Theater Basel

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Zarzuela in der Schweiz ist ein seltenes Vergnügen, das Christof Loy derzeit mit Ansejo Barbieris «El barberillo de Lavapiés» und einem spanischsprachigen Ensemble ermöglicht

Zenaida des Aubris • 07. November 2025

Der Tanz ist neben brillianter Musiknummern ein Bestandteil der Zarzuela © Ingo Höhn

Eine Zarzuela-Aufführung in Spanien zu finden, ist schon selten genug, aber in der Schweiz? Und noch dazu inszeniert von einem deutschen Regisseur? Das gehört definitiv in die Kategorie „Raritäten“. Zufälligerweise ist das Genre Zarzuela Christof Loys besondere Leidenschaft, und er tut alles, um einem neuen Publikum diese einzigartige spanische Mischung aus Theater, Komödie, Musik und Drama näherzubringen. Ist Zarzuela Operette, Singspiel, Opéra comique oder Musiktheater? In Wahrheit ist sie eine Kombination aus all dem – und doch mit einer ganz eigenen Identität. Voller schneller Dialoge, Tanz, brillanter Musiknummern, Humor, historischer Anspielungen und Satire reicht ihre Aufführungsgeschichte bis ins 17. Jahrhundert zurück, mit einer starken Wiederbelebung des Interesses im späten 19. Jahrhundert.

Die Zarzuela gehört ebenso zur spanischen DNA wie das Musical zum amerikanischen Erbe oder die Operette zum österreichischen. Es gibt buchstäblich Tausende von Kompositionen von Hunderten von Komponisten. Loy wählte eines der Meisterwerke dieses Genres, «El barberillo de Lavapiés» von Francisco Asenjo Barbieri (1823–1894), einer führenden Figur des spanischen Musiktheaters des 19. Jahrhunderts und Begründer der modernen Zarzuela. Das 1874 in Madrid uraufgeführte Werk ist eines der besten Beispiele für den Dreiakter-Stil oder „género grande“ – und dennoch politisch gefärbt und voller lebhaftem Lokalkolorit.

Die Handlung spielt im Madrid des 18. Jahrhunderts während der Regierungszeit Karls III. und folgt Lamparilla, einem witzigen und patriotischen Friseur aus dem Arbeiterviertel Lavapiés, und Paloma, einer temperamentvollen Näherin und Lamparillas Angebetete. Hinter der komischen Fassade aus Straßenklatsch und romantischen Intrigen verbirgt sich eine Nebenhandlung über eine politische Verschwörung: Die Adlige Gräfin Estrella und ihr Liebhaber Don Luis sind in einen Komplott verwickelt, um den korrupten Minister Grimaldi zu stürzen. Mit List und Mut helfen Lamparilla und Paloma ihnen, den Behörden zu entkommen. Werk verbindet Romantik, Satire und Lokalkolorit, feiert die Klugheit und Vitalität gewöhnlicher Menschen und verspottet dabei auf sanfte Weise die Anmaßungen der herrschenden Klasse. Es endet mit Gerechtigkeit und guter Laune inmitten einer festlichen Straßenszene in einem grandiosen Finale mit Gesang und Tanz.

Christof Loy und sein Bühnenbildner Manuel la Casta versetzen die Handlung in einen zeitlosen weißen Raum und verweisen subtil auf die historischen Unruhen, die in Madrid wirklich in einigen Bezirken ausbrachen, als die Straßenbeleuchtung eingeführt wurde – viele Bürger befürchteten, dass sie es der Polizei erleichtern würde, Verdächtige aufzuspüren –, wobei umgestürzte Straßenlaternen im ersten Akt auf diese Ereignisse anspielen. Robby Duiveman entwarf moderne Kostüme, die den Wandel der Figuren von ihrer bescheidenen Herkunft zu einer höheren Gesellschaftsschicht im Laufe der Akte widerspiegeln. Valerio Tiberi versuchte, die gleißende mediterrane Sonne zu vermitteln, indem er die Dimmer hochdrehte und eine sehr flache Beleuchtung lieferte, wodurch er den Kontrast zugunsten jeglicher Dramatik opferte. Javier Perez verband seine Choreografie der acht Tänzer mit dem großen Chor und den Statisten und schaffte so schnelllebige und komplex inszenierte Massenszenen.

