Theater Bonn
Pointenreiches Schattenwerfen
In Bonn gerät die Welt um «Die Frau ohne Schatten» aus den Fugen. Dirk Kaftan untermauert Peter Konwitschnys radikalen Zugriff mit gleißenden Tönen
Daniela Klotz • 18. November 2025
Grundgütiger! Um «Die Frau ohne Schatten» einer solchen Radikalkur zu unterwerfen oder besser, sie so zu vergewaltigen, ohne dass es komplett unerträglich wird, muss man schon Konwitschny sein. Sicher, so himmlisch-schön die Strauss’sche Musik ist, schwelgend-schwebend-dräuend von Dirk Kaftan am Pult des Beethoven Orchesters Bonn umgesetzt, so wenig kann man das Hofmannsthal’sche Libretto heute noch ungefiltert auf die Bühne bringen. Da liegt der Fehler schon im Detail: „man“, warum gibt es nicht auch „frau“? Bei Hofmannsthal / Strauss erklärt sich das von selbst. Klagend, einsam tönen die Rufe des wiedergekehrten roten Falken aus dem Graben. Blut, bemerkt die Kaiserin, tropft ihm vom Fittich, Tränen stehen ihm im Auge. „Warum weinst du?“ will sie wissen. „Die Frau wirft keinen Schatten, der Kaiser muss versteinen! Wie soll ich da nicht weinen!“ antwortet der Falke. Alyona Guz ist in Bonn dieser dem Kaiser offenbar zutiefst befohlene und betörend rufende Jagdhelfer. Mehr über diese zur Jagdfreundin umgestaltete Stimme soll an dieser Stelle nicht verraten sein, denn auch „Falke“ ist eine Frau und man (!) muss ein bisschen in der Werksgeschichte graben, um zu verstehen, dass Schattenwerfen nichts anderes bedeutet, als Kinder gebären, in ihrer Erinnerung der Welt erhalten zu bleiben, somit seinen Schatten in die Zukunft werfen. Ohne Nachfolger versteint das Erbe des Vaters, die Familie, das Geschlecht stirbt aus. Richtig viel hat sich seit 1917 in dieser Hinsicht nicht geändert.
Die Geschichte um die Versuche der Kaiserin, diesen Schatten zu erhalten, gerät Hofmannsthal gelinde gesagt ein wenig wirr. Was sich aus der persönlichen Situation des mit einer Alibi-Frau verheirateten homosexuellen Dichters zu Zeiten, in denen Homosexualität Unzucht war und mit Kerker bestraft wurde, womöglich allzu einfach erklären lässt, wird auf der Bühne meist in Märchenform gegossen und genossen. Wo Tiere sprechen, ein Sturz in den Brunnen für einen Jahreszyklus ins Reich der Ran führt, aber auch Hexen ganz selbstverständlich in Öfen brennen, fallen die Bemühungen der Kaiserin und der Amme nicht weiter auf. Märchen haben eine eigene Logik. Das muss im Allgemeinen reichen.
Peter Konwitschny und seinem Regieteam reicht das nicht. Der Großmeister der Bilderstürmer entkleidet die Mär von der Feentochter in der Zwischen- und Menschenwelt radikal jeder Vorstellung von Romantik (die ja zeitgeschichtlich sowieso falsch ist, wenn man Nationalgedanken und Barrikadensturm auslässt) und reduziert sie auf das, was sie ist: Misogyn. Frauenfeindlich. Frauenverachtend.
Seine Kaiserin ist eine Wegwerffrau. Die aktuelle Favoritin eines Clanchefs oder Zuhälters. Gefügig gemacht durch Sex (ja, der Text gibt so etwas wie Hörigkeit her) oder Drogen, verzweifelt im Gedanken, dem Herrn und Geliebten (so schreibt es eben Hofmannsthal) nicht mehr zu genügen. Anne-Fleur Werner ist genau diese Frau zwischen den Welten. Leidend, aufbegehrend, selbstvernichtend. Völlig rätselhaft, woher sie die Kraft nimmt, sich förmlich kaputtzuschreien und doch vollendet weiterzusingen.
Zu den Brüchen der Regie gehört, dass man (ab hier entfallen die „sic“-Ausrufezeichen) sich fragen darf, ob der Kaiser überhaupt ein Kind hätte wollen können, schließlich ruiniert das doch die Geschäfte. Aaron Cawley sondiert erst einmal die Lage, um sich dann voll in die Rolle zu werfen. Ebenso inbrünstig wie inkriminiert. Dieser Kaiser liebt und leidet. Doch irgendeinen Faden muss es geben und der ist nun mal die Reduktion der Frau auf die Rolle der Kindsmutter. Folglich stopft die Kaiserin sich ein Kissen ins Kleid. Das Ungeborene wird somit zur Metapher der Metapher. Konwitschny wird das im dritten Aufzug aufnehmen, wenn er das nun doch Geborene leicht wienernd zur Kaiserin anstatt die Kaiserin zu ihrem Vater Keikobad sagen lässt: „Ich bin dein Kind! | Lass mich sterben, | eh' ich erliege!“. Sich hinzugeben hat die Kaiserin da gelernt, doch Schattenwerfen nicht. Selbstredend versagt Konwitschny die Pointe, die Schlussapotheose. Dafür bietet er – horribile dictu – Pointen genug im Haus des Färbers.
