Theater Heidelberg
Spartanisch ohne schwachen Punkt
Auf mitreißende Art wird «Der in seiner Freiheit vergnügte Alkibiades» von Agostino Steffani beim Barock-Festival „Winter in Schwetzingen“ wiederbelebt
Albert Gier • 01. Dezember 2025
Eine Geschichte von Liebe und Eifersucht: Beim jährlichen Barockfest „Winter in Schwetzingen“ spielt das Theater Heidelberg Agostino Steffanis Oper «La libertà contenta», die 1693 in Hannover uraufgeführt wurde und 1697 an der Hamburger Gänsemarktoper, wie dort üblich auf Deutsch, als «Der in seiner Freiheit vergnügte Alcibiades» herauskam. Man verwendet den deutschen Text von Gottlieb Fiedler, der vom Dirigenten Clemens Flick bearbeitet und vorsichtig sprachlich modernisiert wurde. Im Mittelpunkt stehen zwei starke Frauen: Timea, die Verlobte des spartanischen Königs Agis, die auch von dessen Feldherrn Lisander (erfolglos) und von dem aus Athen nach Sparta geflohenen Alcibiades, zu dem sie sich hingezogen fühlt, umworben wird, und Aspasia, die Geliebte des Perikles: Beide sind als Sklaven verkleidet aus Athen nach Sparta gekommen, wo die schöne Frau nicht nur auf Lisander und Telamides, den Vertrauten des Alcibiades, sondern auch auf König Agis tiefen Eindruck macht. Komplikationen sind damit absehbar.
Agostino Steffani (1654-1728) ist heute weniger bekannt als etwa Vivaldi oder Händel, aber er ist nicht nur ein bedeutender Komponist, sondern auch eine hochinteressante Persönlichkeit: Geboren in Castelfranco Veneto, fiel er als Sängerknabe an San Marco in Venedig dem bayerischen Kurfürsten auf, der ihn 1667 mit nach München nahm, wo er nicht nur eine gründliche musikalische Ausbildung erhielt und 1678 zum Hofkapellmeister ernannt wurde, er studierte auch Theologie und wurde 1680 zum Priester geweiht; außerdem betraute ihn der Kurfürst häufiger mit diplomatischen Missionen. 1688 wechselte er nach Hannover, wo er neun abendfüllende Opern, immer auf Libretti des italienischen Hofdichters Ortensio Mauro komponierte. Seit etwa 1700 ließen ihm vielfältige diplomatische und administrative Aufgaben kaum noch Zeit zum Komponieren.
2012 brachte Cecilia Bartoli ihr Konzeptalbum „Mission“ mit Arien von Steffani heraus, wodurch der Komponist einer breiteren Öffentlichkeit bekannt wurde. Im letzten Juni kam bei den Musikfestspielen Potsdam Sanssouci seine Oper «Orlando generoso» zur Aufführung; im kommenden Januar hat in Frankfurt «Amor vien dal destino» Première.
Bei der Einführungsmatinee hoben der Regisseur Tom Ryser und der Bühnenbildner Stefan Rieckhoff hervor, dass die sieben handelnden Figuren in einem abgeschlossenen Raum gleichsam gefangen sind; das Bühnenbild ist daher „eine Art Bunker“, mit einer Drehscheibe, die oft in Bewegung gesetzt wird. Ein Vorhang auf der Scheibe kann einen Raum für intimere Gespräche abteilen; immer wieder versuchen Lauscher, ihn auseinanderzuschieben, niemand ist hier ganz ungestört. Der Regisseur (der auch als Mime ausgebildet ist) betonte die große Bedeutung des Körperlichen für seine Arbeit. Es gibt keine Requisiten, der Schwerpunkt liegt auf Mimik, Gestik und Bewegung der Sänger. Alle tragen weiße Hosen und Westen, über die sie oft eine Jacke oder ein Kleid ziehen; Perikles trägt ein ganz heutiges, schwarzes Jackett, andere Gehröcke oder bunte Westen im Stil der Zeit um 1700.
Bei der Uraufführung in Hannover waren drei der Männerrollen nach italienischer Gepflogenheit mit Kastraten besetzt; in der Hamburger Gänsemarkt-Oper, und so auch in Schwetzingen, wurden daraus Tenorpartien. Nur König Agis ist ein Countertenor.
Steffanis Musik macht, vom Paukenwirbel zum Beginn der Ouvertüre bis zum Finale, ganz einfach Spaß. Manches überrascht (zu Beginn klingt die kleine Trommel einmal eher nach Jazz als nach Barockmusik); oft kommen Tambourin und Kastagnetten zum Einsatz. Der Gestus vieler Arien ist sehr tänzerisch. Nicht nur Timea, Aspasia und Alcibiades, auch allen anderen werden ausgedehnte Koloraturen abverlangt, die die Sänger virtuos meistern.
Überhaupt ist die Besetzung hervorragend, es gibt keinen schwachen Punkt. Herausheben möchte man Dora Pavlíková (Timea, Sopran), die zweifellos die anspruchsvollste Partie hat und rundum begeistert; auch Stefan Sbonnik (Alcibiades, Tenor) wird seiner großen Rolle in jeder Hinsicht gerecht und setzt viele Glanzlichter, ebenso wie Amber Fasquelle (Aspasia, Mezzosopran). Aleksey Kursanov (Pericles, Tenor) überzeugt sowohl gesanglich wie auch darstellerisch. Der Countertenor Fritz Spengler (Agis), der figürlich ein bisschen an Luciano Pavarotti erinnert, erweitert das Spektrum um eine weitere Klangfarbe. Auch den Sängern der etwas kleineren Partien, Ipča Ramanović (Telamides, Bariton) und Jakob Kleinschrot (Lisander, Tenor) bietet der Komponist Gelegenheit, sich in ihren Arien auszuzeichnen.
Dem Philharmonischen Orchester Heidelberg merkt man an, dass es inzwischen langjährige Erfahrung mit der Barockoper hat; das liegt natürlich auch an der kundigen Leitung von Clemens Flick, der als Spezialist für historisch informierte Aufführungspraxis die bestmöglichen Voraussetzungen mitbringt. Bis zum 25. Januar ist Steffanis Oper noch in Schwetzingen zu hören und zu sehen. Wer Zeit und Gelegenheit hat, sollte sich diese hinreißende Produktion nicht entgehen lassen.
«Der in seiner Freiheit vergnügte Alkibiades» (La libertà contenta) – Agostino Steffani
Theater Heidelberg · Rokokotheater Schwetzingen
Kritik der Premiere am 28. November 2025
Termine: 4./6./12./14./30. Dezember 2025; 12./15./23./25. Januar 2026