Staatsoper Hannover

Ein Alter Ego, das nicht alt wird

Georg Kreislers One-Woman-Musical «Heute Abend: Lola Blau» in einer angenehm altmodischen Inszenierung mit einer brillierenden Carmen Fuggiss in der Hauptrolle

Werner Kopfmüller • 19. Oktober 2025

Die fiktive Sängerin Lola Blau begibt sich gezwungenermaßen auf eine Weltreise © Daniel Kunzfeld

Zuletzt steht sie da wie am Anfang – bereit zur Abreise mit dem Koffer in der Hand, den schweren Wintermantel über den Schultern, mit gar nicht damenhaftem Hut. Dabei hat Carmen Fuggiss als Lola Blau ihre Weltreise gerade erst hinter sich: Von Österreich in die Schweiz nach Amerika – und wieder zurück. Ungewollt, denn die Handlung in Georg Kreislers One-Woman-Musical «Heute Abend: Lola Blau» setzt im Jahr 1938 ein. Die Alpenrepublik wurde soeben „heim ins Reich“ geholt, und für Bühnenkünstler jüdischer Abstammung wie die aufstrebende junge Lola, die sich auf ihr erstes Engagement im Landestheater Linz freut, bleibt als Ausweg nur der rettende Sprung nach Übersee. Obwohl sie, die Unpolitische, die aufziehende Gefahr zunächst verkennt: „Der Hitler kann vertragsbrüchig werden, ich aber nicht!“

Vom alten Europa in die neue Welt zu fliehen, bedeutete damals einen heute kaum noch nachvollziehbaren Kulturschock. Kreisler hat davon in seinen autobiographischen Texten immer wieder erzählt. Lola Blau als sein weibliches Alter Ego durchlebt in dem Stück gewissermaßen jenes Schicksal, das ihm, der 1938 als Sechzehnjähriger mit seinen Eltern zur Flucht nach Kalifornien gezwungen war, nicht erspart blieb. Fühlt sich das Leben an der Westküste zunächst wie ein großer Rausch an, folgt bald die Ernüchterung: Beruf und Alltag kann Familie Kreisler nicht mehr in gewohnter Weise nachgehen. Bei Georg, der zudem in der US-Army zu dienen hatte, kommt hinzu, dass er sich als klassisch ausgebildeter Musiker schwertut in der amerikanischen Unterhaltungsindustrie. Vom Brotberuf als New Yorker Barpianist desillusioniert, kehrte er den USA in den 1950er Jahren den Rücken, um den Neuanfang in Wien zu wagen, seiner Geburtsstadt, mit der ihn zeitlebens eine innige Hassliebe verband. 

1971 wurde das Kultstück in Wien uraufgeführt, zu einer Zeit, als die Aufarbeitung der Nazi-Vergangenheit kein Tabu mehr darstellte. Sämtliche Einzelnummern sind jedoch schon in den Jahren zuvor entstanden, Kreisler hat sie lediglich durch die Lebensgeschichte der fiktiven Lola Blau zu einer zusammenhängenden Handlung verklammert. 

Die erste Lola Blau verkörperte Kreislers damalige Frau Topsy Küppers. Der Chansonette hatte er das Stück quasi auf den Leib geschrieben (wobei die Frage, welchen urheberrechtlichen Anteil Küppers an dem Werk hat, einen erbitterten Rechtsstreit nach sich zog). Küppers hatte den Wiener Schmäh im Blut, konnte herrlich jiddeln und als verruchte Nachtclub-Sängerin bezirzen. 

Carmen Fuggiss bringt für diese nicht zu unterschätzende Rolle die nötige Wandlungsfähigkeit mit © Daniel Kunzfeld

Die sängerischen Ansprüche in «Heute Abend: Lola Blau» sind nämlich nicht zu unterschätzen. Carmen Fuggiss, Publikumsliebling im Ensemble der Staatsoper Hannover, bringt dazu die nötige Wandlungsfähigkeit mit: Wortgezeugt legt sie die Partie an, stimmlich beweglich, ohne je opernhaft aufzutrumpfen. Sie gibt eine äußerlich kokette, dabei melancholisch gebrochene Exilantin, deren kämpferischer Lebensmut sie trotz aller beruflichen Rückschläge und privaten Enttäuschungen nicht verlässt. Besonders gelingen ihr die Nummern, in denen die laszive Entertainerin gefordert ist, wie das vor Anzüglichkeiten nur so strotzende „Sex is a wonderful habit“, das frivol frotzelnde „Der zweitälteste Frauenberuf“ oder, zum Schießen komisch, „Sie ist ein herrliches Weib“.

Hyerim Byun am Klavier ist ihr darin ein kongenialer musikalischer Sidekick, auch als Geräuschemacherin für Telefonklingeln, Meeresrauschen und marschierende Soldatenstiefel.

Das reduzierte Bühnenbild erinnert dabei an das Deck eines Ozeandampfers. Dazu passen auch die unaufdringlichen Video-Einblendungen von Bahnsteigen oder Schattenrissen, die Ausstatterin Julia Katharina Berndt beisteuert. Insgesamt besticht die angenehm altmodische Inszenierung von Claudia Isabel Martin durch ein geschicktes Timing bei den vielen Stimmungswechseln. Ein Abend, der kurzweilig unterhält und doch nachdenklich macht. Wie das bei Georg Kreisler eigentlich immer so ist. 


«Heute Abend: Lola Blau» – Georg Kreisler
Staatsoper Hannover · Ballhof Eins

Kritik der Vorstellung am 17. Oktober
Termine: 25. Oktober; 22. November