Opéra Royal de Wallonie-Liège

Ein Hochzeitstag mit Hindernissen

Kein alter Hut, sondern italienisch-spritziges Musiktheater von Meisterhand: In Lüttich wird Nino Rotas «Il cappello di paglia di firenze» (Der Florentinerhut) gespielt, das auch in Deutschland bald zu erleben sein wird

Werner Kopfmüller • 19. November 2025

Ständig stolpern in dieser Opera buffa die Figuren von einer misslichen Begegnung in die nächste. Eigentlich verwunderlich, dass dieses so dankbare Ensemblestück kaum ein Stadttheater auf dem Spielplan hat © J. Berger / ORW

Schräg ist hier nicht nur die Drehbühne, auf der die Türen auf- und zu fliegen – vom Wohnzimmer ins Badezimmer in den adligen Salon auf den Boulevard. Schräg ist das ganze hundertminütige Bühnentreiben: Wenn der arme Fadinard bloß wüsste, wo er diesen verdammten Florentinerhut herbekommt! Der Hut einer nicht allzu ehrbaren Dame, den sein Pferd gefressen hat, ausgerechnet am Morgen des ersehnten Hochzeitstags. Und so muss er jetzt die Ehre der untreuen Lady retten, während Fadinards Braut samt Anverwandten ihm durch ganz Paris hinterherlaufen und überall noch größeres Chaos anrichten als er selbst.

Eine „Farsa musicale“, eine federleichte musikalische Farce ist «Il cappello di paglia di Firenze» (Der Florentinerhut), dem eine Boulevard-Komödie des Franzosen Eugène Labiches von 1851 zugrunde liegt. Verfilmt 1939 mit Heinz Rühmann, zur Opera buffa geformt von Nino Rota und als solche uraufgeführt 1955 in Palermo. 

An der Opéra Royal de Wallonie in Lüttich ist das Stück nun als Übernahmeproduktion aus Genua zu erleben, in der Regie von Damiano Michieletto. Und das ist ein Erlebnis. Allein schon, weil es Seltenheitswert hat. Nino Rota (1911-1979) feierte bekanntlich mit seinen Filmmusiken Welterfolge. Der aus einer hochmusikalischen Familie stammende, als Wunderkind früh gefeierte und später als Filmkomponist geradezu legendäre Rota ist (wie übrigens sein jüngerer, verzweifelt um Anerkennung auf dem Musiktheater ringende Kollege Ennio Morricone) ein Sonderfall der Musikgeschichte, völlig zu Unrecht versunken in den Diskussionen des 20. Jahrhunderts über Gebrauchs- und absolute, tonale und atonale Musik. Von der Musikkritik wurde Rota meist mit eisiger Verachtung gestraft – was er freilich auch dadurch provozierte, dass er seine Bühnenwerke ungeniert mit Entlehnungen aus seinen Filmmusiken anreicherte (von 1951 an schrieb Rota bis zu seinem Tod die Musik zu allen Filmen seines kongenialen Landsmannes Federico Fellini). 

Und so zählt auch «Il cappello di paglia di Firenze» zum beträchtlichen Schattenwerk des Italieners, das insgesamt zehn Opern, Symphonien und Solokonzerte, Kammer- und Chormusik umfasst. Dabei zeigt sich in dem Stück die fantastische Gabe des Filmkomponisten Rota, nicht auf die Minute genau zu komponieren, sondern auf die Sekunde exakt. Und in Lüttich gelingt dank glänzender Besetzung das Kunststück, den Rhythmus dieser munter drauflosplappernden Opera buffa genau zu treffen, ohne in atemlose Hektik zu verfallen. Denn wie in jeder Farce haben die insgesamt 13 Solo-Rollen erhebliche Textmassen zu bewältigen, wechselt die Musik in Windeseile von Arien zu Duetten zu Ensembleszenen. 

Wobei hier eine Qualität musikalisch zum Tragen kommt, die bereits die Filme Fellinis zu zeitlosen Klassikern machte: Für jede Figur, jede Stimmung findet Rota ein wiedererkennbares Motiv. Denn entgegen gängigen Meinungen über Filmmusikkomponisten instrumentiert Rota nie dick, sondern neoklassizistisch, mit luftigem Streichersatz und viel Raum für charakteristische Instrumentalsoli, blitzsauber ausgespielt vom Orchester der Opéra Royal de Wallonie-Liège unter der Leitung von Leonardo Sini. Ein herrliches Vergnügen sind dabei die genießerisch ausgekosteten Stilzitate von Offenbach und Bizet, von Rossini, Verdi und Puccini, die Rota in diesen Opern-Pasticcio verwoben hat. 

Der Hut wird gefunden, das Pärchen darf heiraten © J. Berger / ORW

Auf szenischer Ebene sorgen die von Paolo Fantin gestalteten, mobilen Wandelemente mit ständig sich öffnenden und schließenden Türen dafür, dass die Figuren von einer misslichen Begegnung in die nächste stolpern – oder sich knapp verpassen. Die nostalgischen Kostüme von Silvia Aymonino und das so dezent wie wirkungsvoll eingesetzte Licht von Luciano Novelli fügen sich bestens dazu.

Mag die Situationskomik noch so aberwitzig sein, am Ende des quirligen Treibens steht ein „lieto fine“, ein Happyend. Der Hut wird gefunden, das Pärchen darf heiraten: Und bevor es so weit ist, schenkt Rota jedem Solisten einen musikalischen Moment, der ihn vom bloßen Typ zur Figur mit Herz erhebt. 

Da ist allen voran Ruzil Gatin als bemitleidenswerter Fadinard, mit saftigem tenoralem Schmelz, einer farbprächtigen Höhe und runden Spitzentönen. Und ihm treu zur Seite seine Braut Elena, die Maria Grazia Schiavo mit feinblühendem Sopran singt. Liebenswürdige Klischees sind sie praktisch alle: Der halbtaube Brautvater (Pietro Spagnoli), die verführerische Baronin (Josy Santos), der gehörnte Ehemann (Marcello Rosiello), der fesche Nebenbuhler (Rodion Pogossov), die aufgekratzte Hochzeitsgesellschaft (der spielfreudige Opernchor). Wie Menschen eben so sind. 

Eigentlich verwunderlich, dass dieses so dankbare Ensemblestück kaum ein Stadttheater auf dem Spielplan hat. Die Opéra Royal de Wallonie-Liège hat in der ausverkauften Premiere jedenfalls gezeigt, dass sich mehr Häuser für den fast vergessenen «Florentinerhut» interessieren sollten. Glücklicherweise bringen die Wuppertaler Bühnen und die Dresdner Semperoper «Il cappello di paglia Firenze» ab Ende Mai 2026 heraus. 


«Il cappello di paglia di Firenze» (Der Florentinerhut) – Nino Rota
Opéra Royal de Wallonie-Liège

Kritik der Premiere vom 16. November 
Termine: 19./21./23./25. November