Schubertiade Schwarzenberg / Hohenems

Lieder-Idyll in Vorarlberg

Krimmel, Bushakevitz, Grahl, Heide, Rennert, Meyer und mehr: Die 50. Ausgabe der Schubertiade bietet Liedkunst und Kammermusik auf Weltklasseniveau

Werner Kopfmüller • 30. August 2025


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Ein Horn-Duett fordert das Publikum vor dem Angelika-Kauffmann-Saal auf, seine Plätze einzunehmen © Schubertiade Schwarzenberg

Tönt draußen das Horn, geht’s drinnen weiter. Ja, tatsächlich: Auch bei der Schubertiade, die in diesem Jahr zum 50. Mal stattfindet, gibt es eine Pausenmusik wie in Bayreuth. Zwei Damen in adretter Tracht intonieren ein Schubert‘sches Horn-Duett, das dem Publikum signalisiert, sich wieder einwärts zu begeben und auf seinen Plätzen einzufinden. 

Die Festspiele auf dem Grünen Hügel mit den Schubertiaden in Vorarlberg zu vergleichen, ist gar nicht einmal so abwegig. Schließlich plante der Gründungsvater Hermann Prey eine Art „Bayreuth für Schubert“, als er das Festival 1976 ins Leben rief. Das ambitionierte Vorhaben des Star-Baritons: Sämtliche Werke Franz Schuberts (und zwar nur diese) sollten in chronologischer Reihenfolge ihres Entstehens zur Aufführung gebracht werden. 

Es wurde dann doch etwas anders, Prey verabschiedete sich bald ob der Unrealisierbarkeit seines Projekts, die künstlerische Leitung übernahm Gerd Nachbauer, der zuvor bereits als Geschäftsführer mit dabei war.  Nachbauer, gebürtiger Hohenemser, Jahrgang 1951, hat die Schubertiade zu einem Mekka der Liedkunst gemacht und nebenbei bis heute auf solide, privat finanzierte Füße gestellt.  Busladungen von französischen, niederländischen und britischen Liedfans, überwiegend im Pensionärsalter, pilgern alljährlich nach Hohenems im mittleren Rheintal oder zur Dependance nach Schwarzenberg, einem idyllischen 2000-Seelen-Dorf im nahen Bregenzerwald.

Alle Großen haben hier gern und oft gesungen: Fischer-Dieskau, Elisabeth Schwarzkopf, Christa Ludwig, Peter Schreier. Und auch deren (Enkel-)Schüler und Erben zieht es in den Festivalperioden zwischen April und Oktober an die beiden Spielstätten, wo sie geradezu ideale akustische Bedingungen für die hohe Liedkunst vorfinden. Der Angelika-Kauffmann-Saal, umgebaut zuletzt 2001, mit hellem Tannen- und Buchenholz der Region, zeigt die Architektur, für die der Bregenzerwald überregional bekannt ist: eine aufs Wesentliche reduzierte, aber einladende, warme Moderne, die sich traditionsbewusst mit der herrlichen Landschaft verbindet. 600 Plätze umfasst er, auf allen davon hört man exzellent. Ebenso phänomenal wie die Akustik ist hier das Panorama ringsum: Der Blick durch die Fenster fällt auf sattgrüne Wiesen und bewaldete Berge. 

