Johann Strauss 2015 Wien
Wenn der Blender einfährt
Johnny Bertl verwurstete Melodien von Johann Strauss zum Musical «Cagliostro», für das ein Zelt des Circus Roncalli aufwändig auf den Wiener Heumarkt gestellt und mit Akrobaten garniert wurde
Stephan Burianek • 11. September 2025

Trickreiche Blender sind so alt wie die Menschheit. Nicht immer wird man ihnen habhaft und nicht immer werden sie von Gerichten verurteilt – der Wiener Schuldspruch über einen prominenten Ex-Politiker in diesem Jahr wirkte eher wie eine Ausnahme. Die Faszination, die solche Figuren auf einen großen Teil der Gesellschaft ausüben, spiegelte sich in einer jahrelangen Berichterstattung und in medialen Kommentaren, die kurioserweise zu einer Strafmilderung führten, aber das ist eine andere Geschichte.
Giuseppe Balsamo war im 18. Jahrhundert weder Finanzminister, noch wuchs er in wohlhabenden Verhältnissen auf, und doch verschaffte er sich als selbsternannter Heiler und Magier als „Alessandro Graf von Cagliostro“ Zugang zu den höchsten Kreisen. Auch er ging zu weit, auch er musste ins Gefängnis – und blieb offenbar nachhaltig im kollektiven Gedächtnis, denn ziemlich genau 80 Jahre nach seinem Tod wählte Johann Strauss ihn zur Titelfigur seiner Operette «Cagliostro in Wien».
Im aktuellen Strauss-Jahr blieb von dieser mittlerweile vergessenen Operette wenig übrig. Statt auf eine Ausgrabung setzt man im aktuellen Strauss-Jahr auf ein möglichst breitenwirksames Recycling der Strauss’schen Melodien. Der vielfältige Wiener Musiker Johnny Bertl goss sie in ein völlig neues Libretto von Thomas Brezina, dessen Handlung ein wenig an die Kindergeschichten der Knickerbocker-Bande und weiterer Abenteuerserien erinnert, für die Brezina über mehrere Kindergenerationen hinweg zum internationalen (und vor allem österreichischen) Superhelden wurde.
Bei Brezina plant Madame Sophie, ihren seit Generationen familiengeführten Zirkus zu verkaufen. Ihr Sohn Severin ist außer sich, ist doch der Zirkus sein ganzes Leben. Gespielt wird stilecht in einem echten Zirkuszelt, das dem Johann-Strauss-Jahr vom Leiter des Circus Roncalli, Bernhard Paul, zum Selbstkostenpreis zur Verfügung gestellt wurde, wie Paul in einer launigen Ansprache wissen ließ. Er erwähnte auch seinen Urgroßvater Josef Wayl, einer der Librettisten von Johann Strauss, und einen Taktstock des Walzerkönigs, mit dem er als Kind gespielt hat. Weil auf dem Heumarkt zwischen Konzerthaus und Intercontinental Hotel im Winter eisgelaufen wird, durfte auf der Fläche kein einziger Anker eingeschlagen werden. Stattdessen dienen dem Zelt nun 700 Tonnen Betonplatten als Gegengewichte. Der Aufwand für dieses Projekt war dementsprechend enorm.

Jedenfalls taucht bei Brezina der berühmte Influencer Cagliostro auf. Er gibt vor, alte Frauen jung zu machen, und natürlich glauben ihm alle, obwohl jeder im Publikum sofort merkt, aus welchem falschen Holz er geschnitzt ist. Er umgarnt die reiche Jung-Erbin Emilia, die den Zirkus kaufen möchte. Caliostros Assistentin Laurenza wiederum macht sich an Severin ran, auch sie ist von der Geldgier getrieben.
Auf einer Empore über dem Zutritt zur Manege dirigiert Gabor Rivo eine Musicalband, die über die Lautsprecher an den Zeltstangen ein wenig dumpf klingt, was aber nicht weiter stört. Nur in acht von insgesamt 25 Nummern haben laut Programmheft die Melodien aus Strauss‘ «Cagliostro in Wien» teilweise ihren Niederschlag gefunden. Unabhängig davon präsentiert sich Bertls Partitur überaus abwechslungsreich und spricht nicht zuletzt über das großzügig eingesetzte Schlagwerk den menschlichen Impuls an. Nicht alles stammt von Strauss, ein bisschen „We Will Rock You“ – quasi als umgekehrter Walzer – ist auch dabei und animiert das Publikum immer mal wieder zum kollektiven Geklatsche. Die Ohrwurm-Melodie des Auftrittssongs „Ich bin Cagliostro“ hat Bertl offenbar wenigen Übergangstakten aus dem «Zigeunerbaron» entlehnt.
Die Stimmen in der Manege klingen austauschbar, dafür wird überzeugend gespielt. Eva Maria Marold als Zirkusdirektorin Madame Sophie ist ohnehin mehr Schauspielerin als Sängerin. Nicht allen hat Bertl unbedingt auf die „Gurgel“ komponiert: Sophia Gorgi als Emilia kann ihren Musical-Mezzo kommod und zart strömen lassen, während ihre Schwester Katharina Gorgi als Laurenza in den Höhen der geforderten Tessitura an ihre Grenzen stößt. Der Schauspieler Josef Ellers schlägt sich als Severin wacker, Thomas Borchert ist ein Cagliostro mit unangenehmen Vibrato.

Eine geschickte Personenführung durch Regie-Allrounder Michael Schachermaier verbindet das Musical gekonnt mit Akrobatik. Dramaturgisch gelungen sind die Szenen, in denen Stunts den Gesang kommentieren – etwa wenn das Duo Unity am Cyr Wheel beim Duett „Tanz durch das Leben“ das gegenseitige Vertrauen von Severin und Emilia visualisieren. Faszinierend anzusehen sind auch die Verrenkungen von Svetlana Wottschel („Svetlana Arts“) in einer Luftkugel, während Laurenza in „Mein Traum“ davon singt, dass sie selbst gerne Zirkusartistin geworden wäre.
Von der Handlung losgelöstete Acts liefern ein poetisch-hypnotischer Einstieg von Ludvík Navrátil mit horizontaler Jonglage sowie nach der Pause – maximal bejubelt – eine atemberaubende Darbietung des Duo Venegas am sogenannten Todesrad. Natürlich dürfen Clowns nicht fehlen, darunter Oriol Boixander Escanilla als lebendige Johann-Strauss-Statue.
Am Ende führt, quasi als Deus ex machina, Cagliostros Assistent Herr Gustav die Handlung zu einem Happy End. Das ist ein klassischer Drehbuch-Coup, denn Andreas Lichtenberger hatte zuvor als Falco-Verschnitt eine wenig sympathische Figur abgegeben. Das zu einem großen Teil aus austriakischer und Wiener Lokalprominenz bestehende Premierenpublikum dankte laut mit Standing Ovation. Wer kein Kind hat, der sollte sich in den kommenden Tagen eines ausborgen – es wird diesen «Cagliostro» lieben.
«Cagliostro – Johann Strauss im Zirkuszelt» – Johnny Bertl
Johann Strauss 2025 Wien · Circus-Roncalli-Zelt am Heumarkt
Musical basierend auf Melodien von Johann Strauss
Kritik der Premiere am 10. September
Termine: 11.-14./18.-21./25.-28. September