Staatsoper Hannover

Ich mal mir die Welt, wie sie mir gefällt

Mozart als Malstunde: Die «Don Giovanni»-Inszenierung von Bastian Kraft ist visuell unterhaltsam – und bietet vielversprechenden Nachwuchsstimmen eine Bühne

Werner Kopfmüller • 19. Oktober 2025

Verführung mit Zeichnerhand: Die Künstlerin Anni von Bergen begleitet grafisch die gesamte Oper © Bettina Stöß

Ein unbeschriebenes Blatt ist er wahrlich nicht. Vollgekritzelt wie eine Klowand ist das Verzeichnis seiner amourösen Eroberungen. In der Inszenierung von Bastian Kraft sind die Namen der Herzensdamen schön zu sehen, auf einer riesigen Leinwand, die den gesamten Bühnenhintergrund ausfüllt. Allein in Spanien sollen es, man lese und staune, 1003 gewesen sein. Überhaupt gibt es in Mozarts «Don Giovanni» als zweite Neuproduktion an der Staatsoper Hannover unter Intendant Bode Busse so einiges zu bestaunen. Denn während der sinnlich-geniale Verführer seinem moralbefreiten Treiben nachgeht, wird die Bühnenleinwand parallel zur Handlung bepinselt – und zwar pausenlos. 

Anni von Bergen sitzt dazu seelenruhig an ihrem Pult, die Farbtöpfe geöffnet, und füllt ein weißes Blatt Papier nach dem anderen mit ihren schwungvollen Pinselstrichen. Eine Kamera fängt die live entstehenden Zeichnungen ein und projiziert sie fürs Publikum nach vorne auf die Bühne (Peter Baur). Zu sehen ist dann das Personal aus Mozarts „Dramma giocoso“, zu Karikaturen verballhornt, Gesichter, Gedankenblasen, schwarze Tränen, die bei Liebeskummer kullern, ein zähnefletschender Wolf, und etliche Totenköpfe. Einen davon reicht Don Giovanni im Verführungsduett „Lá ci darem la mano“ an Zerlina, auf die er es abgesehen hat. Das ist anfänglich witzig, verspielt, unterhaltsam und sogar vieldeutig. Aber als Konzept für einen dreistündigen Opernabend trägt es nicht. 

Denn bis auf den Umstand, dass Anni von Bergen im zweiten Teil ihre Farbe direkt auf die Leinwand klatscht und sich auch die Figuren in ihren hübsch historisierenden, blütenweißen Kostümen (Jelena Miletić) zunehmend einsauen, bleibt die Regie eine echte Deutung schuldig. Die Charakterzeichnung ist vage, zum Beziehungsgeflecht der Figuren, zu deren Abhängigkeiten, Ängste und Antriebe, fällt ihr wenig bis nichts ein. Was in der zweiten Vorstellung besonders offenkundig wird: Gleich vier (!) Sängerinnen und Sänger feiern an diesem Abend ihr Rollendebüt, agieren auf der Bühne aber mehr neben- als miteinander.

Julia Sturzlbaum gibt eine burschikose, stimmlich quecksilbrige Zerlina, bei der schnell klar wird, dass sie zu Hause die Hosen anhat – und nicht ihr Verlobter Masetto, den Max Dollinger als gutmütigen Tölpel mit kernigem Bass mimt. Marie-Pierre Roy ist Donna Anna, ihr leicht geführter Sopran ist so biegsam wie strahlend, so flexibel wie präzise. Die Donna Elvira von Beatriz Miranda, ebenfalls Debütantin, betört mit feinen, gedeckten Farben und erlesener Legato-Kultur. Ein Don Ottavio mit schönstem klanglichem Ebenmaß gelingt SeungJick Kim, der schon bei der Premiere sang. Wie auch das Duo infernale aus der Titelfigur und seinem Diener Leporello in Premierenbesetzung aufläuft. Wobei sich die Frage aufdrängt, wer hier Koch und wer Kellner ist. Denn an Bühnenpräsenz sticht der junge ukrainische Bassbariton Serhii Moskalchuk seinen Herrn aus: Matteo Guerzè, Jahrgang 1997, spielt den Don Giovanni zwar hingebungsvoll, aber seinem kraftvoll tönenden Bariton fehlt es (noch) am Charme des Verführers. 

Don Ottavio (SeungJick Kim) und Donna Anna (Olga Jelínková, Premierenbesetzung) kommen Don Giovanni (Matteo Guerzè) auf die Schliche. Letzterer hat auf dem Bild bereits selbst in den Farbtopf gegriffen © Bettina Stöß

Bleibt noch der angemessen wuchtige Komtur von Daniel Eggert. Der hat seinen kurzen Auftritt bekanntlich zu Beginn, als er seiner Tochter Donna Anna zur Hilfe eilt und dabei von Don Giovanni ermordert wird, und kehrt schließlich als steinerner Gast wieder, um seinen Mörder in die Hölle zu zerren. Aus welcher dramaturgischen Dringlichkeit sich das ergeben soll, erschließt sich in der Regie von Bastian Kraft allerdings nicht. Das Ende ist dennoch spektakulär – zumindest szenisch: Unter reichlich Trockeneisnebel-Einsatz kippt die Bühnen-Leinwand nach vorne und begräbt Don Giovanni unter sich. 

Passend dazu setzt der erste Kapellmeister Mario Hartmuth am Pult des Niedersächsischen Staatsorchesters Hannover vor allem auf Dramatik. Den Klang legt er von den kompakten Streicher her an, mischt jedoch recht unbeholfen das Holz dazu, spannt kaum je größere Bögen – und lässt es überdies mehr als einmal an Präzision mangeln. Trotzdem hat Hannovers «Don Giovanni» das Zeug zum Publikumsrenner. Der Schauwerte dieser Live-Malstunde wegen, und weil sich hier viele junge Stimmen mit Potenzial präsentieren.
 

«Don Giovanni» – Wolfgang A. Mozart
Staatsoper Hannover · Opernhaus

Kritik der Vorstellung am 15. Oktober 2025
Termine: 21./25./29. Oktober; 1./13. November; 21./28. Dezember 2025; 2./10. Januar 2026