Salzburger Festspiele

Vom Abschiednehmen

Peter Sellars sorgt mit dem Pasticcio-Abend „One Morning turns into an Eternity“ für eine Begegnung von Gustav Mahler und Arnold Schönberg in der Felsenreitschule

Joachim Lange • 04. August 2025

Ausrine Stundyte macht aus Schönbergs «Erwartung» ein packendes Kammerspiel © SF / Ruth Walz

Bei Peter Sellars hält das, was er macht, nicht immer Schritt mit dem durch die Salzburger Festspiele aufpolierten Ruf, stets etwas besonders Geistvolles, Nachdenkenswertes, Ergreifendes zu inszenieren oder auch „nur“ zu zelebrieren. Bei der jüngsten Festivalausgabe in Aix-en-Provence enttäuschte Sellars kürzlich mit einer Performance-Behauptung, die das Besondere und Ferne südindischer Musik zu einer Vorlage für angedeutete ritualisierte Arrangements verengte. Von seinen Arbeiten in Salzburg sind einige, wie etwa die Uraufführung von Kaija Saariahos «L’Amour de loin» dennoch im Gedächtnis geblieben. Bei den Festspielen im vergangenen Jahr belegte die eher harmlose Opulenz, mit der er sich Prokofjews «Spieler» vornahm, seinen intuitiven Zugang zu den Chancen der Felsenreitschule als besonderer Bühne. Dieses Festspielhaus könnte man ja sowieso trotz ihrer martialischen Anmutung, in Korrespondenz mit dem Haus für Mozart getrost auch Haus für die Moderne nennen.

Dieses Feeling hatte Sellars auch für die durchaus ambitionierte, zweite Musiktheater-Produktion der aktuellen Festspiele. Er hat dafür unter dem Titel „One Morning Turns Into An Eternity“ Kompositionen von Arnold Schönberg, Anton Webern und Gustav Mahler zu einem pausenlosen Abend für eine szenische Aktion zusammengefügt. Der Titel ist die englische Übersetzung einer Gedichtzeile des Chinesen Wang Wei, bei der freilich auch die deutsche Übersetzung „Ein Morgen wandelt sich in Ewigkeit“ ihren poetischen Reiz gehabt hätte.

Den Auftakt bildet Schönbergs Monodram «Erwartung», in einem Akt für Sopran und Orchester, das 1909 zu einem Libretto der Wiener Dichterin und Ärztin Marie Pappenheim entstand und 1924 uraufgeführt wurde. Die etwa zeitgleich (1911-1913) entstandenen und 1926 uraufgeführten „Fünf Stücke für Orchester op. 10“ von Webern werden zum verbindenden Mittelteil. „Der Abschied“ aus Mahlers 1908 entstandenem und 1911 uraufgeführtem Zyklus «Das Lied von der Erde» ist der in der Spätromantik verwurzelte, als Vorgänger erkennbare zweite Teil dieses Rückblicks auf die musikalischen Aufbrüche der ersten beiden Jahrzehnte des vorigen Jahrhunderts. Wobei die Uraufführung des Mahler-Zyklus in dem von gesundheitlichen, persönlichen und beruflichen Tiefschlägen gekennzeichneten Todesjahr des Komponisten gerade diesem Abschied eine besondere Authentizität zuschreibt.

Die Begegnung von Schönberg und Mahler ist die zentrale musikalische Idee für diese Zusammenstellung, die tatsächlich die Gestalt einer szenischen Aktion annimmt. Dafür spricht nicht nur die zeitliche Nähe ihrer Entstehung, sondern auch, dass sich Gustav Mahler und Arnold Schönberg persönlich gegenseitig respektierten und bewunderten. Mahler als der einflussreiche Protagonist der Spätromantik, der seinem symphonischen Werk zwar keine Oper, aber ein Ausnahmewerk wie das grandiose «Lied von der Erde» hinzufügte. Dazu mit Schönberg der Exponent einer in die Zukunft weisenden Moderne, der Mahler hinter sich lässt, gleichwohl aber unverkennbar von ihm profitierte.

