Sibylle Masanetz
„Ich hätte aktiv werden sollen“
Wiedergutmachung nach Terrainverlust: Die Komische Oper Berlin reaktiviert den DDR-Spitzentitel «In Frisco ist der Teufel los». Ein exklusives Interview mit der Witwe des Komponisten Guido Masanetz
Roland H. Dippel • 20. Oktober 2025
Die steuernde Präsenz von Witwen bedeutender Operetten- und Musicalkomponisten ist heute weniger üblich als in der Generation legendärer Nachlassverwalterinnen wie Vera Kálmán und Einzi Stolz. Sibylle Masanetz, geborene Wüsthoff (geb. 1940) bedauert, dass sie nicht aktiv in die Promotion eingestiegen ist. Sie ist die Witwe von Guido Masanetz, Komponist des neben Gerd Natschinskis «Mein Freund Bunbury» meistgespielten musikalischen Unterhaltungsstücks der DDR. Von der Uraufführung 1962 bis zur Wiedervereinigung erlebte Masanetz' «In Frisco ist der Teufel los» in vielen DDR-Theatern sogar zwei Inszenierungen.
Aber der ein Vierteljahrhundert nach der Wende im Alter von 101 Jahren verstorbene Guido Masanetz (1913 bis 2015) war kein Reisekader und demzufolge in Westeuropa so gut wie unbekannt. Das könnte sich jetzt ändern: In einem geplanten Zyklus aus dem Heiteren Musiktheater der DDR präsentiert die Komische Oper Berlin dieses epochale Hauptwerk am 21. und 30. Dezember in einer Inszenierung von Martin G. Berger als „Weihnachtsoperette 2025“. Was bedeutet das für Sibylle Masanetz, die wie mit ihrem Mann noch immer in Berlin-Blankenfelde lebt? Einige Erinnerungen und Richtigstellungen.
Liebe Frau Masanetz, wie haben Sie und Ihr Gatte sich kennengelernt?
Schon vor unserem direkten Kennenlernen, das war 1980, hatten wir im Ostberliner Metropol-Theater viele angenehme Begegnungen. Ich war dort damals als Chefsekretärin des Intendanten Peter Czerny eine „kulturelle Quereinsteigerin“. Guido ging als ständiger Gastdirigent seiner eigenen Werke, die seit Ende der 1950er Jahre ständig auf dem Spielplan standen, ein und aus. Sein bekanntestes Bühnenwerk «In Frisco ist der Teufel los» war im ständigen Repertoire. Auch das opernhafte Musical «Vasantasena», mein Lieblingsstück unter den Werken Guidos, wurde nach der sehr erfolgreichen Uraufführung 1978 am Metropol-Theater in vielen anderen Theatern der DDR gespielt.
Waren Sie an dem künstlerischen Prozedere von Guido Masanetz beteiligt?
Erst nach unserer Heirat. Schon lange vor meinem Start am Metropol-Theater besuchte ich häufig die Ostberliner Opernhäuser, das Deutsche Theater und die Volksbühne. Das änderte sich in den nächsten Jahren. Wir waren ständig zu Aufführungen von Guidos Werken eingeladen. Nach sechs Jahren Beziehung heirateten wir 1986, und ich gab meine Stelle am Metropol-Theater auf. Ich unterstützte ab da meinen voll freischaffenden Mann. Zu DDR-Zeiten war berufliche Selbständigkeit eher selten, aber Guido konnte von seinen Kompositionsaufträgen, den Dirigaten und den Tantiemen aus über 60 Inszenierungen gut leben. Weil er sich nicht zu einer politischen Galionsfigur machen lassen wollte und kein Mitglied der SED war, blieben ihm Gastauftritte im westlichen Ausland vor dem Mauerfall 1989 allerdings verwehrt. Seinen offiziellen Abschied von der Bühne nahm er 2011 mit einem umjubelten Dirigat aus seinen Werken im Konzerthaus am Gendarmenmarkt. Da war er 97 Jahre alt.
Haben Sie eine Vermutung, warum das Gesamtwerk Ihres Mannes und auch vieles aus dem musikalischen Schaffen der DDR nach der Wiedervereinigung so lange ignoriert wurde?