Und doch ist alle Aufmerksamkeit zur Bühne hin gerichtet, wenn Patrick Grahl sich an einem schönen Augustnachmittag mit einem klug kuratierten Rezital vorstellt. Wobei der Leipziger Tenor längst Dauergast bei der Schubertiade ist.  Aber ein „Best of Mendelssohn“ im Gepäck zu haben, macht sich immer gut. Grahl eröffnet den Reigen mit so beliebten Heine-Vertonungen wie „Auf Flügeln des Gesanges“, „Morgengruß“ und „Neue Liebe“ – Lieder also, die vom Interpreten den Balanceakt zwischen kunstvoll konstruierter Einfachheit und spitzfindiger Emotion abverlangen. Weil zu viel des Gestaltens schnell ins Gekünstelte, Affektierte kippen kann. Grahl, im schicken Frack, gelingt das fabelhaft. Seinen knabenhellen Tenor lässt er wohldosiert strömen, gegebenenfalls sachte aufblühen. Wodurch auch die Auswahl der Schubert-Lieder, auf Gedichte von Johann Gabriel Seidl, nie in den Gestus der Biedermeier-Behaglichkeit verfällt. Eine charmante Entdeckung sind fünf ausgewählte Lieder aus dem Zyklus „Die Heimkehr“ von Johann Vesque von Püttlingen (1803-1883). Ob der österreichische Liedkomponist, der in seinem Wiener Salon Umgang mit den Komponistengrößen seiner Zeit pflegte, heute zurecht vergessen ist, darf nach Grahls Darbietung zumindest angezweifelt werden. Wie er den „deutschen Professor“ als Hegel-Karikatur aufs Korn nimmt, und Daniel Heide dazu am Klavier zu einer schulmeisterlichen Fuge ansetzt, ist ein geistreicher musikalischer Spaß auf Heines Verse.

Sophie Rennert und Ludwig Mittelhammer zeichneten ein verschmitztes Bild des kecken Begehrens und der koketten (Schein-)Ablehnung © Schubertiade Schwarzenberg

Vielleicht das Wundervollste, was vom Ironiker Heine je in Töne gesetzt wurde, ist die «Dichterliebe» von Robert Schumann. Grahl legt die 16 Miniaturen im Grundton bitteren Liebeswehs an. Da blickt einer desillusioniert und bereits eine Spur distanziert auf die Zeit mit der Verflossenen zurück. Nur momentweise lässt Grahl Gefühlsaufwallungen von Eifersucht, Zorn, Gehässigkeit durchbrechen und gleich wieder verdampfen. Und gönnt dem Lyrischen Ich gegen Ende, in „Allnächtlich im Traume“, sogar ein letztes Flackern von Hoffnung.

Dass es keine „Inszenierung“ braucht, um bei einem Liederabend so etwas wie szenischen Esprit herzustellen, zeigen die fantastische Sophie Rennert und Ludwig Mittelhammer anhand von ausgewählten Schumann-Duetten. Nachdem der drängende junge Bursche sein Ständchen gesungen hat, kommt es zum unvermeidlichen Dialog zwischen dem werbenden Jüngling und der angebeteten Dame. Entflammt steht und girrt er „Unterm Fenster“ (op. 34 Nr. 3), entrüstet lehnt sie sein Begehren ab. Mimisch, gestisch und stimmlich entsteht hier ein verschmitztes Bild des kecken Begehrens und der koketten (Schein-)Ablehnung. Rennerts melancholisch umwölkter Mezzo und Mittelhammers markanter Bariton haben, von Joseph Middleton am Klavier klangvoll ermutigt, die (von beiden) ersehnte Vereinigung längst vollzogen, noch bevor die Musik ihr Ja-Wort gibt.

Zum kleineren Teil findet sich bei den Schubertiaden auch Klavier- und Kammermusik im Programm. Aufstrebende Nachwuchs-Ensembles sind hier ebenso zu erleben wie international etablierte Künstlerinnen und Künstler. Sabine Meyer, die im November dieses Jahres ihre Karriere beenden wird, spielt bei der Schubertiade zum Abschied noch einmal die großen Klarinettenquintette von Mozart bis Reger – und zündet mit dem Schumann Quartett ein regelrechtes Pointen-Feuerwerk in Webers B-Dur-Quintett op. 34. 