Dass beide trotz der formalen Selbstbeschränkung aufs Grundsätzliche hinauswollten, war sicher ein besonderer Reiz für Sellars, der bekanntlich für alles Spirituelle, Meditierende und jede Dimension jenseits des Greifbaren eine Schwäche hat. Es geht ums Abschiednehmen und um das Annehmen eines Abschiedes.

Fleur Barron wartet als Frau in Mahlers „Abschied“ auf einen Freund, um für immer Lebewohl zu sagen © SF / Ruth Walz

Auch wenn hier szenisch eher das atmosphärisch Stilisierte dominiert, hat die Felsenreitschule mit den sichtbaren Arkaden und dem, was Sellars‘ Dauerbühnenbildner George Tsypin instinktsicher hinzugefügt hat, einen ganz eigenen Reiz. So, wie Esa-Pekka Salonen mit den Wiener Philharmonikern den Raum samt des in der Felsenhöhe postierten Soloflötisten Karlheinz Schütz mit einem verstörend aufwühlenden und dann doch sogar melodisch einschmiegsamen Klang akustisch ausfüllt, so gelingt das auch Tsypin mit seinem stilisierten, metaphorischen Wald aus neun Stämmen auch optisch. Diese aufragende Installation nimmt den rechten Teil der Bühne ein. Einige Felsbrocken und ein mit Stacheldraht eingezäuntes Areal auf der linken Seite deuten auf ein Reich zwischen Traum und Natur. Wobei auch das Licht von James F. Ingalls mit Schattenwürfen oder abrupten Stimmungswechseln dazu beiträgt, die Magie des Raumes zu erschließen.

Zentral für die Wirkung dieser Produktion sind neben dem Orchester die beiden Interpretinnen. Die litauische Sopranistin Ausrine Stundyte macht mit dramatischer Expressivität und ihrer Erfahrung mit den exponierten Richard Strauss-Partien, für die sie gerühmt wird, aus Schönbergs «Erwartung» ein packendes Kammerspiel. Dass zwei Statisten in Arbeits-Overalls, wie aus einer anderen Welt, einen Leichensack zu ihren Füßen ablegen, wäre da fast verzichtbar gewesen, wird aber zum Ausgangspunkt eines beeindruckenden Ringens mit sich selbst und der Erinnerung an eine Beziehung, die zu Ende ist. Es bleibt auch der einzige Verweis zu dem, was Sellars im Programmheft über Widerstand, Verfolgung und Untergrund in einem totalitären System zu dieser Musik schreibt. Auf der Bühne ist Stundyte wie unter Hochspannung eruptiv hin- und hergerissen, ob sie noch an die Rückkehr ihres verschwundenen Mannes glauben oder wütend auf seine vermeintliche Untreue sein soll. Einen Blick in den Leichensack, der ihr vielleicht Klarheit brächte, blendet sie aus. Stattdessen streift sie durch den Wald, denkt über sich und ihn nach, trauert dem nicht gelebten Leben nach.

Im „Abschied“ dann wartet eine Frau auf einen Freund, um von ihm Abschied für immer zu nehmen. „Ich stehe hier und harre meines Freundes; ich harre sein zum letzten Lebewohl“ heißt es. Um eine Urlaubsbekanntschaft geht es jedenfalls nicht dabei. Diese Partie hat kurzfristig die Altistin Fleur Barron übernommen und sich imponierend anverwandelt. Sie handelt vom großen, grundsätzlichen Abschiednehmen. Auch wenn der Eindruck von Schönbergs Musik, dank Esa-Pekka Salonen und den Wiener Philharmonikern und ihrer Präzision, stärker ist, gehört dieses Musiktheater-Experiment zu den gelungeneren Arbeiten von Peter Sellars für die Festspiele. Der Beifall in der gut besuchten Felsenreitschule würdigte das angemessen.


„One Morning Turns Into An Eternity“
Salzburger Festspiele · Felsenreitschule

Pasticcio mit Musik von Arnold Schönberg, Anton Webern und Gustav Mahler

Kritik der Aufführung am 2. August
Termine: 10./15./18. August