In den ersten Jahren nach der Wiedervereinigung hatten wir uns naheliegenderweise vor allem über eine Promotion im westlichen Ausland und US-Amerika Gedanken gemacht. Mit dem Mauerfall konnten wir es uns endlich leisten, die in der DDR nicht bestandenen Reisemöglichkeiten zu nutzen und damit auch private vor künstlerische Interessen zu setzen. Zum Mauerfall war Guido 75 Jahre alt und beruflich voll aktiv, während Gleichaltrige schon lange im Ruhestand waren. Also genossen wir die neue Freiheit, erschlossen uns neue Länder und sogar Kontinente.
Hatten Sie keine Angst vor einem „Terrainverlust“ durch die 1990 rapide einsetzenden Repertoire-Verschiebungen? Das in der DDR quotenmäßig geförderte Gegenwartsschaffen verschwand damals doch schlagartig zugunsten von in der DDR missliebigen Operetten des frühen 20. Jahrhunderts und angloamerikanischen Musicals?
Wir hatten großes Verständnis dafür, dass in den 1990er Jahren nach dem Ende der DDR in den neuen Bundesländern andere Prioritäten herrschten. Zu diesen gehörte, dass die Musik- und Sprechtheater mit konzentrierter Häufung jene Stücke aufführten, die ihnen vorher verwehrt waren. Aber wir hätten damals nie gedacht, dass es 30 Jahre und länger dauern sollte, bis man das künstlerische Operetten- und Musicalschaffen der ehemaligen DDR wieder mit Anspruch erschließen würde – das heißt nicht nur als Kuriosum oder Nischenprodukt für „Ossis“ mit lokaler Beschränkung auf die neuen Bundesländer, wie das zumeist noch vorkommt.
Welche Gründe hatte diese Vernachlässigung aus Ihrer Perspektive als Zeitzeugin in direkter Nähe?
Wie bereits erwähnt, übten viele West-Werke durch die Einwände – das waren in der DDR nur selten Verbote, wie fälschlicherweise verallgemeinert wird – aus der Kulturpolitik der DDR einen großen Reiz auf das Publikum der neuen Bundesländer aus. In Westdeutschland dagegen kam der Großteil des musikalischen DDR-Bühnenschaffens nie zur Aufführung. Diese Tendenz bestand noch lange nach dem Mauerfall, auch weil viele Leitungspositionen in Ost-Theatern mit Personen aus den alten Bundesländern besetzt wurden. Denen war das DDR-Schaffen fast immer unbekannt, und sie zeigten deshalb kein Interesse daran. Insofern ist der Zyklus an der Komischen Oper Berlin, in dem zu meiner großen Freude «In Frisco ist der Teufel los» mit einer sehr guten Besetzung gegeben wird, sehr wichtig.
Die Musikalische Komödie Leipzig ehrte Ihren Mann zu dessen 101. Geburtstag im Mai 2015 mit zwei Vorstellungen von «In Frisco ist der Teufel los». Wie erlebten Sie dieses erste Revival des Erfolgsstücks seit dem Mauerfall?
Es war für mich in jeder Beziehung sehr emotional. Ich war glücklich, dass meinem Mann in seinem hohen Alter noch einmal – vier Jahre nach seinem letzten Auftritt als Dirigent – diese Ehre zuteilwurde. Ein paar Monate später verstarb er. Ich bedaure sehr, dass Guido es nicht mehr erleben konnte, dass «Frisco» jetzt wieder zur Aufführung kommt.
Wie erklären Sie sich die Vorliebe für «In Frisco ist der Teufel los», zum Beispiel neben einem Titel wie Masanetz' 1963 wegen des Mauerbaus nach der Uraufführung ganz schnell verschwundener Operette «Mein schöner Benjamino»?
