eine reiche Palette an Veranstaltungen – der Besuch lohnt sich.
Kissinger Sommer
www.kissingersommer.de