Staatstheater am Gärtnerplatz

Figaro 2.0

In der bereits dritten Johanna-Doderer-Uraufführung am Münchener Gärtnerplatz hat «Der tollste Tag» für den Grafen Almaviva ein tragisches Ende, Hausherr Köpplinger führt Regie

Klaus Kalchschmid • 12. Oktober 2025

Krisensitzung: Gräfin Almaviva (Réka Kristóf), Susanne (Anna-Katharina Tonauer) und Figaro (Daniel Gutmann) beraten das weitere Vorgehen, Bazillus im Hintergrund (Juan Carlos Falcón) wird das letzte Wort haben © Markus Tordik

Es ist schon die dritte Oper, die Johanna Doderer, geboren 1969 in Bregenz, für das Münchner Gärtnerplatztheater komponierte – nach «Liliom» (2016) und «Schubert oder die Reise nach Atzenbrugg» (2021) als ihr bereits zehntes Werk für das Musiktheater «Der tollste Tag» nach Beaumarchais und Peter Turrini, der auch das Libretto geschrieben hat und dafür sein Lustspiel stark einkürzte. 

Bei Mozart gibt es am Ende die Versöhnung, bei Peter Turrinis Überschreibung von «Der tolle Tag oder Figaros Hochzeit» von Beaumarchais als «Der tollste Tag» von 1973 erwürgt der eifersüchtige Figaro, der vermeintlich seine Braut mit dem Grafen in flagranti erwischt, diesen mit seiner eigenen Reitpeitsche. Und die letzten, ambivalenten Worte spricht der Intrigant mit dem sprechenden Namen Bazillus: „Herr Graf sind eine bedeutende Leiche. Seine Exzellenz der besonders wohlgeborene Graf von Almaviva. Bald scheint Dir der Mond durch den Bauch. (er brüllt) Mord! Totschlag! Revolution! (ganz leise) Revolution?“ Angeregt wurde Turrini wohl dazu von Beaumarchais selbst: „Oh wie ich es bedaure, dass ich aus diesem moralischen Thema keine Tragödie gemacht habe. Ich hätte dem gekränkten Diener einen Dolch in die Hand gegeben und ihn in seiner zornigen Eifersucht mit edler Geste den mächtigen Wüstling erstechen lassen“, so das Motto für die Oper. 

Bei Turrini und in der Vertonung durch Johanna Doderer ist der Graf noch mehr Machtmensch und eitler, sexsüchtiger Geck als in der Vorlage, was das Kostüm, mit dem er auftritt, betont. Wie ein riesiger Käfer sieht er aus, eingenäht in ein schwarzes Wams, das seine Beine, Arme und den Po nackt lässt und erinnert an Reizwäsche. Turrini hält sich bis zu diesem Moment des Mordes, der Figaro und Susanne in die Flucht treibt, relativ eng an das Handlungsgerüst von Beaumarchais, schärft die Dialoge allerdings enorm frech und anspielungsreich. Johanna Doderers Musik ist dabei fast immer in Bewegung, ja nahezu rastlos und dabei stets tonal ausgearbeitet, was beim Orchester des Gärtnerplatztheaters unter Eduardo Browne den richtigen Drive besitzt und manchmal sogar schillert, vor allem wenn sich großflächige Pattern rhythmisch und harmonisch schärfen. Raffiniert etwa der immer mehr, auch dynamisch sich steigernde Fandango-Rhythmus zur absurden Gerichtsszene, in der Figaro dazu verpflichtet werden soll, seine Schulden durch Heirat mit Marcelline zu begleichen, gleichsam die Vorwegnahme des Hochzeitstanzes, der dann gar nicht stattfindet. 

Köpplinger reizt die Komik bis zur Neige aus: Anna Agathonos und Levente Páll als Marcelline bzw. Bartholo © Markus Tordik

Das Vexier- und musikalische Lustspiel beginnt gleich mit der ersten Szene, in der Figaro das Zimmer ausmisst, das der Graf strategisch günstig zwischen seinem und dem der Gräfin für das Brautpaar vorgesehen hat. Das deutet die Drehbühne von Heiko Pfützner mit Türen zwischen aufeinander getürmten Betten wie auf einer Müllhalde an – ein Symbol für den Verfall einer Gesellschaft, so Regisseur Josef E. Köpplinger im Programmheft. Dabei geht der Impuls immer vom Orchester aus und nimmt die Gesangsstimmen mit, die oft rezitativisch agieren oder ins Sprechen verfallen, was dem Ganzen oft ein enormes Tempo gibt. Eine reine Sprechrolle ist der junge Cherubin (fast noch ein Knabe und sehr agil: Paul Clementi), was andeuten soll, dass er quasi als noch unfertiges Kind unter Erwachsenen agiert. Seine musikalisch reiche, bereits komponierte Arie – bevor Regisseur und Hausherr Köpplinger den Wunsch nach einer Sprechrolle ausgesprochen hatte – erklingt jetzt als Melodram mit gesprochenem Text zur Musik. Auch veritable Ariosi und sogar Arien gibt es, in denen die Musik für Momente zur Ruhe kommt. Dahingestellt sei freilich die Selbsteinschätzung Johanna Doderers: „Die Arbeit hat sehr viel Schärfe bekommen, und sehr viel Sex. Da geht es einfach zu. Das ist gut.“ 

Josef E. Köpplinger hat Turrinis Theaterstück bereits 2003 am Wiener Volkstheater inszeniert und reizt die Komik, die schon jedes einzelne der extravaganten Kostüme mitsamt hoch aufgetürmter Perücken von Birte Wallbaum zeigt, mit seinen Protagonisten bis zur Neige aus: Daniel Gutmann gibt einen aufmüpfigen, bauernschlauen Figaro, der seinen schönen, jugendlichen Bariton manchmal etwas forciert einsetzt, während Anna-Katharina Tonauer Susanne mit feinem Mezzo ausstattet. Dramatischer und dominanter klingt Réka Kristóf als hier eher resolute Gräfin, tenoral auftrumpfend und mit viel Mut zu abgründiger Komik agiert Daniel Schliewa als Graf. Ausgezeichnet in kleineren Partien: Anna Agathonos als Marcelline, Juan Carlos Falcón als intriganter Bazillus, Levente Páll als Bartholo und Lukas Enoch Lemcke als Gärtner Antonio, der wortgewaltig seine zertretenen Tulpen bejammert.


«Der tollste Tag» – Johanna Doderer
Staatstheater am Gärtnerplatz · Gärtnerplatztheater

Kritik der Premiere am 10. Oktober 
Termine: 12./14./18. Oktober; 9./21./23. November