Aus meinem persönlichen Blickwinkel am Metropol-Theater, an dem zu DDR-Zeiten neben ästhetischen natürlich politische Diskussionen geführt wurden, kann ich sagen: «Frisco» war so erfolgreich, weil es unpolitisch und sehr unterhaltsam war, auch wenn in dramaturgischen Schriften und Medienberichten wie bei erfolgreichen anderen Stücken immer wieder eine bedeutende politische Dimension behauptet wurde. Die zündende Musik, eine lange Reihe guter Inszenierungen, das wunderbare Ensemble von Solisten, Chor, Ballett, Bühnenbild, Ausstattung und das wunderbare große Orchester entführten die Besucher in eine andere Welt und lenkten sie von ihren täglichen Problemen ab.
Eines unterscheidet Sie wesentlich von anderen Hinterbliebenen von Komponierenden. Sie haben sich in der Öffentlichkeit nie als Promoterin Ihres Mannes positioniert. Warum nicht?
Ich hatte viel zu lange geglaubt, dass die Qualität seiner Werke ohne Zutun das nötige Interesse der Theater und Opernhäuser bewahren oder erneut ziehen würde. Das war ein Fehler, denke ich im Nachhinein. Ich hätte aktiv werden sollen. Aber nun geht es wohl wieder aufwärts. Die Aufführung an der Komischen Oper wird vielleicht für einige Theater ein Signal sein, sich mit anderen der vielen Werke meines Mannes zu beschäftigen. Auch dass der Bärenreiter Verlag wieder Guidos Werke in die Öffentlichkeit bringen wird, freut mich sehr.
Als „Westkind“ frage ich, was Ihr Mann neben seinen Operetten und Musicals noch hinterlassen hat?
Eigentlich kann man das unermüdliche Wirken meines Mannes nicht nur auf die Bühnenwerke reduzieren. Er hat zahlreiche Filmmusiken komponiert, u.a. für die Kindersendereihe „Sandmännchen“, Lieder wie „Bunte Lampions“ für Rudi Schuricke und für das Erich-Weinert-Ensemble. Auch Volkslieder, denn er war lange Zeit Leiter des Volkskunstensembles der DDR, was einen weitaus anspruchsvolleren Stellenwert hatte als die „volkstümlichen Hitparaden“ in Westdeutschland. Guido war ein sehr vielseitiger, wissbegieriger und liebenswürdiger Mensch. Neben Ehrenmitgliedschaften der Europäischen Kulturwerkstatt und der GEMA wurde ihm zum Beispiel der Ehrentitel „Musikdirektor“ verliehen. Wir denken sehr oft an ihn. Und er wird immer noch schmerzlich vermisst – von mir, seinen Kindern Lutz und Kamila, seinen Enkeln, meiner Tochter Barbara und von zahlreichen Freunden.
Welches seiner Werke schätzte Ihr Mann am meisten?
Mit der Komposition von «Vasantasena» erfüllte Guido sich als neugieriger Anhänger der altindischen Musikgeschichte und Kultur einen Lebenstraum. Das Metropol-Theater ermöglichte ihm einen mehrwöchigen Studien- und Forschungsaufenthalt in Indien, weil die Leitung an diesem Projekt mit dem Bühnenstück, das Lion Feuchtwanger nach einem altindischen Schauspiel geschrieben hatte, sehr interessiert war. Nach seiner Rückkehr und dem Vorliegen seiner Komposition unterstützte er das Theater mit in Indien gesammelten Instrumenten, Accessoires und Anleitungen für die Choreographie. Der zur Uraufführung anwesende Indische Botschafter war voll des Lobes und würdigte an «Vasantasena» die bemerkenswert hohe Authentizität der Musik und der Inszenierung.
Sibylle Masanetz, geb. Wüsthoff, geboren 1940 in Berlin, kam nach mehreren beruflichen Tätigkeiten (wie beispielsweise als Persönliche Referentin und Protokollchefin im Außenhandel der DDR) als Chefsekretärin des damaligen Intendanten Peter Czerny an das Berliner Metropoltheater, die bedeutendste Bühne der DDR für Operette und Musical. Nach der Heirat mit dem Komponisten Guido Masanetz war sie dessen Mitarbeiterin und unterstützte ihn umfassend, sodass er sich auf seine Kompositionen und Dirigate konzentrieren konnte. Sie lebt heute in Berlin-Blankenfelde.