Dies Haus des Färbers ist umgedeutet zu einer Art Geburtsklinik. Ruxandra Donose, die sich als höhendramatische Amme immer wieder den Vergleich mit der Hündin gefallen lassen muss, hat das Haus aufgetan. Damit auch jeder begreift, dass es ums Gebären geht, finden sich reihenweise Föten an den Wänden. Johannes Leiacker liefert dazu das, was er zuverlässig immer liefert: Hohe weiße Wände mit bemerkenswert-dezidierter Wandlungsfähigkeit und genau ins Bild passenden Kostümen. Doch ausgerechnet die namenlose Waise, die der Färber sich gekauft hat, rebelliert. Sie versagt dem älteren Mann ihren Leib. So ernst die Szene endet, so skurril ist sie angelegt. Mit der Frau als augenrollendem Frauenzimmer im Negligée samt Morgenmantel und Turban und der prächtigen Spielkraft und Stimme von Aile Asszonyi.
Nichts, was Spaß macht, darf der arme Barak, wunderbar gelassen und im mehrfachen Wortsinn tiefgründig interpretiert von Giorgos Kanaris. Sogar das Radio stellt ihm das Hauskreuz mehrmals aus – und damit die Musik aus dem Graben auf stumm. In solchen Momenten, wenn der Traditionalist Herzkammerflimmern bekommt (was bitte nicht als Angriff, nur als Faktum gewertet sein soll), erweist sich Konwitschny als Musikliebhaber durch und durch.
Fanden schon die Schüsse zu Beginn statt ohne die danach einsetzende Musik zu stören, achtet er bei sämtlichen weiteren Knallereien von Schießeisen oder Türen sowie bei den sehr wenigen Einschlüssen aus eigener Herrlichkeit darauf, Stauss’ sinnbetörende Musik nicht mehr zu stören als nötig. Dank dafür. Inhaltlich passt sogar das Verwirrspiel im Haus des Färbers, bei dem der Kaiser anstelle des aus dem Besen geschaffenen Jünglings die Färbersfrau sekkiert und den Färber im Geburtsklinikbett von links nach rechts und retour schiebt, nicht ganz, was es aufgrund der Vorgegebenheiten ja auch nicht kann, aber doch recht gut. Und dass die Kaiserin sich dem Färber wörtlich als schuldig erweist, steht im Grunde auch musikalisch außer Frage. Es ist halt viel Wagner in diesem Strauss.
Weit erstaunlicher ist der Humor, den Konwitschny dem Text abgewinnt. Manches, wie die fast penetrante Selbstironie der Frau des Färbers erschließt sich von selbst. Manches, wie das Auftreten der Sklavinnen als Krankenschwestern der Geburtsklinik, hängt kurz in der Luft. Manches, wie das Überspielen der klassisch vorgegebenen Werkzeuge wie Pfeil und Schwert durch Schusswaffe und Taschenmesser ist vernünftig und damit lässlich. Manches, wie das Auffinden eines Fisches im dritten Aufzug, als Kaiserin und Färberin offensichtlich durch den Mann der jeweils anderen doch Mutter geworden sind, von brachialer Komik. Außer der Sache mit dem Radio, bei der ein Streitgespräch hinzugedichtet wurde, scheint es nur einen Eingriff in den Text gegeben zu haben: Im dritten Aufzug nennt die Kaiserin die Amme Ärztin. Sonst lässt sich alles, was Konwitschny konzise erzählt, aus den Wirren des Originals erklären. Das wurde insgesamt radikal gekürzt. Gerade mal zwei Stunden und vierzig Minuten hat Konwitschny aus den sonst gängigen vier Stunden zwanzig gemacht. Die Frage, ob das Ergebnis den Urhebern gefallen hätte, stellt sich nicht. Die Frage, inwieweit sich unser Menschenbild in gut 100 Jahren geändert hat, sehr wohl. Die Antwort? Es braucht solche durchdacht-provozierende Arbeiten, um die Menschheit von den Bäumen zu locken, sprich, Musikgeschichte lebendig zu erhalten. Von «Aida» bis «Zauberflöte» wäre sonst bald Schluss mit lustig.
«Die Frau ohne Schatten» – Richard Strauss
Theater Bonn · Opernhaus
Kritik der Premiere am 16. November 2025
Termine: 29. November; 19./28. Dezember 2025; 4./11./16. Januar 2026