David Oller und Carmen Artaza sind als Barbier Lamparilla und dessen angebetete Paloma ein stimmiges Paar © Ingo Höhn

Das Ensemble besteht aus spanischsprachigen Sängern, was den rasanten Dialogen (mit Übertiteln in Deutsch und Englisch) Authentizität verleiht. Der Bariton David Oller verkörpert Lamparilla als einen engen Verwandten von Mozarts oder Rossinis Figaro – straßenklug, patriotisch, witzig und sehr verliebt in seine Hauptdarstellerin. Zusammen mit der Mezzosopranistin Carmen Artaza als Paloma bilden sie ein äußerst passendes Paar und schaffen ihre eigene stimmliche und musikalische Synergie, die in einem Duett gipfelt, das so charmant ist, dass es sofort eine Zugabe erhielt, ganz im Stil der Zarzuela. Im Gegensatz dazu wirken ihre aristokratischen Gegenspieler blass. Die Sopranistin Cristina Toledo als Gräfin Estrella und der Tenor Santiago Sánchez als Don Luis geben ihr Bestes, um den Rollen Wärme zu verleihen, die Barbieri selbst mit ironischer Distanz behandelt und in denen er seine klare Sympathie für das einfache Volk zum Ausdruck bringt.

Musikalisch ist das Werk eine Mischung aus populären Madrider Straßenliedern, Tanzrhythmen und eleganter Orchestermusik. Barbieri erhebt die Zarzuela Grande zu einer Kunstform, die mit der französischen Opéra-comique vergleichbar ist, indem er spritzige Ensembles, lebhafte Charakterstücke und fein gearbeitete Finale kombiniert. Die Partitur fängt den Geschmack des alltäglichen Madrid ein – Seguidillas, Fandangos und Jotas vermischen sich auf natürliche Weise mit lyrischen Arien und Ensembles. Das Theater Basel holte den Musikdirektor des Teatro de la Zarzuela Madrid, José Miguel Pérez-Sierra, als führenden Experten hinzu. Im Vergleich zum manchmal rasanten Tempo auf der Bühne schien Peréz-Sierra in der besuchten Aufführung nicht in der Lage zu sein, dem Orchester die entsprechende dynamische Leidenschaft zu vermitteln.

Über seinen Witz und Charme hinaus spiegelt «El barberillo de Lavapiés» auch Barbieris Bürgerstolz und liberale Ideale wider. Indem er bescheidenen, einfallsreichen Figuren wie Lamparilla und Paloma eine zentrale Rolle einräumte, machte er die Zarzuela zu einem Spiegel der spanischen Identität – klug, ironisch und zutiefst menschlich.

Als Einstimmung hatte Christof Loy den Tenor Santiago Sánchez gebeten, vor der Vorstellung einen kurzen Vortrag über das traditionelle Verhalten des Zarzuela-Publikums zu halten – spontaner Applaus, lautstarke Zwischenrufe und lebhafte Interaktion seien erwünscht. Das Basler Publikum kam dieser Aufforderung begeistert nach und spendete am Ende stehende Ovationen. Möge dieser fröhliche Abend den Beginn einer Zarzuela-Renaissance nördlich der Pyrenäen markieren!


«El barberillo de Lavapiés» – Francisco Asenjo Barbieri
Theater Basel ∙ Stadttheater / Große Bühne

Kritik der Aufführung am 5. November
Termine: 7./10./15./22./28. November; 7./28. Dezember

 

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