Die Helden der diesjährigen Schwarzenberger August-Schubertiade sind zweifelsohne Konstantin Krimmel und Ammiel Bushakevitz. In einer Woche bringt dieses Lied-Duo alle drei großen Schubert-Zyklen zum Klingen – ein Marathon, den sie sich da zumuten, für den ihnen Nachbauer aber auch sein Vertrauen schenkt. 

Intensiv und ungemein eindringlich gestalteten Konstantin Krimmel und Ammiel Bushakevitz in diesem Jahr alle drei großen Schubert-Zyklen © Schubertiade Schwarzenberg

Längst hat sich Krimmel mit seinem opulent-geschmeidigen Bariton in die Herzen des Schubertiade-Publikums gesungen. Nicht, weil ihm sein wunderschönes Stimmmaterial Selbstzweck wäre, sondern weil er sein immenses technisches Können stets kompromisslos in den Dienst von Sprache und Ausdruck stellt – und dabei Freiraum lässt für einen aus dem Moment gezeugten, kreativen Umgang mit Schuberts Kantilenen. Das macht die Abende mit Krimmel so fesselnd, so intensiv, so ungemein eindringlich. In der «Schönen Müllerin» gestattet sich Krimmel kleine Auszierungen der Melodielinie, ganz im Sinne historischer Gesangspraxis und freilich eingebunden in ein stimmiges dramaturgisches Konzept: Die Entwicklung vom urwüchsigen, euphorischen Müllersburschen zum zynisch-verzweifelten Selbstmord-Kandidaten wird hier beklemmend glaubhaft vollzogen, am Klavier kongenial ge- und unterstützt von Bushakevitz. Da meint man in „Die liebe Farbe“ bereits das Totenglöcklein läuten zu hören. Umso schmerzlicher berührt danach der letzte Anflug von Lebenskraft, wenn die „Trocknen Blumen“ im Dur-Mittelteil förmlich aufzuquellen scheinen. Ein Liedrezital der Extra-Klasse. 

Zur Sternstunde gerät drei Tage später «Die Winterreise». Eine Tour de Force, für Interpreten und Publikum gleichermaßen, bei der man jedes von Krimmel ausgesungene, herausgeschriene Wort sofort glauben will, ja muss. Wozu seine Bühnenerscheinung unmittelbar beiträgt. Mit Vollbart, wilder Mähne und starrem Blick ist Krimmel der Schmerzensmann in einer für ihn perspektivlos gewordenen Welt – mal apathisch, mal jäh vom Zorn durchglüht, immer mit Hang zum Philosophischen: „Unsere Freuden, unsere Leiden / Alles eines Irrlichts Spiel“ heißt es in einer Strophe. Bushakevitz umrahmt das am Klavier maximal plastisch: Vom knochentrocken in die Tasten gestanzten Akkordwerk bis hinein in die surrealen Klanggespinste der „Krähe“. 

Da fühlt sich auch der Mensch der Gegenwart in seiner emotionalen Wirklichkeit gepackt, ganz ohne Attitüde, dafür mit unverstellter Wahrhaftigkeit. Und gerade das ist große Kunst. So gehört, steht es überhaupt nicht schlecht um die Zukunft des Liedes. 


Schubertiade Schwarzenberg / Hohenems 
Angelika-Kauffmann-Saal (Schwarzenberg)

Kritik aus dem Zeitraum 25. bis 27. August

Die nächste Konzertserie der Schubertiade findet vom 1. bis 5. Oktober im Hohenemser Markus-Sittikus-Saal statt.

Die Konzerte der Schubertiade werden regelmäßig von Radiostationen ausgestrahlt. Das in dieser Rezension besprochene Kammerkonzert von Sabine Meyer und dem Schumann Quartett wird am 9. September und einer der Liederabende von Konstantin Krimmel und Ammiel Bushakevitz am 24. September in Radio Ö1 ausgestrahlt (jeweils um 14:05 Uhr). Weitere Sendetermine finden Sie auf der Schubertiade-Homepage www.schubertiade.at.